Der mir fremde Mann, mit düsterem Ausdruck im Gesicht, kommt schnurstracks auf uns zu und deutet mit einem eigenartigen Kopfnicken auf unsere verborgenen Hände in Taschen und Mänteln. Zuerst verstehe ich nicht, was er von uns will, doch dann beginnt Fionn seine Taschen zu leeren.
Dieser Typ will offensichtlich sicher gehen, dass seinen zwei Sternchen nichts geschieht. Ein wenig beleidig schaue ich hinter den breiten Schultern des Bodyguards hervor zu Freya und Levi die in vollkommen unschuldiger Position auf ihren Stühlen sitzen.
»Ist das euer Ernst?«, frage ich skeptisch. Das ist echt lächerlich, als käme einer von uns auf die Idee sie anzugreifen. Also ehrlich.
Freya wirft den Blick nieder, doch Levi nickt ohne ein Zögern. Auf einmal kommt mir der Gedanke, dass er das nur ihretwegen macht.
Ich schnaube, erwidere jedoch nichts. Meist ist es gescheiter, einfach die Klappe zu halten um einem unnötigen Streit aus dem Weg zu gehen. Ich lege meinen Mantel auf den Tisch und lasse alle möglichen Gegenstände daneben fallen: Wurfmesser, chinesische Wurfsterne, einen kleinen Dolch, eine altertümliche Granate, eine winzige Feuerschusswaffe und schliesslich als letztes die messerscharfen Haarnadeln in meinen dunkelblonden Locken.
Nicht nur Freya und ihr Freund, sondern auch Fionn sieht mich überrascht und ein wenig geschockt an. Ich zucke bloss abwinkend mit den Schultern, muss mir dabei jedoch ein Grinsen verkneifen. Es schadet niemals, bewaffnet zu sein. Das habe ich schon immer so gehalten, aber seit dem letzten Mal als ich entführt wurde, habe ich entschlossen, meine voll Körperbewaffnung noch zu verstärken. Möglicherweise übersehen diese schwarzen Garde-Männer das nächste Mal etwas und ich muss mir keine Umstände machen um mich zu befreien.
Der inzwischen komisch dreinblickende Mann, der uns noch immer den Weg versperrt, schaut nur noch auf mich. Sieht auf mich herunter, als wäre ich eine kleine Wanze die er mit dem kleinen Finger zerdrücken könnte. »Hast du noch mehr dabei?«
Ich schüttle den Kopf, kann mich aber nicht überwinden ihm in die Augen zu sehen.
Einen Moment nimmt er mich sogar noch genau unter die Lupe, als würde er mir nicht glauben. Doch noch bevor er etwas sagen kann, tritt Fionn ganz nah an mich heran und zieht mich an sich. »Sie hat nichts mehr, Sie haben mein Wort.«
Schliesslich nickt der Mann, lässt uns damit passieren. Wir treten zu Freya und Levi, die noch immer wortlos an ihrem Teil des Tisches verweilen und uns nun forschend ins Gesicht blicken.
»Wie können wir euch dieses Mal weiterhelfen?«, fragt Levi.
Hat die kleine Lügnerin ihre Zunge verschluckt, oder weshalb spricht sie nicht für sich selbst, denke ich aufgebracht. Erneut flackert Zorn in meinem Bauch auf, der sich heiss und brennend durch meine Eingeweide zu fressen scheint, bis er in meiner Kehle angekommen ist. Immer, wenn ich so wütend bin, möchte ich am liebsten alles hinaus schreien bis mich die Verantwortlichen nicht mehr nerven.
Aber für genau solche Fälle habe ich inzwischen meinen blonden Ritter, der mein beinahe durchbrennendes Temperament zu spüren scheint und immer genau dann einschreiten. Dieses Mal drückt er mich sanft auf einen hölzernen Stuhl nieder, lässt jedoch seine Hand dort liegen.
»Als wir dich das letzte Mal trafen, hast du uns nicht die ganze Wahrheit gesagt, Freya«, beginnt er in freundlichem Tonfall.
Gott, er kann das so viel besser als ich. Ich hätte ihr am liebsten den Hals umgedreht!
Freya nickt und will zum Sprechen anheben, doch Levi unterbricht sie schnell. »Sie ist nicht dazu verpflichtet, wann immer ihr es braucht, zu euren Diensten zu stehen. Sie hat schon genug geopfert... für die schottische Prinzessin.«
Und da bricht es auch schon aus mir heraus. »Falls du die Zeit verfolgt hast, würdest du wissen, dass ich auch Engländerin bin, du Pfeifenkopf. Und was ist los mit dir, Freya? Zuerst lügst du mir direkt ins Gesicht, dann kannst du nicht einmal mehr für dich selber sprechen um dich zu verantworten?«
Levi steht auf, sieht mich mit einem wutentbrannten Blick in den Augen an und scheint mich ebenso anschreien zu wollen, wie es in mir brennt es zu tun. Er wirkt, als ob er kurz davor wäre, seine Beherrschung komplett zu verlieren. Sein Verhalten zeigt deutlich, dass er und sie nicht einfach nur Freunde und Weggefährten sind.
Doch noch bevor er etwas sagen kann, steht Freya bestimmt auf und ruft: »Es reicht! Emma, ich würde gerne unter vier Augen mit dir sprechen. Jetzt.« Sie geht in den hinteren Teil des Weinkellers, der im Schatten versinkt. Ich kann sie nicht mehr erkennen, doch es knarzt laut, sodass ich davon ausgehe, dass sich dort ein weiterer Raum befindet.
Ich stehe zögerlich auf und werfe Fionn einen fragenden Blick zu. Dieser nickt. Dann laufe ich Freya hinter her. Noch bevor ich die Tür hinter uns schliessen kann, ruft Levi: »Aber wehe du hast eine Waffe dabei.«
Ich ignoriere seine Frechheit. Als würde ich Freya etwas anzutun. Nichts desto trotz hat sie einst mein Leben gerettet und dafür werde ich ihr immer dankbar sein, auch wenn mich ihre Geheimniskrämerei unfassbar nervt.
DU LIEST GERADE
Shadow of Past - Band I
FantasyEmma Sinclair fühlt sich durch die unerbittliche Strenge ihrer Mutter, der ständigen Forderung ihres Vaters und der Jahrhunderte alten Bürde, die auf ihr lastet, mehr und mehr einsam und verwirrt. Sie weiss nicht, wer sie ist und wohin sie gehört. S...