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Albanien,
10. Dezember 1951


Nach unserem Streit an diesem Morgen flog ich weinend über die Wolken, bis ich keine Tränen mehr hatte. Ich weinte und weinte, ich konnte mich nicht entsinnen jemals so viele Tränen vergossen zu haben. Danach wanderte ich durch die friedlichsten Teile des verschneiten Waldes und erinnerte mich an die schönen Orte, welche ich während meiner Diademsuche entdeckt hatte. Es war erfrischend, in jede Richtung zu fliegen, die mir beliebte und in jeder Geschwindigkeit, die ich wollte.
Als es Mittag wurde, kam ich zu der allumfassenden Erkenntnis, dass ich hier in Albanien feststeckte. Es gab absolut nichts anderes für mich im Rest der Welt. Tom war alles was ich hatte, denn ohne ihn, war ich allein. Ich hatte keine Verwandtschaft und zu meinen Freunden zu gehen, die ihre Hände voll mit Kindern und Babies zu tun hatten, konnte ich mir sowieso nicht vorstellen.

Das führte zu der nächsten Erkenntnis, dass ich irgendwann wieder in unser Haus an der Klippe zurückkehren müsste - Aber ich musste nicht sofort gehen. Ich wusste, dass in einigen Orten kleine Verstecke mit Esswaren gebunkert waren - ich versteckte dort Snacks damit ich nicht immer ins Haus zurücklaufen musste während ich tief in Wald auf Diademsuche war. Mit einem Schwung meines Zauberstabs transportierte ich die Essensreste vor mir und aß mein Picknick auf der Bergseite mit Blick auf das Tal.

Während ich aß, konnte ich nicht anders, als an Tom zu denken und wie hungrig er jetzt wahrscheinlich war. Ich hoffte, er hatte Hunger und ich hoffte, dass es eine schmerzhafte Art von Hunger war.

Die Zeit zu haben, um meinen Kopf frei zu bekommen, machte mich in einer Tatsache sicher: Ich würde es nicht länger tolerieren, so unbedeutend behandelt zu werden - ob er nun Lord Voldemort war oder nicht. Selbst Romule zeigte mir in den letzten Wochen mehr Respekt, als ich von Tom bekommen hatte. Das würde so nicht mehr weitergehen. Mein Herz könnte es nicht länger ertragen. Ich lies dies vielleicht über mich ergehen, als ich jünger war, entschlossen, den Schmerz durchzustehen um zu bekommen, was ich wollte - seine Zuneigung. Jetzt hatten sich meine Wünsche weiterentwickelt. Jetzt wollte ich Respekt - und welcher der nicht durch seine Launen bestimmt wurde.

Ich wog den ganzen Tag die Bedeutung seiner schrecklichen Worte in meinem Kopf ab, aber ich konnte nicht herausfinden, ob er mir die Wahrheit oder Lügen erzählte. Wenn er heute Morgen die Wahrheit gesagt hatte, dass er sich nicht um mich kümmerte und dass ich nur ein Diener für ihn war, dann waren die letzten zwei Jahre eine Lüge. Aber wie könnten diese Jahre eine Lüge sein!

Wie hätte er mich all die Jahre belügen können? Es ist zu wild um sich vorzustellen, dass er seine Zeit damit verschwenden würde, mir was vorzuspielen und mich anzulügen. Seine Gefühle mussten echt sein - aber was war denn das heute Morgen? Wenn die Vergangenheit die Wahrheit war, dann waren seine bitteren Worte heute Morgen wohl eine Lüge.

Aber sein Handeln seit dem gescheiterten Horkrux-Versuch bewies mir seine Gleichgültigkeit. Kann die Wahrheit zur gleichen Zeit eine Lüge sein? War es das eine oder das andere? Liebt er mich oder nicht?

Erst als die Sonne am goldenen Horizont unterging, drückte ich meine letzten Tränen aus. Ich apparierte zurück in die Hütte auf der Klippe in der frühen Dämmerung. Ein Halbmond funkelte mich vom Himmel an, gleichgültig gegenüber meinen Problemen. Ich wollte für immer weglaufen, aber ich konnte nicht. Doch ich hatte Angst, während diesem ungelösten Konflikt ins Haus einzutreten. Wenn Tom wütend ist, ist er unberechenbar und ich wollte mir nicht ansatzweise ausmalen, in was für eine Stimmung er sein würde. Aber ich musste mich überwinden - er könnte mir ohne seinen Zauberstab nichts anhaben.

HeirsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt