If You Stay

~66~

Scott Glasgow - Love Is Hell

»Alli? Was, zur Hölle, war das?«, frage ich mit bebender Stimme und stütze mich auf dem Küchensims ab. Tränen sammeln sich in meinen Augen und die Schuld, die ihr ins Gesicht geschrieben steht, lässt das Gefühl, dass ich verraten worden bin, immer stärker werden.

»Ich - ich kann es dir nicht sagen! Du kennst die Geschichte nicht! Du solltest zu Nash gehen - er wird es dir erklä-«, beginnt sie und macht einen Schritt auf mich zu. »Ich will aber, dass du es mir jetzt sofort erklärst! Was ist hier los, verdammt nochmal?«, unterbreche ich sie.

»Es steht mir nicht zu, dir die Geschichte zu erzählen! Es tut mir so unendlich leid, Anna! Was auch immer er dir über meinen Part in der Sache erzählen wird, es war nur am Anfang so! Später nicht mehr. Ich schwöre es dir und ich habe ihm auch nichts erzählt! Nichts privates!«, sagt sie schluchzend und will nach meinem Arm greifen, doch ich ziehe ihn weg.

»Was - was meinst du? Ich verstehe gar nichts mehr!«, sage ich und habe das Gefühl unter Wasser gezogen worden zu sein. Irgendwie klingt alles dumpf und ich habe einen ungeheuren Druck auf den Ohren. »Er erklärt es dir! Bitte hass* mich nicht! Gib mir die Chance, dir alles zu erklären, wenn er es dir erzählt hat. Meine Seite der Geschichte!«, sagt sie.

Ich schüttle nur völlig verwirrt den Kopf und taumle rückwärts aus dem Raum. Mein Kopf ist wie leergefegt. Ich kann nicht mehr denken und um mich herum dreht sich alles. Wie konnte mir entgehen, dass Nash und Alli sich kennen? Warum hat mir niemand etwas gesagt?

Wäre Alli nicht lesbisch, würde ich denken, dass sie etwas mit ihm hat. »Versprich mir, dass wir danach reden!«, sagt sie und folgt mir bis zur Tür. »Ich verspreche gar nichts, solange ich nicht weiß, was hier los ist!«, sage ich und verlasse ohne ihre Antwort abzuwarten das Haus. Das zweite Mal heute, gehe ich einfach. Das zweite Mal, fühle ich mich von jemandem, dem ich nahe stehe, verraten.

Es dauert eine Weile bis ich durch den Verkehr zu Nash durchkomme. Meine Gedanken wirbeln die ganze Fahrt lang wild durcheinander. Als ich aussteige, habe ich es gerade wieder geschafft, die Tränen hinunterzuschlucken. Ich klingle und die Tür summt sofort. Ich sprinte die Treppen des Treppenhauses hoch und er wartet schon.

»Ich weiß nicht mal, ob ich es wirklich hören will!«, sage ich und scheitere ein weiteres Mal daran, meine Stimme ruhig klingen zu lassen. Nash sagt nichts. »Erzähl mir, was hier los ist! Woher kennt ihr euch und was geht hier vor?«, frage ich. »Komm erstmal rein«, sagt er leise und sein Gesichtsausdruck macht mir irgendwie Angst. Ich habe ihn so noch nie gesehen.

Ich gehe an ihm vorbei und bleibe im Flur stehen. Ich verschränke die Arme vor der Brust. Ich weiß, dass mich das vor nichts schützen wird, was ich gleich hören werde, aber ich habe so irgendwie ein Gefühl von Sicherheit.

Nash schließt die Tür und vergräbt seine Hände in den Hosentaschen. Er sieht mich das erste Mal seit ich ihn kenne, nicht an. Er schaut auf den Boden - schafft es nicht, mir in die Augen zu sehen.

»Hör zu, Anna. Ich weiß, dass du sauer sein wirst, aber bitte hör mir bis zum Ende zu, ok?«, fragt er. Hilflos zucke ich mit den Schultern und da er mich ja nicht ansieht, sage ich tonlos: »Ich werde es versuchen!«

Er nickt. »Also schön - du erinnerst dich, dass du Alli auf der Party am See kennengelernt hast?« Endlich schaut er auf und die Reue, die Angst und der Schmerz, der sich deutlich in seinen Augen abzeichnet, erschlägt mich fast.

»Natürlich!«, sage ich. »Naja, sie war nicht zufällig da! Ich habe gehört, wie Camille und Lola sich im Treppenhaus über die Party unterhalten haben und dass du auch hingehen würdest. Ich dachte, dass das vielleicht eine gute Möglichkeit wäre, euch kennenzulernen. Erinnerst du dich daran, als du nach unserem 'Treffen unter Freunden' deine Tasche holen musstest und ich bekifft und verprügelt in der Wohnung saß?«, fragt er.