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Gary Jules - Mad World

Ich bin sauer auf Nash. Und verletzt. Und fühle mich betrogen. Doch sein Leid ist schlimmer als meins. Bei mir ist das Leid temporär. Bei ihm permanent. Er hat seine Schwester verloren. Wegen einem Arschloch, das nicht mal dafür bezahlt hat.

Ich kann ihn jetzt so viel besser verstehen. Ich verstehe, warum er jeden Studenten so verabscheut. Ich verstehe, warum er damals betrunken im Treppenhaus saß. Ich verstehe, warum er tut, was er tut. Verstehe, was ihn dazu gebracht hat, Drogen zu verkaufen und nichts weiter zu tun, als das.

Seine Lippen sind meinen ganz nah. Ich will ihn küssen. Möchte ihn trösten. Doch ich habe Angst, dass er mich wegstößt. Schließlich sind wir kein Paar und ein Kuss ohne Sex passt nicht zu unserem Deal.

Ich sehe ihm in die Augen. Er erwidert meinen Blick. Wir haben immer noch die Arme umeinander geschlungen. Wir geben uns Halt und ich möchte nicht mehr in die Geste hinein interpretieren, als dass eine gute Freundin einem guten Freund beisteht - doch ich kann es nicht... es fühlt sich einfach nach mehr an. Ich kann ihn nicht nur als Freund sehen.

Er streicht mir über die Haare und beugt sich noch ein Stück tiefer zu mir herab. Ich sehe, dass er Tränen in den Augen hat, die er jedoch schnell wegblinzelt. »Hey, Kleines. Du solltest nicht weinen. Es ist doch nicht deine Schwester!«, sagt er leise und versucht sich an einem Lächeln, was ihm misslingt.

Unsere Nasenspitzen berühren sich fast. Ich recke den Kopf ein bisschen, auch wenn das vielleicht eine dumme Idee ist. Sie berühren sich schließlich. »Ich weiß - aber - aber es tut mir so leid für dich. Das muss so schlimm für dich gewesen sein - und ist es wahrscheinlich immer noch!«, sage ich und höre, dass meine Stimme immer noch ganz belegt klingt.

Er lächelt leicht. Es ist ein trauriges Lächeln. Dann senkt er die Lider und ich sehe, wie eine einsame Träne über seine Wange läuft. Es bricht mir das Herz ihn so zu sehen. So am Boden zerstört. Und dann liegen seine Lippen plötzlich auf meinen.

Ich lege meine Hand an seine Wange und wische die Träne mit dem Daumen weg. Ganz zart und sanft bewegen sich unsere Lippen aufeinander. Dieser Kuss geht so viel tiefer, als alle zuvor. Es ist nicht die übliche Lust und Leidenschaft, die uns verbindet. Dieser Kuss ist zärtlich - tröstend - gibt uns beiden Halt.

Er zieht mich enger an sich und ich spüre seinen warmen Atem an meiner Wange. Mein Herz klopft wahnsinnig schnell und ich will ihn nie wieder loslassen. Ich habe das Gefühl ihn langsam zu kennen. Nicht nur die Fassade - sondern seinen Kern. Schleichend macht sich eine prickelnde Wärme in meinem Körper breit.

Vorsichtig lösen wir uns voneinander. Wir schweigen. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. »Anna?«, fragt er schließlich. Ich nicke. »Der Kuss - ich - du musst verstehen, dass ich keine Beziehung möchte. Ich kann mich einfach nicht mehr binden. An niemanden. Ich will nicht, dass du hier irgendwas missverstehst - es tut mir leid, ich hätte nicht-«, ich unterbreche ihn. Auch wenn ich das Gefühl habe, dass er dem, was von meinem Herzen noch übrig geblieben ist, gerade den finalen Tritt zu einem einzigen Scherbenhaufen gegeben hat, sage ich: »Ich weiß, Nash. Es ist ok!« Nein ist es nicht! »Ich kann das akzeptieren!« Nein kann ich nicht! »Hörst du? Ich kann damit leben, wie es jetzt ist!« Nein kann ich nicht!

Er nickt. »Ich sollte jetzt gehen. Ich denke es ist alles gesagt, was ausgesprochen werden musste. Danke, dass du ehrlich zu mir warst, aber - und das hat jetzt nichts mit dem Kuss zu tun - wir sollten uns in nächster Zeit vielleicht nicht treffen. Ich muss mir alles, was passiert ist, erstmal durch den Kopf gehen lassen. Ich brauche Zeit, um dir das alles vergeben zu können. Ich brauche Zeit, um mir im Klaren darüber zu werden, wie es mit Alli und mir weiter geht!« Nash nickt: »Ich weiß, Anna. Nimm dir die Zeit, die du brauchst!«

Ich drehe mich um und verlasse die Wohnung. Es ist seltsam, wie einen wenige Minuten verändern können. Wie man innerhalb von ein paar Minuten eine völlig neue Sicht auf Dinge erhalten kann.

Als ich zu Hause ankomme, falle ich, obwohl es erst Nachmittag ist, völlig ausgelaugt in mein Bett. Ich bin mental einfach nur am Ende.

***

Die nächsten zwei Tage bleibe ich zu Hause. Uni hin oder her. Ich überlege, als was ich Alli von nun an sehen soll. Sie wollte sich unbedingt mit mir treffen, um mit mir über alles zu reden, aber ich weiß, was sie sagen wird. Sie hat es ja schon gesagt, nur, da habe ich es noch nicht verstanden. Es war nur anfangs Nashs Auftrag und später echt. Sie hat Nash nur die wichtigen Dinge erzählt. Vermutlich weiß er nichts von all den Gesprächen über ihn. Dass ich ihn vielleicht doch mehr mag, als ich zugebe, doch jetzt ist es sowieso gleich. Schließlich ahnt er so oder so etwas. Dass meine Gefühle mittlerweile über reine Lust oder Freundschaft hinausgehen, ist ihm wahrscheinlich schon seit dem Krankenhaus klar.

Aber trotzdem fühle ich mich betrogen. Ich will Alli nicht verlieren, aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, nicht mehr einschätzen zu können, was für eine Person sie ist. Ich bin kein einziges Mal misstrauisch geworden, in der ganze Zeit, in der sie mit Nash unter einer Decke gesteckt hat. Das beweist, dass sie wirklich gut im lügen und im Dinge verstecken ist.

Ich gebe mir schließlich jedoch einen Ruck, denn ich muss an all die Bücher denken, in denen ich von ähnliche Szenarien gelesen habe und mich immer aufgeregt habe, wenn eine Freundschaft an sowas zerbricht. Vielleicht ist es naiv zu denken, dass das Leben, wie im Buch sein könnte, aber ich habe Alli gern. Und würde sie sich denn bemühen, alles zwischen uns ins Reine zu bringen, wenn ich ihr egal wäre?

Seufzend ziehe ich mein Handy vom Ladekabel, denn es ist aufgeladen. Ich gehe auf Whatsapp und schreibe ihr: Hey Alli, wollen wir uns heute Nachmittag um vier bei dir treffen und reden?

Ich brauche nicht lang auf die Antwort zu warten. Ja, klar gerne. Danke, dass du mir die Chance dazu gibst. Bis später.

A.N.:
Heyho meine Lieben,
Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen, auch wenn es nicht ganz so spektakulär war. Wenn ja, lasst doch einen Vote da, ich würde mich freuen❤

 Wenn ja, lasst doch einen Vote da, ich würde mich freuen❤

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