>J Balvin, Willy William - Mi Gente<
Ich spüre zum ersten Mal in meinem Leben, dass meine Aufregung die Angst überwindet. Jedenfalls ist das momentan noch der Fall. Ich wiederhole immer wieder den Satz, den mir meine beste Freundin schon zuvor eingebläut hat. Ich sehe gut aus und bin nicht overdressed!
Ich muss trotzdem nochmal tief durchatmen, bevor wir aus dem Bus steigen, der an der Haltestelle nicht weit vom Club entfernt, hält. Mit wackligen, leicht zitternden Beinen steige ich hinter meiner besten Freundin und den Anderen aus dem Bus.
Schon von Weitem kann ich die lange Schlange vor dem Club stehen sehen. Hunderte Mädchen mit perfekt sitzenden Kleidern, die wie angegossen zu ihren makellosen Körpern passen. Ich spüre wie mein innerer Trieb mich zum Umkehren drängt, aber ich muss ihm entgegen wirken. Ich sehe gut aus und neben diesen Girls ganz sicher nicht overdressed! Ich sehe gut aus! Ich sehe gut aus! Ich sehe-
»Anna? Alles okay?«, durchbricht Katrin mein inneres Mantra. Ich nicke schnell. Ich werde das schaffen. Clara schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln und drückt meine Hand. Ich hole nochmal tief Luft und bemühe mich, die murrenden Leute nicht anzusehen, als wir einfach an ihnen vorbeigehen.
Alex Kumpel hat ihm gesagt, dass er einfach vorne Bescheid sagen soll, dass er sein Freund ist und wir dann auch ohne anstehen reinkommen. Und so ist es. Der Club wird nur von den flackernden Lichtern erhellt. Die Luft ist bereits stickig und es ist brechend voll. Es scheint, als gäbe es kein freies Plätzchen auf der Tanzfläche mehr und auch an der Bar tummeln sich die Menschen. Wir schieben uns durchs Gedränge.
»Ich würde sagen, wir holen uns erst mal etwas zu trinken!«, schlägt Alex grinsend vor und fügt dann hinzu: »Ich gebe aus!« Es dauert eine Weile, bis er es schafft zu bestellen, doch als er fünf Kurze bestellen will, meint Clara: »Vier reichen! Anna trinkt nicht!« Alex scheint überrascht und irgendwie ärgert es mich, dass Clara das einfach so für mich entschieden hat. Ich habe immer noch einen eigenen Mund zum Sprechen. Alex will seine Bestellung gerade ändern, da platze ich dazwischen: »Oh nein, ich möchte das auch mal probieren!« Nun sehen mich alle überrascht an, insbesondere Clara, die auch ein wenig skeptisch drein blickt.
»Du musst das nicht tun! Du brauchst niemandem was zu beweisen, Anna! Man muss keinen Alkohol trinken, um Spaß zu haben«, sagt sie. »Ich weiß! Ich will es aber!«, erwidere ich entschlossen. Ihre Worte, die sie so offen vor den Anderen an mich gerichtet hat, machen mich, warum auch immer, wütend, jedoch auch entschlossen. Ich will nicht, dass man mich bevormundet. Ich bin zwar schüchtern, aber diese Leute hier sind meine Freunde. Ich kann für mich selbst sprechen.
Ich bin allerdings selbst überrascht davon, dass ich heute Alkohol trinken will und außerdem sauer auf meine beste Freundin werde, die mir doch eigentlich nichts getan hat. Sie macht das, was sie immer tut. Sie will mir bloß helfen.
Als ich das kleine Schnapsglas jedoch in der Hand halte, meldet sich meine innere Stimme zurück. Clara beobachtet mich mit Adleraugen, also kann ich jetzt keinen Rückzieher mehr machen. »Prost!«, meint Dilara und wir stoßen an. Dann kippen alle den Alkohol hinunter. Im ersten Moment, ist es ein ungewohnter Geschmack, aber es ist gar nicht mal so schlecht.
Wir stellen die Gläser auf die Theke und ich spüre, dass das anfängliche Brennen in der Kehle langsam stärker wird. Panik kommt in mir auf. Kann man gegen Alkohol allergisch sein? Nein, nein. Das ist unmöglich! Von so etwas habe ich noch nie gehört. Glücklicherweise wird das Brennen genau in dem Moment schwächer, beziehungsweise nicht mehr schlimmer, als ich Clara danach fragen will, da es sich wirklich unnatürlich angefühlt hat.
»Und jetzt geht es auf die Tanzfläche!«, rufen Dilara und Katrin gleichzeitig. Alex geht fast, wie zufällig neben Clara auf die Tanzfläche und ich bin erleichtert, dass sie nun ihm ihre Aufmerksamkeit schenkt und mich nicht mehr die ganze Zeit so seltsam ansieht. Ich fühle mich zwar immer noch ein wenig unwohl, aber da ich mich heute Abend mal etwas getraut habe, bin ich nicht ganz so unsicher, wie sonst. Es ist ein gutes Gefühl, mal seine Angst vor etwas zu überwinden.

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If You Stay
Chick-LitABGESCHLOSSEN (22.09.2018) Anna Lena hat eine Geschichte, die sie zu der gemacht hat, die sie heute ist. Schüchtern, introvertiert und unerfahren. Diese Geschichte hat sie nach Berlin geführt, wo die junge Studentin sich dem Unileben stellt. Es daue...