»Hör auf mich so anzustarren, Emma. Ich komme mir vor wie ein dreiäugiges Monster«, meckert Fionn und zieht fragend die Augenbrauen zusammen. Die kleine, steile Falte die sich oberhalb seiner Nase bildet, wenn er das tut, ist echt süss. Am liebsten hätte ich die Hand danach ausgestreckt um sie glatt zu streichen.
»Sorry«, murmle ich, leicht verlegen und folge seinen schnellen Schritten, die offenbar in die uns genannte Richtung führen.
»Also gut, wir werden vermutlich einige Zeit hier verbringen, da es wohl einen ziemlichen Haufen ist, den wir durchgehen müssen. Aber immerhin haben wir ein wenig Ruhe, findest du nicht?«, sagt er zu mir, schubst mich mit seiner Schulter an während dem Gehen.
Ich betrachte sein Profil. Noch vor wenigen Tagen konnte ich kaum im selben Raum wie er sein, da diese merkwürdige Stimmung zwischen uns hing. Doch jetzt ist alles wieder normal.
»Na klar, Ruhe und Frieden; bis die in schwarzeingehüllten Männer die Bibliothek stürmen und mich gnadenlos mit sich reissen«, füge ich leichthin hinzu.
Fionn wirft mir einen schroffen Blick zu. »Sag das nicht. Niemand sollte das Schicksal herausfordern«, ermahnt er mich. »Ausserdem denke ich nicht, dass die Schwarze Garde sich traut, uns inmitten von unwissenden Zivilisten anzugreifen.«
»Die Schwarze Garde?«, frage ich lachend. »Wie originell.«
Er erwidert mein Lachen bloss mit einem leichten Lächeln, dass kaum seine Augen berührt. Dieses Thema ist für ihn noch immer unangenehm, das weiss ich. Er kann sich nicht einmal über meine Witze lustig machen, wenn wir über diese Organisation des Bösen sprechen.
Langsam schreiten wir durch die Massen an Büchern, die auf ihren Regalen stehen. Unbewegt und unberührt, bis zu dem Zeitpunkt da jemand es herunterholt. Es ist sehr leise im Inneren der Bibliothek, auch wenn sich doch einige hier aufzuhalten scheinen.
Fionn geht an allen Bücherregalen vorbei, ignoriert jegliche Themen und Jahrhunderte, bis er schliesslich am anderen Ende angelangt ist. Er betrachtet die Wand, welche unbeschadet aussieht und nichts interessantes aufweist. Doch er untersucht alles, selbst die an den Rändern geschmückten Wandverzierungen. Dann hebt er schliesslich die Hand und drückt mit dem Daumen kräftig gegen ein goldenes Blatt, welches erhoben an der Wand liegt.
Ich staune nicht schlecht, als plötzlich ein vergleichsweise lautes Klacken ertönt und sich die Wand schliesslich unheimlich langsam nach innen schwingt, sodass ein Durchgang entsteht. Gerade einmal so gross, dass wir durchgehen können.
Im Inneren der geheimen Kammer ist es stockdunkel. Doch sobald wir hinein gehen, geht von selbst eine Deckenlampe an. Aber dies ist keine einfache Deckenlampe von Ikea, es ist ein wahrhaftiger Kronleuchter, so riesig und prunkvoll, dass ich meinen Augen kaum traue.
Und die Kammer ist auch keine einfache kleine Besenkammer, es ist ein riesiger Raum. Nicht sehr hoch, doch ausgedehnter als mein Zimmer Zuhause. Es bleibt kaum Platz für einen Tisch in der Mitte und wenige Stühle, da jeder noch so kleine Winkel des Raumes mit altertümlichen Bücherregalen ausgeschmückt ist. Diese wiederum tragen hunderte von alten Büchern.
Ein Flair, so ähnlich wie die Familienbibliothek der Mckenzie.
Während ich mich an diese spektakuläre und auch seltsame Umgebung gewöhne, verschwendet Fionn keine Zeit und macht sich gleich daran, verschiedene Bücher und Schriften herauszusuchen. Irgendwie scheint es beinahe so, als würde er sich hier auskennen.
»Was glaubst du, wie alt ist das hier wohl?«, frage ich bewundernd und laufe durch die engen Regale um mir alles genauer anzusehen.
»Hey!«, ruft Fionn aufgeweckt, schnippst zwei Mal mit seinen Fingern. »Miss Alte-Dinge-sind-cool konzentrier dich bitte, okay? Wir haben hier eine Menge durchzugehen.«
Wegen seiner Reaktion muss ich fast lachen. Aber dann nicke ich einfach, mit einem breiten Grinsen und setze mich zu ihm, als er einige Bücher auf den Tisch knallte.
Ich räuspere mich lauthals neben ihm. »Vielleicht solltest du Jahrhundertalte Bücher nicht so achtlos auf den Tisch schlagen. Möglicherweise fallen sie auseinander.... Und dann muss ich dich wohl oder übel töten.«
Fionn wirft mir einen leicht amüsierten Blick zu, doch er erwidert nichts auf meinen Kommentar bezüglich der Bücher. Stattdessen reicht er mir ein dünnes, in dunkelgrünes Leder eingebundenes Buch. Ich lese den Titel am Buchrücken: Zeitsprünge - wie und warum?
Ich hebe zwar eine Augenbraue, doch ich sage nichts. Ich öffne das Buch und es knarzt, als ich den Buchrücken sanft nach unten drücke. Ich streiche mit zwei Fingern über die vergilbten Seiten. Es fühlt sich hubbelig unter meinen Fingerkuppen an und ich verberge ein heimliches Lächeln.
»Wonach soll ich denn in diesem Buch suchen? Ich weiss, wie man in der Zeit springt«, sage ich zu Fionn, der schon tief in seinem eigenen Buch steckt.
Er sieht mich nicht an, als er sagt: »In diesem Buch geht es nicht um ordinäres Zeitspringen, Emma. Es sind besondere Zeitsprünge von diversen Individuen aufgelistet und Leuten, die dies zu erklären wagten. Such nach etwas, dass auf deinen Fall zutrifft.«
Ich mache hm, sehe erneut auf das in meinen Händen liegende Buch nieder und blättere weiter.
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Shadow of Past - Band I
FantasyEmma Sinclair fühlt sich durch die unerbittliche Strenge ihrer Mutter, der ständigen Forderung ihres Vaters und der Jahrhunderte alten Bürde, die auf ihr lastet, mehr und mehr einsam und verwirrt. Sie weiss nicht, wer sie ist und wohin sie gehört. S...