Licht am Ende des Horizont

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Gelbes, oranges und düster, rotes Sonnenlicht flutet den Hügel, die sanften Grashalme bewegen sich im Wind und einige Eulen Schreie klingen bereits durch die Abenddämmerung.

Ich sitze auf einer Holzplanke, die an zwei Seilen befestigt ist und mir als simple Schaukel dient und wippe langsam hin und her. Der Wind zieht mir durch die offenen Locken und zerzaust sie ungemein. Bestimmt wird mich die Kammerzofe dafür nicht besonders mögen. Ich sehe der Sonne entgegen, die in wenigen Minuten komplett hinter dem Horizont verschwunden sein wird und frage mich, wie die Welt, in der wir leben, so unfassbar gross sein kann und wir hingegen, so unfassbar klein.

Ich denke darüber nach, dass ich nicht hier sein sollte, sondern ganz wo anders. Aber dann frage ich mich, wo sonst mein Platz auf der Welt sein könnte. Oder in welcher Zeit?

Eine Antwort scheint mir dabei nicht wirklich klar ersichtlich, egal wie lange ich auch darüber nachgrüble.

Das weisse Unterkleid ist bereits mit Dreck und Matsch verschmiert, ebenso die neuen Schuhe, die mit wunderbaren Mustern und Perlen bestückt sind. Wenigstens scheint das Bordeauxrote Überkleid, mit den orangen Mustern und Spitzenverzierungen ganz unbeschädigt zu sein. Ich will gar nicht wissen, was dieses Ding gekostet hat, selbst für das Haus einer Königin. Ich spüre die Schnüre des Korsetts. Wie auch die, welche das Überkleid zusammenhalten, wenngleich diese nicht ganz so eng anliegend sind.

Wenn ich mich nicht so taub fühlen würde, wenn ich mehr empfinden würde, als Kälte und Schmerz, dann würde ich meine wahrhaftige Bewunderung für dieses Kleid aussprechen. Jedoch fühle ich mich kaum dazu Imstande, Nahrung zu mir zu nehmen.

»Darf ich mich zu dir gesellen?«, ertönt seine warme, melodische Stimme. Ich erkenne sie sofort von unserem ersten Treffen und als seine Gestalt in mein Blickfeld tritt, verspüre ich beinahe so etwas wie Freude.

Ein taubes Lächeln tritt auf meine Lippen, ich nicke kaum merklich und werfe sogleich den Kopf nieder.

König Francis beobachtet mein Verhalten genau, dass kann ich an seinen wachsamen Augen erkennen. Darin liegt viel Sorge, doch auch eine Art Trotz, den ich einzuordnen vermag.

»Mary macht sich grosse Sorgen, doch sie scheint nicht den Mut zu besitzen, dich aufzusuchen. Sie denkt, dein Herz sei nicht stark genug sie hineinzulassen. Ich glaube jedoch, dass es der richtige Zeitpunkt ist, dir einen Rat zu geben.«

Ich schaue auf, sehe in seine blauen, ehrlichen Augen, die meinen so ähnlich sehen. »Was für einen Rat?«

»Von Vater zu Tochter«, meint er schulterzuckend, als wäre es das normalste der Welt. Als hätten wir solche Gespräche schon immer geführt. Ein sanftes Lächeln tritt auf seine Lippen, als er meinen skeptischen Blick sieht und da muss auch ich Lächeln.

»Ich glaube, dass ist eine lächerliche Annahme«, merke ich an und erhebe mich von der provisorischen Schaukel. Ich gehe auf ihn zu, bis ich direkt vor ihm stehe und zu ihm aufschaue.

»Nun, Emma, von einer Seite der Münze aus betrachtet mag das wohl so sein, doch es gibt andere Sichtweisen«, sagt er zu mir und streicht eine meiner verirrten Haarsträhnen zurück. »Eine dieser Sichtweisen ist, dass weder deine Mutter noch ich es ertragen, dich so leiden zu sehen, meine Liebe. Sicherlich ist es für dich schwer das zu glauben, doch wir denken immer nur an dein Wohl. Seit du geboren wurdest, egal in welchem Jahrhundert du dich aufgehalten hast.«

Ich nicke, doch ich habe keine Ahnung, was ich dazu sagen soll. Ich mache den Mund auf, um doch noch etwas dazu zu sagen, doch dann ertönen Kriegshörner, die so laut sind, dass ich mich beinahe zu Tode erschrecke.

Francis schaut alarmiert auf und ich kann fast schon von hier aus spüren, dass sich in der Burg etwas zu bewegen beginnt.

»Was ist los?«, frage ich beunruhig.

»Komm mit«, sagt er zu mir. Doch das ist überhaupt nicht mehr nötig, denn da kommen auch schon einige bewaffnete Männer mit wenigen Pferden über den Hügel getrottet. Sie sitzen nicht auf den Rücken der Pferde, sondern laufen neben ihnen her, erschöpft, verletzt... Nur diejenigen, die ganz offensichtlich nicht mehr fähig sind, zu laufen, sitzen, oder liegen auf den Pferden.

Einen Moment kann ich mich nicht bewegen, doch als dieser Bann gebrochen ist, gibt es kein Halten mehr. Ich stürme los, auf die Horde Männer zu und suche mit den Augen hektisch die verschiedenen Gesichter ab. Ich halte das schwere Kleid in beiden Händen, raufe es beinahe bis zu den Knien hinauf um nicht darüber zu stolpern, doch das ist echt schwieriger, als es sich anhört.

Der König von Frankreich folgt mir auf Schritt und Tritt und scheint nicht über alle Massen begeistert von meinem eifrigen Verhalten zu sein. »Emma, sei vorsichtig, die Männer sind noch immer bewaffnet.«

Ich höre nicht auf ihn, antworte nicht einmal auf seinen Einwand. Stattdessen achte ich auf die Gestalten, welche auf den Pferden liegen, denn so wie ich Fionn zurückgelassen habe, gehe ich nicht davon aus, dass er weder in der Lage ist, zu sitzen, geschweige denn eigenhändig zu gehen.

Ich gehe durch die langsamer werdenden Männer, als diese mich kommen sehen. Ich, in meinem feinen Kleidchen mit dem König im Schlepptau sehe sicherlich vollkommen irre aus.

»Majestät, Prinzessin«, murmeln jene, die noch bei klarem Verstand zu sein scheinen und uns beide erkennen. Der Teil von meinem Gehirn, der noch klar denken kann, ist überrascht, dass diese Männer wissen, wer ich bin. Dass sie mich überhaupt erkennen.

Schon fast habe ich das letzte Pferd erreicht und die Verzweiflung gerät fast schon ausser Kontrolle, als mir ein aschblonder Haarschopf ins Auge fällt. Ein über das Pferd gebeugter männlicher Körper, der sich kaum noch auf dem Tier halten kann. Er ist in ein dunkles Hemd gehüllt, wenngleich man die dunklen Flecken seines Blutes dennoch hindurch drücken sieht, was mich erschreckt, denn sie sind recht frisch. Als ich näher trete, höre ich schwachen, unregelmässigen Atem, dennoch ist er da.

Ich trete noch näher an ihn heran, streiche seine Haare beiseite und mein Herz macht einen freudigen Hüpfer, als es sieht, dass es tatsächlich Fionn ist. Es schreit auf vor Freude, es drückt sich zusammen als ob es in ein Vakuum geraten wäre vor lauter Freude.

Dann plötzlich öffnen sich seine Augen, die Pupillen strumpfen und er scheint mich zu erkennen. Augenblicklich schiessen Tränen in meine Augen und ich beginne wie ein kleines Kind zu weinen an, sodass alle es über die gesamte Wiese hinweg hören können.

Ich lege so sanft ich kann einen Arm um seine Schulter und drücke einen Kuss auf seine Stirn, schluchze in seine Haare, bis mich jemand von ihm wegzieht und ihn ein Vier-Mann-Trupp auf Händen zur Burg trägt.

Shadow of Past - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt