~7~ Der Playboy

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Lysanders Sicht

Ich knallte die Haustür zu. Ich war wütend, ziemlich wütend. Nur wusste ich nicht, auf wen oder was genau. Vielleicht auf die Busse, welche in Tareks Gegend nur alle zwei Stunden fuhren? Auf Tarek, weil ich um sonst mit ihm zusammengequetscht auf einem Mofa fahren musste, um dann nur zwanzig Minuten in seinem Haus auszuhalten und gleich wieder abzuhauen? Oder auf mich selbst, weil ich mir keine wärmeren Sachen angezogen hatte und deshalb zwei Stunden frierend im Regen auf den Bus warten musste und wahrscheinlich krank werden würde?

Zusammengefasst war ich also auf alles wütend,durchnässt und mir war arschkalt. Reicht ja nicht ,dass ich schon ein eiskaltes Herz habe, nein, jetzt muss der Rest von mir auch noch gefrieren.

Zitternd versuchte ich mich aus meinen Stiefeln zu pellen,die überhaupt nicht vor der Kälte schützten und weswegen meine Zehen taub waren. Dabei versuchte ich mein Zähneklappern zu unterdrücken, was mir jedoch mehr schlecht als recht gelang.

,,Was ist denn mit dir passiert?'', hörte ich die entsetzte Stimme meiner Mutter fragen.
Ich blickte auf in ihre besorgten Augen. Sie stand wie eine Mutter aus einem Bilderbuch vor mir mit Kochschürze und Löffel. Auf meinen Lippen bildete sich ein schmunzeln. Teig klebte in ihren zu einem Dutt gebundenen lockigen, dunkelblonden Haaren und ihre saphirblauen Augen musterten mich besorgt.  Ich war so froh,dass ich sie noch hatte.
Den Verlust unseres Vaters hatte sie schnell verarbeitet, denn sie war eine starke Frau und dafür liebte ich sie umso mehr.

,,Ich-'' Unterbrochen von einem Niesen sprach ich weiter: ,,Ich musste zwei Stunden auf den bescheuerten Bus warten.''
,,Wieso das? Wo warst du überhaupt? Ich hätte dich abholen können. Ich habe mir Sorgen gemacht und du hast mich nicht einmal angerufen! ''
,,Tut mir leid. Das habe ich völlig vergessen. Ich war bei einem Schüler, um ihm Nachhilfe zu geben, doch dann ging er mir auf den Sack und ich bin abgehauen.''

Meine Mutter räusperte sich empört.
,,Ist ja gut,sorry für meine raue Aussprache, aber es war nun mal so.''
,,Schon gut, geh heiß duschen, sonst wirst du noch krank. Ich bringe dir einen Tee in dein Zimmer.''
,,Danke, Mom'',sagte ich und gab ihr einen zittrigen Kuss auf die Wange, woraufhin ich schnell in der Dusche verschwand.

Das mit dem Nichtkrankwerden klappte wohl weniger gut, denn nachdem ich heiß geduscht und meinen Tee getrunken hatte, lag ich mit verstopfter Nase im Bett und wünschte mir nur noch, mich nie auf diesen Mistkerl eingelassen zu haben.
Wäre ich nicht zu ihm gekommen, hätte ich nicht zwei Stunden in der Kälte frieren müssen, wäre nicht bis auf die Unterhose vom Regen durchweicht und wäre nicht krank geworden.
Ich hoffte, es würde mir morgen besser gehen, damit ich die Matheklausur schreiben konnte,sonst müsste ich an einem Sonntag nachschreiben.
Plötzlich vibrierte etwas an meinem Po.
Ich hob meine Hüfte an und holte mein Handy aus der Potasche an der Jogginghose heraus.

Sofort freute ich mich, als ich sah, wer mich gerade anrief.

,,Hey, Lysander, was geht?'',fragte Marcel am anderen Ende des Hörers.
,,Nichts. Ich gammle erschöpft im Bett'', heulte ich ihn mit meinem Problem voll.

,,Was ist denn los?'',fragte Marcel, der gutaussehendere Zwilling von den beiden. Sie sahen zwar beide mit ihren strohblonden Haaren und grünen Augen gleich und unscheinbar aus, wurden von den Mädchen deshalb oft übersehen, aber Marcel hatte die eleganteren Gesichtszüge wodurch er hübscher wirkte. Bei diesem Gedanken fiel mir das erste Mal auf,dass ich die beiden wohl zu oft angestarrt haben musste,wenn ich ihr Aussehen so genau kannte.Ist ja nicht schlimm,schließlich sind wir beste Freunde,da ist sowas völlig normal.

Ich erzählte ihnen, dass ich bei Tarek gewesen war und was sonst noch alles passiert ist.
Plötzlich wurde es total still in der Leitung, sodass ich mich wunderte,ob sie überhaupt noch da waren.Als dann jedoch die völlig schockierte, schrille Stimme von Marcel erklang, war ich mir sicher,dass zumindest er noch da war.

,,Meinst du den Tarek? Tarek Fairchild?''
Er fragte nach, als hätte ich ihnen gerade erzählt, dass ich ein Vampir bin und Tarek aussaugen werde.

,,Ja, was ist mit ihm? ''

,,Lass dich auf keinen Fall auf ihn ein!'',kam es unerwartet abwertend von Maximilian.
Ich verstand nicht,wieso sie so eine schlechte Meinung über ihn hatten. Er war doch eigentlich ganz ok,wenn man davon absah, dass er von mir verlangt hatte aufzuräumen, als wäre ich seine Putzfrau.

,,Wieso nicht?''

,,Kennst du ihn etwa nicht?''

,,Bis er mich um Nachhilfe gebeten hat, wusste ich nicht mal ,dass er existiert. Was ist so schlimm an ihm?''

,,Er hat bis jetzt alle Mädchen aus der Schule um seinen Finger wickeln können. Er ist der totale Playboy.'' Ich brauchte erstmal ein paar Sekunden, um zu realisieren, was Maximilian da gerade von sich gegeben hatte.
Tarek soll ein Playboy sein? Das ist mir bis jetzt überhaupt nicht aufgefallen. Könnte daran liegen, dass ich ihn noch nicht mal einen ganzen Tag lang kannte.
Doch wenn ich länger darüber nachdachte ... Der Helm! Als er mich dazu gebracht hatte, mit ihm zu fahren, hatte er mir einen zweiten Helm geliehen,der extrem nach Shampoo gerochen hatte. Was, wenn er diesen Helm immer dabei hatte ,weil er so oft Mädchen mit zu sich nahm und er deshalb so duftete?

,,Lysi ? Bist du noch da?''

,,Ja... Stimmt das wirklich, oder ist das nur ein Gerücht?''

,,Es stimmt wirklich. Ich hab ihn vor seinen Freunden sogar damit angeben hören'',antwortete Marcel,was mir noch einen unangenehmen Stich bereitete.

,,Aber wieso soll ich mich dann von ihm fernhalten? Ich bin ein Junge. Mit mir wird er ja wohl eh nichts anzufangen haben. Es interessiert mich nicht, wie viele Herzen er bricht, solange ich nicht betroffen bin'', meinte ich so egoistisch wie immer.

,,Kann sein, aber da er ein schamloser Player ist, wäre ich mir da nicht so sicher. Vielleicht hat er ja mal Lust, etwas Neues auszuprobieren'',spekulierte Marcel.

Ich schwieg, da ich nicht wusste, was ich darauf erwidern sollte. Was ist, wenn es wirklich so war? Dann würde er mich nur benutzen.
Moment mal. Er könnte mich nicht einmal ausnutzen,schließlich war ich keine naive Schwuchtel. Natürlich würde ich mich nicht auf so jemanden wie ihn einlassen. Selbst nicht,wenn er ein Mädchen wäre. Was bringen einem Schlampen, egal ob männlich oder weiblich denn auch bitteschön außer AIDS?

,,Wenn das so sein sollte,dann wäre das echt abstoßend '',sagte ich schließlich.

Die Zwillinge bejahten.

,,Du solltest auf jeden Fall aufpassen,dass, falls du ihm weiter Nachhilfe gibst, es auch nur dabei bleibt.Da darf auf keinen Fall etwas entstehen '', sagte Maximilian streng.

,,Was denkst du denn von mir? Natürlich wird da nichts entstehen. Ich würde mich niemals auf eine Schwulette einlassen!'',rief ich zutiefst empört in den Hörer.

,,Schon gut, alles gut'', versuchte er mich zu beschwichtigen.
,,Übrigens kommen wir morgen wieder zur Schule '',erwähnte Marcel, um vom vorherigen Thema wegzukommen. Dafür war ich ihm sehr dankbar,da ich keine Lust mehr hatte,mir vorwerfen zu lassen,dass ich möglicherweise einer von denen werden könnte.

,,Hat der Arzt euch nicht geraten, diese Woche Zuhause zu bleiben?'',fragte ich nach.

,,Ja schon,aber wir haben schon zu viel Stoff verpasst und wollen auf keinen Fall abrutschen. Außerdem geht es uns auch so schon viel besser.''

,,Wenn ihr meint. Aber wehe einer von euch sollte in die Nähe von mir Kotzen! ''

,, Keine Sorge,werden wir schon nicht'',beruhigte Marcel mich.

,,Na dann, bis Morgen''
,,Tschüss'',verabschiedeten sie sich und legten auf.
Ich schnaubte mir die Nase,da es unhöflich gewesen wäre,das während des Gesprächs zu tun und dachte dabei daran, was Maximilian gesagt hatte.

Da darf auf keinen Fall etwas entstehen!

Pff,das wird es auch nie,egal was passieren sollte.

Broken Heart - Syndrom→boyxboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt