~44~ Pakt mit dem Teufel II

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Tareks Sicht

Mit jedem vorbeiziehenden Tag wurde es schlimmer und schlimmer.

Ich fühlte mich, als würde ich in einem riesigen Meer aus Treibsand schwimmen, der mich immer weiter herunterzog. Der Treibsand bestand aus messerscharfen, tonnenschweren Schuldgefühlen. Sie waren überall, genauso wie der Sand. Es gab kein Entkommen.

Bis jetzt hatte ich mir nicht eingestehen wollen, dass mich tatsächlich Schuldgefühle plagten, doch nach eineinhalb Wochen waren sie zu schmerzhaft geworden, um sie zu ignorieren.

Ich lag falsch, so schrecklich falsch.
Zuvor hatte ich angenommen, dass ich nachdem ich Lysander gebrochen hatte, nur nicht glücklich war, weil nicht ich allein daran Schuld war, dass er so gebrochen war, sondern noch ein anderer dunkler Schatten, der immer hinter ihm her zu sein schien. Doch nun wusste ich es besser. Es lag nicht daran, dass ich nicht die Alleinschuld trug. Es würde mich auch nicht glücklich machen, wenn ich Lysander versuchte noch mehr zu zerstören. Obwohl das für mich stets der beste weg gewesen war, um über meinen eigenen Schmerz hinwegzutäuschen, funktionierte diese Methode nicht mehr. Sogar noch schlimmer, inzwischen bewirkte sie das Gegenteil! Lange hatte ich überlegt, ob es vielleicht an Lysander liegen könnte. Wenn ich mir ein neues Opfer suchte, würde möglicherweise alles wieder wie beim Alten sein. Einerseits würde ich wieder Spaß daran finden, Herzen zu brechen, und andererseits würden endlich diese lästigen Vorstellungen mit einem stöhnenden Lysander unter mir verschwinden, wenn ich mir ein Mädchen als Opfer suchte.

Aber so sehr ich mich auch bemühte, jeglicher Gedanke an ein neues Opfer bereitete mir nur Kopfschmerzen. Ich wollte kein anderes Mädchen oder sogar einen Typen. Ich wollte Lysander!

Und das war der Teil meiner Gedanken, ab dem ich nicht mehr weiterkam. Alles in mir sträubte sich gegen die Möglichkeit, dass ich mehr für Lysander empfinden könnte, als beabsichtigt. Solange ich diesen Gedanken nicht akzeptieren konnte, würde ich auch nicht weiterkommen. Ich war in einer Sackgasse angekommen.

Mein frustriertes Seufzen hallte durchs ganze Zimmer, als ich mein Notenheft beiseite legte und mich ruckartig vom Bett erhob. Ich war eigentlich dabei gewesen, mich für das heutige Konzert einzusingen, doch dann hatte mein Kopf wieder angefangen, an Lysander zu denken und hatte nicht mehr aufhören wollen. Dieses Konzert war zwar kein sonderlich wichtiges, da ich öfters mal in dem kleinen Pub unserer Stadt sang und es nichts besonderes war, aber trotzdem wollte ich es nicht verhauen. Außerdem würden Mark, Kyle und sogar Evan vorbeikommen. Ich hatte schon mal ein Konzert verkackt, weil ich mir zu viele Gedanken gemacht hatte, also sollte ich mich in den restlichen Stunden bis zum Auftritt lieber ablenken und meinen Kopf frei bekommen. Aber wie sollte ich das schaffen? Seit ich Lysander das letzte Mal gesehen hatte, verging kein Tag mehr, an dem ich nicht an ihn dachte.

Ich brauchte einen Ort, an dem ich mich entspannen konnte und der mich nicht an Lysander erinnerte, denn selbst mein Zimmer ließ mich an ihn denken.

Normalerweise ging ich zum See, wenn ich meine Ruhe brauchte oder meine Gedanken sortieren musste, doch dort würden die Erinnerungen an Lysander nur noch schneller hochkommen.

Dann fiel es mir ein. Im Fitnessstudio würde mich auf jeden Fall nichts an Lysander erinnern und gleichzeitig könnte ich mich ablenken.
Schnell packte ich meine Tasche und machte mich auf den Weg.

,, Wo willst du denn hin, Söhnchen?", hielt mich die Stimme meines Vaters auf, als ich im Flur meine Schuhe anzog. Er stand an der Küchentür und hatte ausnahmsweise mal kein T-Shirt mit einem Flachwitz an, sondern ein normales und eine Jogginghose. Seine Haare standen wild in alle Richtungen ab, als wäre er gerade erst aufgestanden. Hätte er nicht einen noch besseren Körperbau als ich, würde er aussehen wie ein Obdachloser.
,, Hi Dad, ich geh ins Fitnessstudio."
,, Hast du nicht heute Abend ein Konzert? Müsstest du nicht üben? ", fragte er und zog mich in eine Umarmung. Er wuschelte mir solange durch die Haare, bis ich mich protestierend aus der Umarmung befreite.
,, Ich muss mich ein wenig ablenken, um später konzentriert zu sein. "
,,Wovon? Hast du ein Problemchen? Soll ich dir helfen? "
,, Ich glaube, es ist ein Problem, bei dem niemand mir helfen kann..."
,, Hat es was mit Liebe zu tun? Ist mein Söhnchen etwa verliebt? "
,, Natürlich nicht!", protestierte ich sofort. Ich und in Lysander verliebt sein? Das war ja wohl lächerlich. Wer würde sich schon in einen Jungen verlieben, der sich kein bisschen um die Gefühle anderer kümmerte, kaltherzig wie ein Stein war und dazu auch noch kein bisschen dankbar.
Doch er hatte sich verändert... Desto mehr ich ihn kennengelernt hatte, desto mehr hatte ich gelernt, hinter seine abstoßende Hülle zu gucken. Er hatte sich um meine Gefühle gekümmert, als ich nachts am Meer meine Flashbacks hatte. Er hatte sich sogar bemüht, mich aufzumuntern!
Er war nicht kaltherzig.
Er konnte Liebe zeigen, wie sonst niemand.

Broken Heart - Syndrom→boyxboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt