Als würde ich nicht hier her gehören

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»Ach, hier steckst du! Lass uns besser nach Hause gehen, liebste Emma. Ich glaube, du springst schon sehr bald zurück und da möchtest du sicherlich in deinem eigenen Haus sein, nicht wahr?«, sagt sie zu mir. 

Ich weiss, dass sie dies als Ausrede benutzt, da sie ganz offensichtlich die Stimmung zwischen uns bemerkt hat. Sie rettet mich quasi aus dieser misslichen Situationen, auch wenn ich wirklich neugierig auf seine Antwort gewesen wäre.

Trotzdem nicke ich Louisa als Bestätigung zu. »Ja, lass uns Heim kehren.«

Louisa nimmt meinen Arm, lächelt Fionn Mckenzie charmant an und neigt den Kopf. »Schönen Abend noch, Mr. Mckenzie. Es hat mich wirklich ausserordentlich gefreut«, sagt sie zu ihm und zieht mich dann geschwind mit sich ohne auf seine Erwiderung zu warten.

Ich hingegen hätte ihm beim zurückschauen am liebsten wie ein kleines Kind die Zunge rausgestreckt. Kann mich aber gerade noch zurückhalten.

Wir laufen denselben Weg zurück, denn wir gekommen sind. Auf dem Weg Nachhause kommt es mir so vor, als würde die Zeit nur so verfliegen und die unausweichliche Rückkehr in meine Zeit rückt unaufhörlich näher. 

Wir schleichen uns, leise wie die Wiesel, zurück ins stille Haus. Alle scheinen tief und fest zu schlafen. Flink hetzen wir die Treppe hoch und da angekommen streife ich schnell das geborgte Kleid ab, die Schuhe, die Tasche, wie auch den Schmuck landen ebenso schnell auf ihrem Schminktischchen. Ich spüre am ganzen Körper, dass ich bald wieder in meiner eigenen Zeit sein werde. Also beeile ich mich damit, meine Klamotten vom heutigen Tag wieder überzustreifen.

»Wer war dieser junge Schönling, mit dem du getanzt hast?«, frage ich sie, in mitten meiner hektischen An- und Ausziehorgien. 

»Es schien, als wäret ihr sehr vertraut miteinander.« Ich wackele vielsagend mit den Augenbrauen auf und ab und schaue sie grinsend an.

Sie lacht, winkt aber bestimmt ab. »Ach, das ist niemand. Nur ein harmloser Flirt«, meint sie ganz gelassen.

Ich frage nicht weiter nach, da sie es ernst zu meinen scheint. Stattdessen kontrolliere ich geschwind, ob das Zeitreise Amulett um meinen Hals noch an Ort und Stelle ist. Ohne dieses Schmuckstück kann ich nicht zurückspringen und wenn ich es irgendwo in den 1920ern verloren habe, wäre das ein Desaster. 

Dann schaue ich auf und sehe Louisa an, die mich ihrerseits freundlich anlächelt. »Es hat wirklich grossen Spass gemacht. Vielen lieben Dank für die Ablenkung, Louisa.«

»Sehr gerne, liebste Emma. Und komm mich bald wieder besuchen. Mein Leben ist so unsagbar langweilig ohne Besuche aus der Zukunft«, sagt sie und grinst mich an. Dann kommt sie zu mir herüber und nimmt mich fest in die Arme. 

Und schon spüre ich das unangenehme Kribbeln und Ziehen im ganzen Körper. Einen Moment sehe ich die Überreste ihrer Gestalt verschwommen, wie durch einen Schleier vor mir, dann springe ich durch die Zeit und lande unsanft im Zimmer meiner Schwester. Ich falle direkt auf ihren Schreibtischstuhl, der unter meinem Gewicht umkippt und dessen Kanten sich schmerzhaft in meine Seite bohren. Ich muss mich zusammenreissen um nicht laut zu fluchen.

In Ava's Zimmer ist es dunkel und still. Ich schaue zu ihrem Bett herüber und sehe eine eingemummte Gestalt darin liegen. Das Gute bei Ava ist, dass sie so tief schläft wie eine Tote. Neben ihr könnte der dritte Weltkrieg ausbrechen und sie würde dennoch unbesorgt weiter schlafen, wenn sie wirklich müde ist. 

Trotzdem bin ich leise, als ich vom Boden aufstehe und den Weg nach draussen suche. Man muss das Schicksal ja nicht zwei mal herausfordern. Ich schliesse die Tür so leise wie ich kann, als ich auf dem Flur angekommen bin. Dann tapse ich genauso still und leise durch den Flur, in Richtung meines Zimmers, welches auf der anderen Seite des ersten Stocks liegt. Unentdeckt komme ich dort an und schliesse gleich die Tür hinter mir ab, damit keiner auf die Idee kommt, ungefragt hereinzukommen.

Wie immer wenn ich von einem Zeitsprung, der nur für mich ganz alleine war, zurückkomme, fühle ich mich völlig fehl am Platz. Als würde ich eigentlich nicht hier her gehören, als wäre mein Platz auf der Welt an einem völlig anderen Ort, in einer völlig anderen Zeit. Bei jeder Rückkehr sitze ich dann für einige Minuten unbewegt auf meinem Bett und versuche zu begreifen, was ich überhaupt hier mache. Es fühlt sich immer wieder so an, als habe ich keine Ahnung, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Diese Gedanken stimmen mich wehmütig; ich empfinde so etwas wie Weltschmerz... und eine Menge Verwirrung.

Normalerweise hilft es mir dann sehr, wenn ich mich gleich ins Bett lege und durch das schräg gebaute Fenster nach draussen in den Nachthimmel sehe. Der Gedanke, dass der Himmel vor hundert Jahren genau gleich ausgesehen hat wie er es jetzt tut, beruhigt mich irgendwie. Es ist eine ruhige und immer gleichbleibende Konstante in meinem Leben - so ziemlich die einzige, die sich mit Sicherheit niemals zu verändern scheint und derer ich mir vollkommen sicher sein kann.


Shadow of Past - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt