~2~ Sandmann

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Lysander Sicht

Ich lag schon seit einer geschlagenen Stunde im Bett und hoffte, dass der Sandmann erbarmen zeigte und mich endlich einschlafen lassen würde. Ich hasste es, wenn ich abends im Bett lag, nicht einschlafen konnte und deshalb über die bescheuertsten und unnötigsten Dinge nachdachte.

Wieso haben Kühe eigentlich Schwänze? Wie Menschen wohl mit Kuhschwänzen aussehen würden? Würden die Menschen dann unterschiedlich lange Kuhschwänze haben und aufeinander neidisch sein? Apropos neidisch, um von diesem zweideutigen Thema wegzukommen, ich war es. Und wie ich es war. Ich war verdammt eifersüchtig auf die ganzen Paare, die man zurzeit überall sah. Im Park, in der Schule, im Eisladen, in der Bibliothek, im Supermarkt bei der Kondomabteilung - sie waren überall!

Wieso waren sie glücklich und ich nicht? Ich will auch eine glückliche Beziehung haben! Zwar klang das womöglich ziemlich egoistisch, aber in dieser Welt musste man nun mal mehr an sich denken, um weiter zu kommen. Jedoch hatte ich keine Ahnung, mit wem ich überhaupt eine Beziehung freiwillig eingehen würde. Die Mädchen an unserer Schule waren alle viel zu uninteressant und überhaupt nicht nach meinem Geschmack. Auch sonst war ich noch nie einem Mädchen begegnet, welches mein Interesse wecken konnte.

Am liebsten könnte ich jetzt heulen. Selbst die Schwuchtel aus meiner Schule, dem ich damals eine Lektion erteilen musste, war nun in einer glücklichen Beziehung! Schade, dass er geheim hielt mit wem, sonst könnte ich der anderen Schwulette auch noch einen netten kleinen Vortrag darüber gehalten, wie unakzeptabel ihre Beziehung ist!

Übertreibst du es nicht langsam mit deinem Hass gegen Schwule? , hörte ich die Leute aus meiner Schule sagen.

Nein! Sie hatten es verdient. Sie waren alle genauso wie mein Vater.

Dein Vater konnte doch auch nichts für seine Gefühle.

Aber er hätte Rücksicht auf die Gefühle von meiner Mutter und mir nehmen können.

Ich verscheuchte dieses Thema aus meinem Kopf, da es mich jedes Mal traurig machte, darüber nachzudenken. So wie jetzt, als ich das Stechen in meiner Brust verspürte.

Zum Glück half mir mein Handy mich abzulenken, als es um fucking zwei Uhr morgens klingelte.

Ich tastete nach meinem Handy, das irgendwo unter meinem Kopfkissen liegen musste. Es vibrierte ununterbrochen in meiner Hand, während ich es hervorzog und auf das Display starrte. Da meine Augen nicht an die Helligkeit gewohnt waren, brauchte ich ein paar Sekunden, bis ich erkannte, wer mich um diese Uhrzeit anrief. Oder eher gesagt nicht erkannte, weil es eine unbekannte Nummer war.

Sollte ich wirklich ran gehen? Bei einer unbekannten Nummer?

Was, wenn es ein Serienkiller war?

Wieso sollte ein Serienkiller mich anrufen?

Ich seufzte wegen meiner eigenen dummen Vorstellung und drückte auf den grünen Knopf.

,,Hallo? Wer ist da?'', fragte ich mit leiser Stimme, um meine Mutter nebenan im Zimmer nicht zu wecken. Es kam nicht sofort eine Antwort. Mindestens fünf Sekunden vergingen bis aus dem Hörer endlich eine männliche Stimme drang.

,,Hi, ich bin's Tarek'', antwortete die Stimme.

,,Ich kenne keinen Tarek'', erwiderte ich, da ich den Namen wirklich zum ersten Mal hörte.

Es herrschte wieder kurz Stille am anderen Ende.

,,Dann wirst du mich halt bald kennenlernen. Ich gehe nämlich auf deine Schule und hab gehört, du wärst gut in Mathe, deshalb wollte ich fragen, ob du mir vielleicht ein paar Stunden Nachhilfe geben könntest.''

Ich war zu geschockt, um sofort zu antworten. Ein Typ, von dem ich nun zum ersten Mal hörte, rief mich um 2 Uhr morgens an, um nachzufragen, ob er Nachhilfe von mir bekommen könnte? Ist der krank oder so?

,,Wieso fragst du mich das ausgerechnet um diese Uhrzeit?'', fragte ich mürrisch.

,,Ich hätte nicht gedacht, dass du rangehst und wollte dir eigentlich auf die Mailbocks sprechen.''

,,Aha'', erwiderte ich nur genervt.

,,Also...würdest du mir Nachhilfe geben oder nicht?''

Ich dachte kurz darüber nach. Was wenn ich diesen Typen kannte, ihn hasste und mich bloß nicht an seinen Namen erinnerte? Dann würde die Nachhilfe zur Hölle werden. Oder ich könnte ihm alles falsch beibringen, überlegte ich nebenbei mit teuflischem Grinsen.

,,Wir treffen uns Morgen eine halbe Stunde vor Schulbeginn am Eingang und klären es dort '', sagte ich und legte ohne auch nur tschüss zu sagen auf.

Ich hoffe der Typ wäre wenigstens nett.

Im nächsten Moment kam endlich der Sandmann, schüttelte mir seinen unsichtbaren Sand ins Gesicht und ließ mich in einen erholsamen Schlaf gleiten.

Broken Heart - Syndrom→boyxboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt