Blut

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Wasser tropft auf den Stein, sodass ein monotoner Klang durch das Verlies hallt.

Tropf. Tropf. Tropf.

Wie ein übler, endloser Singsang, der durch meinen Kopf hallt und mich buchstäblich wahnsinnig macht.

Ich schreie. Ich schreie aus vollen Leibeskräften und mit dem ganzen Volumen meiner Lungen. Ich schreie bis meine Kehle vor Schmerzen beinahe zerreisst.

»Halt jetzt endlich die Klappe!«, ruft jemand herein.

»Kommt endlich her, ihr Feiglinge!«, brülle ich zurück. Erneut rüttle ich so kräftig an den Seilen die um meine Handgelenke gebunden sind, dass diese sich noch tiefer in mein Fleisch graben. Ich spüre warme Tropfen auf meinem Gesicht, als ich meinen Kopf gen Decke drehe. Rotes Blut läuft mir an den Armen herunter, bis in die Ärmel des zerlumpten Hemdes, dass sie mir überlassen haben. Einige Tropfen landen auf meinen Wangen, Nase und Kinn, als ich mich noch einmal mit all meiner letzten, verzweifelten Kraft wehre.

Doch ich weiss, es hat keinen Sinn. Sie haben Seile in zwei Ringe geworfen, welche von der steinernen Decke herunterhängen, die Seile an meinen Handgelenken festgezurrt und sie so fest angezogen, dass meine Füsse ungefähr einen halben Meter über dem Boden baumeln.

Inzwischen bin ich mir nicht mehr sicher, ob meine Hände nicht längst abgestorben sind. Die Durchblutung muss schon seit mindestens einer halben Stunde aufgehört haben. Was nicht besser geworden ist durch mein Gezappel.

Irgendwann verschwimmt das Bild vor meinen Augen. Ich könnte schwören, ich sehe seinen dunkelblonden Schopf, diese tiefen, sanften Augen... Aber, wenn ich versuche, mich zu konzentrieren, sehe ich nur der leeren, schwarzen, kalten Wand entgegen.

Dieser verdammte Stein! Überall dieser verfluchte Stein.

Und dann rollen Tränen meine Wangen herunter. Ich beginne zu weinen, ja gar zu schluchzen. Es schüttelt mich, salzige und blutige Tropfen vermischen sich auf meinem Gesicht bis ich nicht mehr richtig atmen kann und sie gleichermassen meine Lippen benetzen.

Doch ich weine nicht meinetwegen. Oder weil ich dem Tod praktisch in die Augen blicke und er mit hoch erhobenen Schultern und Händen mit Krallen auf mich herunter sieht, als wäre ich nichts weiter als ein Stückchen Dreck in dieser gottverlassenen Welt.

Was ich eindeutig bin.

Ich weine, weil ich niemals die Gelegenheit haben werde, meine Pflicht zu erfüllen. Wie auch immer diese aussehen mag. Weil ich niemals meiner Bestimmung, meinem vorgesehenen Weg folgen konnte, da ich sie erst gerade erfahren habe. Ich weine, weil ich meine Eltern niemals kennengelernt habe, weil mein gesamtes Leben eine Lüge gewesen ist und dennoch fühle ich mich, als hätte ich etwas wertvolles verloren.

Ich weine, weil ich Fionn niemals danken kann. Niemals kann ich ihm dafür danken, dass er mich gerettet hat, auf so viele verschiedene Arten.

Niemals wieder werde ich in seine Augen sehen und lachen, weil er etwas sagt, dass mich aufmuntert.

»Oh Gott, bitte lasst mich mit ihm sprechen«, schreie ich. So laut, dass selbst ich es nicht mehr hören kann.

Die schwere Tür zu meinem Verlies wird plötzlich geöffnet und ein verhüllter Soldat, schwer bewaffnet, kommt in mein Blickfeld. Ich sehe, wie er die Augen zu schmalen Schlitzen zusammendrückt, als wolle er seinen Hass auf diese Weise übermitteln. Was auch funktioniert.

»Du solltest wirklich still sein, Mädchen. Niemand wird dich erhören, selbst die Königin nicht«, sagt er zu mir. Seine Stimme ist tiefer, als ich erwartet hätte. Seine Grösse und Statur passen nicht dazu.

»Wo ist er?«

Da macht er seine Augen gross. Und ich weiss, er verspottet mich. »Oh, sei ganz unbesorgt. Er ist schon auf dem Weg zu dir.«

Selbst unter seiner Gesicht verdeckenden Maske kann ich das böse Grinsen erkennen. Und ich weiss, das bedeutet nur Schlechtes.

Ich bete in diesem Moment, dass er nicht tot ist. Egal zu wem ich bete, zu welchem Gott, Götter, geistreiche Person, spirituellen Wegführern, bitte, bitte, lass ihn nicht tot sein.

Ich registriere nur halbwegs, dass die Tür nicht wieder in ihr Schloss zurückfällt, als der Soldat die Zelle verlässt. Stattdessen lasse ich den Kopf hängen und bemerke deshalb das Schleifen von Gliedmassen und Kleidung auf dem Boden nicht, welches zwei Mann folgt.

Sie halten den leblosen Körper in ihren kräftigen Armen und schleppen ihn mühselig auf die mir gegenüberliegende Seite der Zelle. Verwirrt schaue ich auf und die Sicht verrutscht vor meinen Augen, doch dann erkenne ich blondes Haar und eine breite Statur, die mir durchaus vertraut ist.

Zuerst traue ich meinen Augen nicht, da ich ihn einige Male im Wahnsinn meiner Selbst gesehen habe und er gar nicht da gewesen ist. Aber irgendwann realisiere ich es dann doch... und ich drehe vollkommen durch.

Vermutlich ist das der Moment wo das ganze verbliebende Adrenalin sich zu einem Haufen zusammenknüllt und sich dann wie bei einer Explosion in all meine Gliedmassen verteilt. Und vermutlich würde ich es selbst nicht glauben, wenn mir jemand sagen würde, dass ich wie eine Gestörte herumschreie und versuche, diese zwei Soldaten anzugreifen.

Und als sie mich dann packen, beisse und trete ich wie ein kleines Kind. Ich schreie solange, bis einer dieser Männer mir so hart auf den Kopf schlägt, dass ich Sterne vor meinem inneren Augen sehen kann.

Ich sacke zusammen, weigere mich aber schlichtweg ohnmächtig zu werden, bis ich es schliesslich nach einem üblen Schwindelanfall geschafft habe, wach zu bleiben. Ich baumle noch von meiner geballten Aggression in der Luft und kann mich kaum zurückhalten zu kotzen, als ich aufsehe.

Und ich sehe, dass er ebenfalls den Kopf hebt. Mit halbgeöffneten Augen blinzelt er mich an, sichtlich verwirrt und orientierungslos.

Mir fehlt die Kraft, ihn nach seinem Wohl zu fragen. Aber eigentlich ist das auch unnötig, denn sein rechtes Auge ist blau, rot, violett und geschwollen. Blut rinnt noch immer frisch aus seiner Lippe, welche ebenfalls dick ist. Sein halb geöffnetes Hemd ist genauso Blut durchtränkt, was Übelkeit in meinen Magen treibt.

»Emma...«, dringt es mühsam aus seinem Mund. Ich kann an seinem Gesichtsausdruck erkennen, dass er noch mehr sagen will. Dass er seine gesamte restliche Kraft zusammenzukratzen versucht, um mir etwas zu sagen.

Aber seine Kraft lässt sogleich nach und er sackt zusammen, gegen die Wand aus Stein in seinem Rücken, bis er schliesslich zu Boden gleitet und liegen bleibt.

Shadow of Past - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt