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St. Mungos Krankenhaus,
3. April 1952

Romule Lestrange stand im Flur vor einem großen, jungen Mann mit einer schiefen Nase und wässrigen Augen. Sein Haar war hellbraun und wellig, aber sein Gesicht war fest und kontrolliert. Lestranges helle, lindgrüne Roben - die darauf hindeuteten, dass er Heiler war, standen im krassen Gegensatz zu dem dunklen Hemd und der dunklen Hose, die der andere Mann trug. Sie sprachen leise, kurz außerhalb des Patientenzimmers in der Oststation im vierten Stock des St. Mungos.

Romule fuhr sich mit der Hand durch sein Haar und starrte über den Mann hinaus in den langen Korridor. Er hörte nicht auf die verletzenden Worte seines Begleiters. Alles, woran er denken konnte, war, wie hoffnungslos die Situation aussah.

"Lestrange!", zischte der braunhaarige Mann. "Kannst du denn nichts weiter tun?"

Seine Augen verriegelten sich. Romule, der den Mann nicht weiter aufregen wollte, seufzte und antwortete:

"Wir haben alles getan, was möglich ist. Ich habe dafür gesorgt, dass ihr alles gegeben wurde was sie besser fühlen lässt, aber wir werden nicht genau wissen, wie viel Schaden verursacht worden ist, bis sie aufwacht. Ich kann leider auch nicht sagen wann das sein wird. Es könnte in ein paar Tagen sein - es könnten aber auch Monate vergehen. Ich weiß, das ist nicht die Antwort, die du dir vorgestellt hast, aber ich werde dich nicht anlügen und dir sagen, dass es geht ihr gut geht. Wir haben wirklich alles getan was in unserer Macht stand, mein Herr."

Tom Riddle zog presste die Lippen unter dem Einfluss seines gesichtsveränderten Zaubers zusammen und hielt seine Wut zurück.

Er schob Romule aus dem Weg und ging zurück in den Patientenraum. Er knallte die Tür hinter sich zu, um seinen Unmut Lestrange weiter klar zu machen. Aber logischerweise hatte Romule recht. Als sie ankamen, war es eine seiner Krankenschwestern gewesen, die ihnen zu Hilfe gekommen war. Später erfuhr Tom, was für ein Glück sie hatten, denn Lestrange konnte ihre Papiere so schmieden, dass keine Spur von ihrer Ankunft gefunden werden könnte. Er hielt sie auch in einem ungenutzten Zimmer, das ruhig und abgeschieden war und einen schönen Blick auf die Stadtkreuzung unter ihnen hatte.

Tom brauchte nur ein wenig Ruhe und Erholung, also hatte er innerhalb von Stunden sein Bewusstsein wiedererlangt. Eva allerdings, benötigte eine Notoperation und nach drei Tagen war sie immer noch nicht aufgewacht. Tom ging zu einem Stuhl, den er in einem bequemen Ledersessel verwandelt hatte. Er weilte die letzten drei Tage im Krankenhaus und sagte sich, er werde nach Albanien zurückkehren, sobald sie aufwachen würde, um seine Pläne fortzusetzen.

Er spürte den Stich der Ironie, da er sich jetzt um sie kümmern musste, genau wie Eva sich einige Monate zuvor um ihn kümmern müsste.

Aber jetzt wurde er immer frustrierter. Denn sie schlief immer noch. Ihr Kopf war fest mit weißen Stoffstreifen verbunden. Ihr Gesicht war blasser als sonst, aber sie war zum Glück in der Lage selbst zu atmen. Sie trug ein weißes Krankenhauskleid, welches sie noch geisterhafter erscheinen ließ. Ihre schokoladefarbenen Locken waren auf einem weißen Kissen ausgebreitet - eine Krankenschwester hatte einen Shampoozauber durchgeführt, um ihr Haar vor dem Blutbad zu reinigen. Eine winzige Röhre wurde in eine Vene am Arm eingeführt, um eine auf der anderen Seite des Bettes schwimmende Ernährungslösung ihr zu infiltrieren. Magische Monitore kratzten auf unendlichen Pergamentrollen über ihrem Bett und diktierten ihren Puls, ihre Atmung und ihre Hirnaktivität.

Tom setzte sich auf ihre linke Seite und nahm ihre Hand in seine, was seit seiner Einweisung in diesem Raum seine Gewohnheit geworden war. Ihre Haut war wärmer als seine, was im Vergleich zu der Kälte des Krankenhauses tröstlich war. Tom hatte extra Decken für ihre Beine gefordert, die sich am Ende unnötig kratzig herausstellten. Genervt vom St. Mungos dies auch noch selbst tun zu müssen, verwandelte er sie in weiche Wolldecken. Tom ließ geistesabwesend seine Finger über ihre streicheln und fing an ihre unbeweglichen Finger zu untersuchen. Ihre Hände waren kleiner als seine und passten perfekt in seinen. Ihre Haut war trocken, aber immer noch zart bei seiner Berührung. Er hatte ihre Hände in den letzten Tagen so gründlich gemustert, dass er jeden Quadratzentimeter davon kannte. Noch nie hatte er sich geschert, ihre Hände länger als ein paar Sekunden zu halten. Damals, dachte er, war es eine nutzlose Geste. Aber jetzt war es das Einzige, worauf er sich konzentrieren konnte - die Wärme ihrer Haut ließ ihn wissen, dass sie noch am Leben war.

HeirsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt