Ich starre zu ihm herüber, und als ob er meinen Blick auf sich gespürt hätte, treffen sich unsere Blicke augenblicklich. Er wirkt ebenso überrascht wie ich, dass kann ich an seiner gerunzelten Stirn erkennen. Aber vielleicht ist er auch ein aussergewöhnlich guter Schauspieler.
»Was ist denn los, Emma?«, fragt Louisa. Ihr Mund ist so nahe an meinem Ohr und sie spricht dementsprechend laut, sodass ich ihre Worte gut verstehen kann. Ich beuge mich zu ihr herunter, da sie um einiges kleiner als ich ist. »Da ist jemand aus meiner Zeit.«
»Was? Hier?«, fragt sie, ebenso verwirrt.
Ich nicke als Bestätigung. »Ich habe ihn heute morgen kennengelernt. Er ist ein Mckenzie.« Louisa lacht auf, doch es ist ein spöttisches Lachen. Unsere Familien mögen sich nicht besonders, das war schon immer so. »Na wunderbar.«
»Wie kann das sein? Das ist doch niemals ein Zufall...«, sage ich, mehr zu mir selbst, doch laut genug, dass Louisa mich verstehen kann.
»Es scheint etwas zu viel des Zufalls, da muss ich dir recht geben«, stimmt sie nachdenklich zu. »Wollen wir uns ganz zwanglos vorstellen?«, fragt sie mich anschliessend, ein wildes, teuflisches Funkeln in den Augen und ein freches Grinsen auf den Lippen.
»Ich weiss nicht so recht, Louisa...«, sträube ich mich. Normalerweise schere ich mich nicht darum, was diese durchgeknallten Bürokraten des Zirkels denken. Aber ich könnte wirklich Ärger bekommen, wenn ich mit einer so wichtigen Persönlichkeit wie einem Mckenzie etwas falsches mache. Selbst in der Vergangenheit. Doch sie hört nicht auf meine Zweifel, packt mich am Arm und stolziert auf den Fremden aus Schottland zu, der unser Kommen interessiert beobachtet. »Diese Kerle sind allesamt aufgeblasene, arrogante Idioten, aber dennoch sehen sie alle überdurchschnittlich gut aus, nicht wahr? Da kann man sich ein kleines Schwätzchen durchaus gönnen, wie ich finde«, sagt sie noch zu mir, bevor wir vor Fionn Mckenzie halt machen.
Tatsächlich sieht er nicht allzu schlecht aus. Wie alle dieser Familie, da muss ich Louisa recht geben. Seine Haare sind dunkelblond, dunkle Augen und kräftig gebaute Schultern. Seine Gesichtszüge sind kantig und an einigen Stellen weich zugleich. Sein Blick ist zwar allzeit etwas zu ernst, wie es scheint, doch dennoch hat es was, wenn er einem in die Augen schaut. Ich könnte mir durchaus vorstellen, sein Lächeln bricht Mädchenherzen, reihenweise, versteht sich.
»Guten Abend, werter Herr«, begrüßt Louisa ihn freundlich. Dieses Mädchen kennt echt keine Grenzen. »Wie meine reizende Verwandte aus der Zukunft gerade berichtete, scheint Ihr heute Nacht ebenfalls zurückgereist zu sein.«
Der Mckenzie wirkt einen Moment ein wenig überrumpelt, worauf ich heimlich vor mich hin grinsen muss. Es passiert sicherlich nicht alle Tage, dass dieser Typ von irgendetwas überrascht wird. Seine Fassung erlangt er aber recht schnell zurück, er kann sich sogar ein Lächeln abringen. Vermutlich aber nur, um nicht komplett unhöflich zu sein. »Das stimmt dann wohl«, bestätigt dieser wortkarg.
»Es ist mir wirklich ein Vergnügen, Euch kennenzulernen, Sir. Ich bin Louisa Sinclair«, stellt sie sich unbeirrt von seiner dürftigen Reaktion vor.
Er sieht sie einen Moment skeptisch an, als würde er sich fragen, ob sie es ernst meint. »Freut mich ebenso, Miss Sinclair. Mein Name ist Fionn Mckenzie.« Das klingt schon etwas freundlicher. Dann schaut er auch zu mir herüber, und nickt leicht mit dem Kopf. »Ein Vergnügen, Sie wieder zu sehen, Miss.«
Ich nicke ebenso. »Das Vergnügen ist ganz meinerseits.« Er wirkt wie ein echter Kotzbrocken, genau wie alle anderen aus seiner Familie, deren Bekanntschaft ich bereits machen durfte. Schon wie er mich ansieht, bestätigt dies.
»Was führt Euch in dieses wunderbare Jahrzehnt? In dieses Jahr?«, fragt Louisa ihn aus. Dafür hätte ich sie küssen können. »Wie ich gerade zu Emma sagte, ist es doch ein Zufall der besonderen Art, dass ihr beide euch heute Abend exakt denselben Stichtag ausgesucht habt. Oder etwa nicht?«
Auch wenn man den Vorwurf dahinter hört, ist Louisa so höflich, dass man es ihr nicht übel nehmen kann, noch kann irgendwer ihr die Neugier zum Vorwurf machen.
»Nun, ich denke, der Zufall ist wirklich ein besonderer«, sagt Fionn, der Wortkarge, daraufhin bloss. Ich komme nicht darum herum mich zu fragen, wer ihm diesen Stock in den Allerwertesten geschoben hat. Wie langweilige ist der denn?
Louisa und ich wechseln einige Blicke, wir sind uns wohl einig, schnellstens Abschied zu nehmen um wieder auf die Tanzfläche zurückzukehren. Mit diesem Knilch kann man sich nun wirklich nicht unterhalten.
»Nun dann, Mr. Mckenzie, man sieht sich wohl noch in der Zukunft«, verabschiede ich mich und neige kurz den Kopf, dann drehe ich mich um ohne auf seine Antwort zu warten und gehe zurück an die Bar. Louisa folgt mir danach.
»Meine Güte, was ist dem denn über die Leber gelaufen?«, sagt Louisa, neben mir, während ich noch eine Runde Drinks für uns organisiere.
»Sind die Mckenzie Männer in diesem Jahrhundert auch so langweilig?«, frage ich sie und drücke ihr das Glas in die Hand.
Sie lacht. »Nicht im geringsten. Ich habe zwar erst die Gebrüder kennengelernt, aber so weit ich weiss, sind sie allesamt sehr wilde, aufbrausende Jünglinge, die kaum ihre Hände bei sich behalten können. Und die Frauen erst«, erzählt sie mir.
Daraufhin muss ich ebenfalls lachen. »Da hat sich aber so einiges verändert.«
»Scheint wohl so.« Wir unterhalten uns eine Weile, dann kommt ein Bekannter von Louisa vorbei. Er begrüsst sie, stellt sich vor und fängt ein sympathisches Gespräch an. Dann fragt er Louisa ob sie mit ihm tanzen wolle, nicht ohne mich vorher um Erlaubnis zu bitten, da ich ansonsten alleine da stehen würde. Mich stört es allerdings nicht, denn das dritte Rad am Wagen zu sein, ist noch viel schlimmer als hier alleine rum zu stehen. Ich schaue ihnen eine Weile zu und ihre Vertrautheit verirrt mich ein wenig. Ich frage mich, wie lange sie sich schon kennen und wie gut, vor allen Dingen.
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Shadow of Past - Band I
FantasyEmma Sinclair fühlt sich durch die unerbittliche Strenge ihrer Mutter, der ständigen Forderung ihres Vaters und der Jahrhunderte alten Bürde, die auf ihr lastet, mehr und mehr einsam und verwirrt. Sie weiss nicht, wer sie ist und wohin sie gehört. S...