Tödliche Schuld

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Das nächste Mal wache ich wegen einem sich immer wiederholenden, klingelnden Geräusch auf, als ob man mit einem metallenen Gegenstand gegen Wasserleitungen schlagen würde.

Das Geräusch ist schrill und nervig und so penetrant, dass es selbst die Ohnmacht besiegt.

Ich bin überrascht, festzustellen, dass sie mich losgeschnitten haben und ich zusammengesunken auf dem Boden liege. Halbnackt, nur mit einem viel zu grossen Hemd bekleidet, von oben bis unten dreckverschmiert und bibbernd vor Kälte.

Ausserdem empfinde ich inzwischen nicht einmal mehr Hunger, stattdessen hockt da ein dumpfes Gefühl in meiner Magengrube; blanke Leere und Erschöpfung.

Die Hälfe der sichtbaren Fläche meiner Haut ist blutverkrustet. Was vermutlich ein gutes Zeichen ist, denn dies bedeutet, meine Handgelenke haben aufgehört zu bluten. Langsam setze ich mich unter atemberaubenden Schwindelgefühlen auf, damit ich meinen geschundenen Körper unter Augenschein nehmen kann. Doch es dauert einen Moment bis ich tatsächlich klar sehen kann, denn aufgrund der ganzen Mängel fällt es mir noch immer schwer klar zu sehen.

Tiefe Furchen graben sich gleichermassen in meine Handgelenke. Wenn ich mich nicht täusche, bis auf das Weiss des Knochens runter. Doch darüber hat sich bereits eine feine, sensible Schicht gebildet und eine Menge Säure wabert um die stark geröteten und noch immer blutenden Wunden.

Beinahe muss ich mich übergeben bei dem Anblick.

Herrgott noch eins, wie sehr habe ich mich denn gewehrt, dass diese Seile sich dermassen in mein Fleisch bohrten?

Suchend schaue ich mich in dem Kerker um, um nach einem plausiblen Verband oder dergleichen Ausschau zu halten. Doch es sieht nicht danach aus, als ob ich etwas finden würde, dass ich auch nur ansatzweise dafür verwenden könnte. Nicht weiter verwunderlich, natürlich.

Also inspiziere ich das einst weisse, inzwischen verdreckte Hemd nach der saubersten Stelle an dessen Saum und reisse einen Streifen ab. Jede Drehung, selbst einfache Bewegungen schmerzen so sehr, dass ich mir überlege, einfach nichts zu tun.

Doch ich weiss, dass wenn ich die Wunden nicht verbinde, entzünden sie sich, oder ich bekomme eine Blutvergiftung oder dergleichen. Das wäre ehrlich gesagt sehr wahrscheinlich, denn hier unten scharrt es praktisch vor Dreck. 

Ich zerreisse den Streifen in der Mitte und beginne dann je einen um je eines meiner Handgelenke zu binden, so gut es geht und mit so wenig Belastung wie nur möglich. 

Dann muss ich mich erst einmal zurücklehnen und erschöpft durchatmen. Ich drehe den Kopf zur Seite und bemerke einen sitzenden, steifen Körper zu meiner Rechten. Er schläft, das kann ich an seiner sich regelmässig hebenden Brust erkennen. 

So geschwind es mein Körper zulässt, robbe ich zu ihm herüber und lege eine Hand an an seine Schulter. Ich berühre die starke Sehne an seinem Hals und die Wärme, die diese ausstrahlt, gibt mir sofort so etwas wie Sicherheit. Auch wenn das irgendwie absurd ist... 

Ich schaue auf, seine Augen flackern aufgrund meiner Berührung, und dann dreht sich sein Kopf in meine Richtung und sein Blick klärt sich bis er mich ansieht. Seine ausgetrockneten Lippen verziehen sich leicht bis ein sanftes Lächeln entsteht. »Du bist endlich wach.«

»Du bist endlich wach«, erwidere ich. »Ich habe gefühlte Tage gewartet.«

»Sie haben dich losgebunden, da war ich bereits wach«, sagt er. »Ich konnte nicht zu dir rüber kommen, weil ich gefesselt bin.«

Ich nicke, ohne etwas zu sagen. Mir fehlt sogar die Kraft, zu sprechen. 

»Wie geht es deinen Handgelenken?«, fragt er schliesslich und schaut auf die provisorischen Verbände herunter, die ich mir selbst angelegt habe. »Ich kann nicht glauben, was du dir da angetan hast.«

»Ein Glück, dass du die meiste Zeit nicht da warst und wenn schon, warst du bewusstlos. Sonst hättest du mich noch angeschrien«, meine ich schulterzuckend, wobei ich sogleich schmerzlich das Gesicht verziehe, wegen der unbedachten Bewegung. 

»Das ist nicht witzig, Emma«, sagt Fionn mit seiner typisch besserwisserischen Stimme. Und wäre da Dreiviertel mehr Stärke in seiner Stimme gewesen, hätte er wieder ganz wie der Alte geklungen. Und es hätte sich bei der Diskussion um einen ordinären Streitpunkt handeln können. 

Wenn ich es könnte, hätte ich jetzt ganz beiläufig mit den Schultern gezuckt. Stattdessen werfe ich ihm einen leicht abfälligen Blick zu, auf den ein aufreizendes Augenzwinkern folgt. 

Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung wie meine laszive Mimik und Gestik in diesem widerlichen Loch wirkt, aber ich will es nicht unbedingt sehen. In diesen Genuss kommt nur mein wunderbares Gegenüber, der sogar wortwörtlich geprügelt und geknebelt hübsch aussieht. 

Wobei ich doch zugeben muss, dass er schrecklich aussieht im Gegensatz zu seiner sonst so perfekten Hülle, die jetzt maximal demoliert ist. Und es schmerzt mich regelrecht körperlich ihn auch nur anzusehen. 

»Es tut mir... wahnsinnig leid, dass du meinetwegen solche Qualen erleiden musstest«, sage ich dann. Meine Stimme zittert als ich diese Worte ausspreche, denn erst jetzt wird mir klar, dass mich das schlechte Gewissen plagt. Tatsächlich ist das alles einfach nur meine Schuld. 

Auch das Freya hier eingesperrt ist... Und das Levi tot ist. 

Ein Wunder, dass nicht auch Adelaide auf meine Kosten eine Gefangene von Elizabeth der Ersten ist. Meine Güte, ich kann nicht fassen, dass sie als die jungfräuliche Königin in die Geschichte eingegangen ist. Das impliziert doch, dass sie auch unschuldig, barmherzig und ein einigermassen guter Mensch gewesen ist. Nichts davon entspricht auch nur ansatzweise der Wahrheit und das kann ich mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, obwohl ich mich nur etwa zehn Minuten mit ihr im gleichen Raum aufgehalten habe.

»Emma, du trägst keine Schuld daran«, sagt er. Doch ich erkenne seine Stimmfarbe kaum wieder. Und das erschreckt mich. »Niemand trägt Schuld an der Bürde seiner Geburt. Wir haben uns alle freiwillig und mit voller Überzeugung auf deine Seite gestellt. Wir haben alle geschworen, dich zu beschützen und bei dir zu bleiben, egal was passiert. Das wird sich nicht ändern, auch wenn wir jetzt einen minimalen Rückschlag erleben.«

»Minimal? Wir sind gerade dabei, zu sterben, Fionn.«

Er grinst ein wenig. »Von wegen. Ich bin noch weit davon entfernt, zu sterben.«

Levi nicht, denke ich verbittert und werfe schuldbewusst den Kopf nieder.


Shadow of Past - Band IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt