»Also«, beginnt Fionn, als dieser plötzlich neben mir steht, »wie kann es sein, dass wir uns hier ganz per Zufall treffen?«
Ich schaue zu ihm herüber, ein wenig durcheinander. Was soll das denn? Will er damit etwa andeuten, dass es sich von meiner Seite aus um keinen Zufall handelt? »Wie bitte?«
»Verfolgst du mich, oder was?«, kommt die nächste freche Frage aus seinem Mund.
Ich hebe fragend eine Augenbraue. Aufgrund seiner rüden Unterstellung fühle ich mich etwas unwohl. »Das soll wohl ein Witz sein?!«
»Naja, ich finde das kann kein Zufall sein, ganz einfach«, meint er schulterzuckend, als wäre es die einfachste Feststellung der Welt.
»Ich besuche eine Verwandte... das mache ich sehr oft. Kannst sie gerne fragen. Mal im Gegensatz zu dir, immerhin bist du ziemlich weit weg von Zuhause, oder etwa nicht?« Ich finde es beinahe ein wenig unerhört, wie er mit mir spricht. Aber vielleicht denkt er sich, dass ich nur eine Sinclair bin - so oder so Abschaum in der Gesellschaft der Zeitreisenden.
»Oh, daran hege ich keinen Zweifel«, sagt er, »dass sie mir deine Geschichte bestätigt.«
Ich drehe mich empört zu ihm herum und sehe ihn mit weit geöffneten Augen an, damit er merkt, dass ich ihn unhöflich finde. »Ich muss mir das von einem wie dir sicherlich nicht anhören! Wenn du aufgeblasener Idiot denkst, dass ich nichts besseres zu tun habe, als dir hinterher zu spionieren, dann lasse ich dich gerne in dem Glauben und gehe meines eigenen Weges. Guten Abend, Sir«, sage ich zu ihm, neige kurz den Kopf und gehe dann ohne einen weiteren Blick zurückzuwerfen.
Ich steige die wenigen Stufen nach oben raus aus dem Pub an die frische Luft, wo noch immer eine Menge junger Leute herumlungern und sich lachend unterhalten. Es ist eine durch und durch ausgelassene Stimmung. Ich gehe einige Schritte weg vom Eingangsbereich und lehne mich genervt an die Backsteinmauer des Lokals. Schaue nach oben, in den Himmel, wo die Sterne nur dürftig durch das elektrische Licht der Stadt hindurch zu scheinen vermögen.
Es ist schon sehr merkwürdig, dass Fionn Mckenzie und ich am genau gleichen Stichtag im genau gleichen Jahr gesprungen sind. Aber wie bereits offengelegt, habe ich Grund mehr hier her zu kommen. Ich frage mich, was er mir zu unterstellen versucht. Denkt er etwa, ich würde beabsichtigen alles Wissenswerte aus ihm herauszubekommen? Ich interessiere mich absolut nicht für ihn oder seine Familie. Abgesehen vom Hören seines Namens, habe ich auch überhaupt keine Ahnung, wer diese Mckenzie's überhaupt sind.
»Weisst du, deine Familie ist seit Jahrhunderten Gespräch. Ich finde es merkwürdig, dass ich ausgerechnet dich in der Vergangenheit antreffe, wo du doch die Einzige bist aus der aktuellen Generation der Sinclair's, die Springen kann«, fährt er unser Gespräch fort, nachdem er sich offensichtlich seinen Weg ebenso aus dem Lokal gemacht hatte.
Wie es scheint, sind ihm die Grenzen anderer vollkommen egal, oder aber er besitzt nicht genug Sozialkompetenz um diese überhaupt zu erkennen. Beides nicht sonderlich charmant, aber durchaus plausibel.
»Es ist mir wirklich egal, was du über mich denkst. Ich bin solche Anschuldigungen gewohnt und kann inzwischen gut darüber hinweghören. Ausserdem lasse ich mich von einem Schnösel wie dir nicht provozieren oder gar beleidigen«, erwidere ich ein wenig schnippisch. Wütend macht er mich trotz all meinen noblen Worten schon. Was soll ich dagegen machen? Diese Feindseligkeit, in die ich hineingeboren wurde, habe weder ich verschuldet noch weitergetrieben. Trotzdem muss ich sie ausbaden, aufgrund eines Namens, den ich noch vor meiner Geburt getragen habe.
Als ich ihm einen Blick zuwerfe, sehe ich, dass da ein Lächeln in seinen Mundwinkeln hängt. »Ich bin beeindruckt. Ja, wirklich. Es muss schwierig sein, die einzige Zeitreisende in einer Familie zu sein, die so viel zu beweisen hat.«
Ich schnaube. Was will dieser Kerl eigentlich von mir? Es fühlt sich wie eine Prüfung an, denn nach Worten der Provokation folgen nun Worte der Versöhnung? Das scheint mir wenig logisch.
»Ich bin nicht die Einzige.«
»Aber die Einzige, die brauchbar ist. Das wissen deine Eltern ebenso wie du. Ich hatte heute Nachmittag das Vergnügen, deinen Vater kennenzulernen. Er fühlt sich sichtlich unwohl in seiner Haut. Du hingegen scheinst dich nicht wirklich an dem Londoner Zirkel zu stören: Weder an fiesen Blicken noch unhöflichen Worten. Und das obwohl jeder doppelt so viel von dir erwartet als von jedem anderen.«
Ich höre ihm geduldig zu bis seine Worte enden. Dann trete ich einige Schritte näher an ihn heran, schaue ihm in die Augen, um meine folgenden Worte zu unterstreichen. »Jetzt hör mir mal zu, Mckenzie. Du weisst nichts über mich oder meine Familie. Ich wette, du weisst auch nicht wirklich viel darüber, was der Grund für all diese Unannehmlichkeiten ist, die uns Tag für Tag das Leben schwer machen. Aber das ist mir alles egal. Du kannst dem inneren Zirkel sagen, dass ich hier nichts verbreche, sondern nur eine Verwandte besuche. Wie ich es immer in diesem Jahrzehnt tue. Und jetzt lass mich in Ruhe, du beginnst mich fürchterlich zu nerven«, lasse ich ihn wissen, drehe mich dann demonstrativ um, damit er endlich verschwindet. Aus dem Augenwinkel jedoch kann ich sehen, dass er erneut ansetzen will um etwas darauf zu erwidern.
»Du weisst wirklich rein gar nichts über die Wahrheit, oder?«, fragt er, jedoch so leise, dass es so klingt, als würde er mehr zu sich selbst sprechen. Es klingt auch so, als wäre er überrascht über diesen neuerworbenen Zustand.
Seine Worte verwirren mich, denn das würde ja bedeuten, dass er mehr über mich weiss, als ich selbst.
Ich sehe ihn erneut an, will etwas sagen, doch komme nicht weit in diesem Vorhaben, denn da kommt Louisa aus dem Pub geschossen, sieht sich suchend um und kommt dann breit grinsend auf mich zu.
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Shadow of Past - Band I
FantasyEmma Sinclair fühlt sich durch die unerbittliche Strenge ihrer Mutter, der ständigen Forderung ihres Vaters und der Jahrhunderte alten Bürde, die auf ihr lastet, mehr und mehr einsam und verwirrt. Sie weiss nicht, wer sie ist und wohin sie gehört. S...