KAPITEL IX

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Annabeth 

Sie fand ihn im Camp Half-Blood am Strand. Schon von weitem konnte sie Percys Silhouette erkennen, wie er dort im Sand saß und auf das Meer starrte. Er strahlte eine seltsame Traurigkeit aus, außerdem Einsamkeit. Der Anblick brach ihr fast das Herz.

Annabeth holte einmal tief Luft und setzte sich wieder in Bewegung. Ihre Schritte knirschten im Sand und kündigten ihr Kommen an. Als sie nur noch zwei Meter von ihm entfernt war, stieß er ein tiefes Seufzen aus.

„Es tut mir Leid, dass ich einfach gegangen bin. Das war kindisch von mir.", murmelte er leise und entschuldigend.
Annabeth ließ sich neben ihm in den Sand fallen, betrachtete ebenfalls die Wellen und lauschte dem Meeresrauschen. „Deine Reaktion war nicht kindisch, sondern verständlich.", gab sie schließlich zurück.

„Was haben sie noch gesagt?", wollte Percy wissen. „Werde ich mich gleich in Luft auflösen?"

Sie lächelte traurig. „Alle waren unglaublich wütend, bis auf Poseidon vielleicht. Noch nie habe ich so viele Götter auf einmal gesehen, die so voller Wut waren, das war beängstigend. Ich dachte wirklich, dass sie dich töten, aber wie du so richtig erkannt hast, du bist ihr einziger Ausweg.", Annabeth spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen, sie versuchte, sie weg zu blinzeln, doch es half alles nichts, es war einfach zu viel. Noch heute Morgen hatte sie in einer glücklichen, heilen Welt gelebt, alles war gut gewesen, sie hatte sich ihre Zukunft zusammen mit Percy ausgemalt.

Dann hatte sie Chiron zu sich rufen lassen und die Ereignisse, die darauf folgten, ließen ihre Welt zusammenbrechen. Sie hatte geglaubt, dass die Zeit der Kämpfe und Kriege, die Zeit der Angst, vorbei war, doch noch nie hatte sie sich so sehr geirrt.

Annabeth verfluchte ihr eigenes Verlangen nach Ruhe und Frieden, doch sie wusste auch, dass es natürlich war. Die Kriege gegen Kronos und Gaia hatten an ihr gezehrt, Percys Verschwinden und der Aufenthalt im Tartarus. Sie fand, dass sie mehr als genug geleistet und sich somit ein weiteres, glückliches Leben verdient hatten, doch das interessierte die Gottheiten wieder einmal nicht.

Keiner von ihnen wusste, was ihre Entscheidungen für die Sterblichen bedeutete, dass ein einziger Entschluss ein ganzes Leben bestimmen konnte. Und auch hier hatte Percy genau den Punkt getroffen: Es war ihnen schlichtweg egal.

Eine einsame Träne rollte über ihre Wange. Sie hatte sich nur ein normales Leben gewünscht und nicht einmal das war ihnen vergönnt. Zitternd holte Annabeth Luft, versuchte, sich zusammenzureißen, doch es half alles nichts. Sie war am Ende ihrer Kräfte.

Dieses eine Mal schämte sie sich nicht dafür, schwach zu sein, denn sie wusste, dass viele andere in ihrer Situation schon viel früher aufgegeben hätten.

Ohne, dass sie es wollte, fing sie an zu schluchzen. Erbarmungslos bahnte sich ein Schluchzer nach dem anderen den Weg aus ihrer Kehle nach oben. Durch diese Geräusche alarmiert, drehte sich Percy zu ihr. Annabeth konnte sehen, dass auch ihm Tränen in den Augen standen, sie waren rot gerändert. Sein Gesicht wirkte unnatürlich blass, seine Hand zitterte, als er sie hob.

Dann rückte er ein bisschen näher zu ihr und zog sie an sich.

Das gab Annabeth den Rest. Sie weinte, wie schon lange nicht mehr, so, wie sie zuletzt als kleines Kind geweint hatte. Dabei klammerte sie sich an Percy fest, wobei sie eher das Gefühl hatte, als würden sie sich gegenseitig aneinander festklammern.

Wie zwei Ertrinkende, die sich gegenseitig helfen wollten, aber nur noch weiter in die Tiefe zogen.

Sie wusste, dass er ihren Schmerz teilte. Percy musste dasselbe empfinden, vielleicht sogar noch viel mehr, immerhin war der, der in die Vergangenheit geschickt wurde.

Die Macht der MeereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt