~19~ Vanillemilch

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Lysanders Sicht

Eine bedrückende, einschüchternde Stille herrschte im Raum des Direktors. Dieser war zwar freundlich geschmückt mit blauen Tulpen und weißen Gardinen vor den großen Fenstern, durch die viel Licht fiel, doch die Atmosphäre war alles andere als angenehm.

Maximilian, Marcel und ich saßen auf den leicht gepolsterten Stühlen direkt vor dem riesigen Eichenholztisch des Direktors, welcher dahinter saß und nichts Anderes machte, als uns mit stummen, durchdringenden Blicken aufzuspießen. Was für eine Art der Folter soll das denn bitte sein?! Ich halte diese Stille nicht mehr länger aus!

,, Die Lehrerin hat mir haargenau erzählt, was ihr getan habt. Sagt mal, schämt ihr euch nicht für euer Verhalten? ",durchbrach seine tiefe, grummelige Stimme endlich die Stille. Er war ein älterer Herr mit bereits schütterem Haar, einer kleinen strengen Brille über der Nase, aber dafür immer funkelnden Augen. Eigentlich hatte er sogar ein ziemlich freundliches Gesicht, wenn er lächelte, doch seine große Statur und diese eisblauen Augen konnten einem genauso gut auch Angst machen.

,,Lieber Direktor Thomsen, wofür sollten wir uns denn bitte schämen? Unser Verhalten war berechtigt",erklärte Marcel überzeugt.

,,Ach, also wäre es auch richtig, mit mir so umzugehen, wenn ich schwul wäre? "
Er stellte mit Absicht solch eine provokative Frage, da er genau wusste, dass niemand von uns den Mumm hatte, seine Autorität aufgrund seiner Sexualität in Frage zu stellen.
Wieder herrschte eine unangenehme Stille, da niemand von uns sich traute, etwas zu sagen.

,,Ist euch überhaupt klar, was ihr da von euch gegeben habt? Das waren Äußerungen, wie sie in der NS-Zeit von sich gegeben wurden. Wollt ihr zurück zu dieser menschenverachtenden Zeit?"

,,Damals haben Schwuchteln und Lesben wenigstens noch bekommen, was sie verdienen", antwortete Marcel, was mich geschockt zu ihm herüberblicken ließ. Maximilian nickte zustimmend.

Ich war sprachlos. Wie es aussah, war das Einzige, was die Zwillinge und mich verband, unser Schwulenhass, denn ich wollte ganz sicher nichts mit Nazis zu tun haben. Ich war vorhin mit dem Wort ,,niederrassig" wirklich viel zu weit gegangen. Die Zwillinge hatten dieses Wort ständig in Verbindung mit Schwulen gebracht und ich hatte nie über die wirkliche Bedeutung davon nachgedacht. Wahrscheinlich sollte ich froh sein, dass wir nicht mehr befreundet waren.

,, Zu dieser Zeit wurden Menschen umgebracht und gefoltert, nur weil sie das gleiche Geschlecht liebten, Marcel. Sie haben keinen Mord begannen oder waren Kriminelle. Sie waren unschuldig. Haltet ihr es für richtig, wenn unschuldige Menschen wie eine Horde Tiere unter unwürdigen Umständen in Lagern gefangen gehalten werden, um am Ende umgebracht zu werden?"

,,Natürlich nicht! Niemand hat sowas verdient, selbst Schwuletten nicht!", äußerte ich mich dazu.

,,Ist das dein ernst? Du bist wohl doch eine Schwuchtel, wenn du sie auch noch verteidigst!", fuhr mich Maximilian wütend an.

,,Ich bin nicht schwul und ich verteidige sie nicht! Ich bin lediglich nicht krank genug, um NS-Methoden für richtig zu halten!"

,,Ausgerechnet du willst uns krank nennen? Du bist Abschaum. Gib es zu, du bist eine Schwuchtel!" Der Schlag kam so plötzlich, dass ich keine Chance hatte, auszuweichen. Meine Wange pochte schmerzhaft und ich sah angsterfüllt zu Maximilian, der mir mit der Faust direkt ins Gesicht geschlagen hatte. Mein Herz schlug schmerzhaft heftig gegen meinen Brustkorb und ich hatte Mühe, genügend Luft in meine Lunge zu pumpen. I-ich war nicht schwul... Niemals. Ich werde niemals schwul sein!

,,Das reicht!", wurde der Direktor laut und erhob sich aufgebracht, was nicht gerade zu meiner Beruhigung beitrug. Ich schlang die Arme um mich, versuchte ruhig ein- und auszuatmen und machte mich im Stuhl so klein und unsichtbar wie nur möglich. Die Zwillinge warfen mir Blicke zu, die mir noch mehr Gewalt drohten.

Broken Heart - Syndrom→boyxboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt