- Kygo, Selena Gomez - It ain't me -
Ich runzle die Stirn und sehe erneut auf meinen Plan. Ich bin hier richtig, aber irgendwie bin ich mir nicht ganz sicher, wohin ich nun weitergehen muss. Der blöde Weg, der auf dem Gebäudeplan der Uni verzeichnet ist, liegt nicht so wie ich es eigentlich erwarte vor mir.
Frustriert seufze ich heute bestimmt schon zum dreißigsten Mal und fahre mir mit Sicherheit schon zum hundertsten Mal durch die Haare, die mittlerweile wahrscheinlich eher nach dem Fell eines wilden Tieres aussehen, als nach der Frisur für die ich mich heute morgen nach etwa zwanzig mühseligen Minuten entschieden habe.
Ich drehe mich einmal um mich selbst, um sicher zu gehen, dass ich nicht bloß mit dem Rücken zu dem gesuchten Gang stehe. Dabei fällt mein Blick auf eine Dreiergruppe von Jungs, die sich in nicht allzu großer Entfernung von mir befanden. Zwei von ihnen gehen vorne und haben es scheinbar ziemlich eilig, so wie ich, doch der dritte geht in gemächlichem Tempo hinter ihnen her und lächelt zu mir rüber.
Ich bin so überrascht von dieser Geste, dass mein innerer Instinkt mich dazu treibt, mich augenblicklich wegzudrehen. Ich bin nicht besonders gut im Umgang mit anderen Menschen. Ich bin an sich eher schüchtern. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb ich bis jetzt immer noch keinen Freund gehabt habe.
Versteht mich nicht falsch - es ist nicht so, dass ich keinen Freund haben möchte. Es ist nur einfach so, dass ich eher ein unauffälliger Typ von Mädchen bin. Ich wurde in meinem Leben insgesamt von zwei Typen angesprochen. Der eine war vollkommen betrunken und kam mir die ganze Zeit viel zu nah. Der andere war eigentlich ganz nett, aber ich wusste einfach nicht, worüber ich mit ihm reden sollte.
Wir haben vorher schon viel über Whatsapp geschrieben, was auch echt Spaß gemacht hat, doch kaum haben wir uns getroffen, habe ich mich unwohl gefühlt. Ich selbst habe viel zu viel Angst einen Fremden anzusprechen, weshalb ich die Sache mit den Jungs mittlerweile als etwas nahezu Unmögliches abgetan habe. Ich wünsche mir immer noch, etwas mehr wie meine beste Freundin zu sein, denn sie ist schon immer offen gewesen, macht alles mit, ob es ums Trinken oder Party machen geht, sie ist immer dabei. Eigentlich ist sie das komplette Gegenteil von mir.
Ich frage mich, wie sie es immer schafft, so locker mit den Leuten zureden und wie sie es fertig bringt, dass es ihr nie an Worten fehlt.Ich beneide Leute, wie sie, um ihre lockere Art.
Plötzlich werde ich wieder in die Gegenwart zurück katapultiert, als mir jemand auf die Schulter tippt. Erschrocken fahre ich herum. Der Lächel-Typ steht mir gegenüber. Ich spüre, wie mir augenblicklich die Nervosität die Wirbelsäule hinaufkriecht, versuche diese jedoch mit einem Lächeln zu kaschieren.
Ich werfe einen Blick hinter ihn. Seine Freunde stehen mit leicht genervten Blicken, ein Stück abseits und schauen in unsere Richtung.
»Hey- du bist neu hier«, stellt er eher fest, als dass er es fragt. »Ist das so offensichtlich?«, frage ich, ein wenig peinlich berührt. Schmunzelnd beginnt er zu nicken. »Du scheinst ziemlich verloren zu sein. Wo musst du denn hin?«, fragt er schließlich freundlich. Ich sehe auf meinen Plan und krame dann in meiner Tasche, um nach dem Stundenplan zu suchen, wo der Name des Raums drauf steht.
»Ich muss im Hauptgebäude zu Raum H335«, sage ich, während ich ihm den Plan hinhalte und auf die Spalte deute. Ich kann sehen, wie er leise in sich hinein lacht.
Ich spüre, wie mir die Hitze ins Gesicht steigt. Was hat er? Lacht er mich aus? Weil ich zu dumm bin, um einen bescheuerten Raum zu finden?
»Sorry,aber du bist in der komplett falschen Hälfte des Gebäudes«, meint er und sieht mir ins Gesicht. So geistreich und spontan, wie ich nun mal bin, ist das Einzige, was ich in dem Moment von mir gebe, ein kurzes Ohh.
»Ich zeig dir, wo der Raum ist«, beschließt er. Ich will gerade ablehnen, weil er sicher selbst zu einer Vorlesung muss, aber da dreht er sich bereits zu seinen Freunden um und ruft ihnen zu: »Ihr könnt schon mal gehen, ich komme gleich nach!«
Die Typen nicken ihm zu und gehen schnellen Schrittes davon. »Komm mit!«, sagt er nun zu mir und steuert auf die Treppe nach unten zu unserer Linken zu. Ich beeile mich, zu ihm aufzuschließen. Als ich wieder neben ihm laufe, sage ich ein wenig schüchtern: »Du musst mich nicht dorthin bringen, sag mir einfach, wo der Raum ist. Das wäre schon echt nett. Du musst doch bestimmt auch zu einer Vorlesung.«
Ersieht von meinem Stundenplan auf, den er gerade studiert hat und lächelt mich wieder an. Mir fällt auf, was für gerade, weiße Zähne er besitzt. Ich wollte auch schon immer solche Zähne haben,aber der Zahnarzt hatte gesagt, dass die Krankenkasse keine Zahnspange bezahlen würde, da meine Zähne nicht schief genug seien, sodass eine Zahnspange nicht von Nöten sei.
»Ich schaff' es schon noch rechtzeitig! Ist kein Problem. Außerdem hätte ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich dich wieder ganz dir selbst überlasse. Du, naja, du hast die Karte die ganze Zeit falsch herum gehalten!«, er beißt sich auf die Lippe, um das erneut aufkeimende Grinsen zu verbergen.
Ich sehe beschämt auf meine Füße. Er hält mich wahrscheinlich für komplett bescheuert. Ich meine, ich würde mich selbst für bescheuert halten, wenn ich mich mit einer falsch herum gehaltenen Karte hätte rumlaufen sehen.
Eigentlich bin ich nicht dumm. In der Schule war ich meist eine der Besten. Mein Durchschnitt lag immer unter 1,5 und mein Abi habe ich mit einem Schnitt von 1,0 absolviert. Doch für alltägliche Dinge, wie Kartenlesen oder sowas in der Art, bin ich einfach nicht zu gebrauchen.
Der Typ neben mir stupst mich vorsichtig am Arm an und sagt: »Hey - ist doch nicht schlimm, passiert jedem mal.« Mir fällt ein kleiner Stein vom Herzen, da er scheinbar echt nett ist. Doch ich bin mir jetzt schon bewusst, dass ich mit einem Typen wie ihm, niemals befreundet sein werde. Dazu ist er viel zu sehr der Redner-Typ und bis ich wirklich anfange mit Leuten zu sprechen, die ich neu kennenlerne und mich ihnen öffnen kann, haben diese schon keine Lust mehr auf mich und längst die Flucht ergriffen.
»Wie heißt du eigentlich?«, fährt er unbeirrt fort. Scheinbar scheint es ihn nicht zu stören, dass ich so schweigsam bin. Noch nicht.
Ich schlucke bei dieser Frage. Ich hasse meinen Namen. Ich weiß, ich komme jetzt wahrscheinlich, wie die totale Nörglerin rüber, aber so bin ich nun mal. Ich hab einfach das Gefühl, dass nichts an mir wirklich genug ist. Mir spukt in solchen Momenten immer ein Spruch durch den Kopf, den ich, glaube ich mal auf Pinterest gelesen habe. Er beschreibt genau das, was ich fühle. Auf dem Bild standen Dinge wie not pretty enough, not exciting enough, not out-going enough und einiges mehr und der Abschluss war just.... not enough. Und genau das ist es, was mich an mir selbst stört. Ich bin nicht genug - ich reiche nicht, um die verflucht hohen Anforderungen der Gesellschaft zu erfüllen.
Vielleicht rührt dieses Gefühl daher, dass ich oft ziemlich stark zum Perfektionismus neige. Wenn ich etwas tue, will ich es richtig tun und ertrage es nicht, wenn es mir nicht wirklich perfekt gelingt.
»Ich bin Killian«, sagt der Junge neben mir plötzlich, ohne dass ich ihn nach seinem Namen gefragt habe und reißt mich damit aus meinen Gedanken. Er lächelt ein wenig unsicher und ich bringe ebenfalls ein mühsames Lächeln zustande, auch wenn es mir wirklich peinlich ist,dass ich ihm nicht geantwortet habe.
»Ich bin Anna-Lena... aber Anna reicht vollkommen«, setze ich als Antwort schnell hinterher. Sein Lächeln wird augenblicklich wieder ein wenig strahlender.
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If You Stay
ChickLitABGESCHLOSSEN (22.09.2018) Anna Lena hat eine Geschichte, die sie zu der gemacht hat, die sie heute ist. Schüchtern, introvertiert und unerfahren. Diese Geschichte hat sie nach Berlin geführt, wo die junge Studentin sich dem Unileben stellt. Es daue...