Lysanders Sicht
Wir kamen erst spät abends, als es schon dunkel war, zurück ins Hotel. Ella hatte mich überredet, noch einen kurzen Ausflug zum schiefen Turm von Pisa zu machen. Dort hatten wir als Erinnerung klischeehafte Touristenbilder gemacht und uns anschließend eine Pizza gegönnt. Von dem ganzen Rumgelaufe war ich ziemlich müde geworden und meine Beine wollten kaum noch laufen. Am liebsten wollte ich mich nur noch ins Bett schmeißen, doch dann müsste ich das gleiche Zimmer wie Tarek betreten und ich war mir nicht sicher, ob ich dafür schon bereit war. Ellas Worte hatten mir Angst, aber gleichzeitig auch Hoffnung gemacht und ich hatte mir vorgestellt, wie es wohl wäre, meine Gefühle einfach zuzulassen. Ich war mir nicht sicher, wie lange ich sie noch unter Kontrolle halten konnte. Das Verlangen prickelte unter der Oberfläche und war kurz davor, sie zum platzen zu bringen. Meine Gedanken spielten verrückt und jeder einzige war schlimmer als der andere. Die Hälfte von mir wollte sich in Tareks Arme werfen und ihn küssen.
Ja, ich gab es zu. Ich wollte Tarek Fairchild küssen. Außerdem wollte ich ihn berühren, ihm nahe sein und noch viele andere unanständige Dinge mit ihm tun.
Doch meine andere Seite dachte daran, wie falsch das wäre. All diese Taten würden mich zu einer Schwuchtel machen. Zu dem, was ich am meisten hasste und fürchtete. Ich hatte mir geschworen, niemals wie er zu werden. Doch ich konnte meine Gefühle nicht ignorieren, sonst würden sie mich Tag für Tag von Innen heraus zerfressen. Aber die Tatsache, schwul zu sein, verstörte mich ebenfalls bis zum Knochenmark.
Ich atmete tief ein und machte die Tür zu unserem Hotelzimmer auf. Wie erwartet, lag Tarek auf dem Bett. Er hatte noch nicht bemerkt, dass ich reingekommen war, da er die Augen geschlossen hatte und durch seine AirPods Musik hörte. Da es dunkel war, machte ich mir nicht die Mühe, ins Bad zu gehen, sondern zog mich schnell hier um. Möglichst vorsichtig versuchte ich aufs Bett zu klettern, sodass er es nicht merkte, doch natürlich bemerkte er es und drehte seinen Kopf zu mir. Dabei war das Letzte, was ich gerade wollte, mit ihm zu reden.
,,Hi, du warst ziemlich lange mit Ella unterwegs. Deine Mom wusste schon gar nicht mehr, was sie mit mir alleine anstellen soll, also haben wir fast den ganzen Tag in der Lobby Tischfussball gespielt und sie hat mich mit ihrem Kochzeug zugelabert", berichtete er mir.
,,Das macht sie gerne", schmunzelte ich und drehte mich zögernd zu Tarek um. Das war das erste Mal, dass ich ihm heute in die Augen schaute. Sie waren so wunderschön und fesselnd wie immer.
,,Wieso schläfst du noch nicht?"
,, Ich habe gerade zu viele Gedanken im Kopf, als dass ich schlafen könnte." Genauso fühlte ich mich ebenfalls. Obwohl ich hundemüde vom heutigen Tag war, ließen mir meine Gedanken keine Ruhe. Sie bewirkten, dass ich die ganze Zeit aufgeregt und nervös war und ließen nicht zu, dass ich eine Sekunde länger an etwas anderes als Tarek dachte.
,,Willst du mithören?", fragte er und hielt mir einen Airpod hin. Ich nahm ihn entgegen und steckte ihn mir in mein Ohr. Kaum erklang die Musik, schaute ich verblüfft zu Tarek.
,, Du hörst Klassik?" Es war eine Melodie von Yiruma. Jedoch war es eine Remixversion mit Bass und Gitarrenriff. Zugegeben war das Original besser, aber der Remix klang auch ziemlich gut.
,,Ich wollte mal die Musik ausprobieren, die du dir ständig anhörst. Ich fand sie ein wenig langweilig, deshalb höre ich mir lieber die Rockversionen davon an." Ich hätte nicht erwartet, dass er Klassik super spannend und aufregend finden würde, doch es rührt mich, dass er sich überhaupt die Mühe machte, sich ein paar Klavierstücke anzuhören.
Wir lauschten im Stillen der Musik und ich nebenbei meinem schnell schlagenden Herzen. Das erneute Zusammentreffen mit ihm war nicht ansatzweise so schlimm, wie erwartet. Er stellte keine Fragen, versuchte nicht mich für sich zu gewinnen... Er ließ mir einfach Zeit. Er hatte sich meine Bitte gemerkt und nahm Rücksicht auf mich. Jedoch war ich mir sicher, dass er nicht ewig warten würde. Bis er mich das nächste Mal fragt, was ich für ihn empfinde, sollte ich dringend eine Antwort parat haben.
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Broken Heart - Syndrom→boyxboy
Jugendliteratur× Broken Heart - Syndrom × ~ Die Gewohnheit, andere Herzen zu brechen, weil eines selber Herz gebrochen ist. ~ Du bist durch und durch homophob, hast dich aber trotzdem auf einen Fuckboy eingelassen? Willkommen in meinem schwulen, homophoben und tra...