KAPITEL V

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Percy 


Zwei Tage nach seiner Ankunft in Camp Half-Blood saß Percy frühmorgens alleine am Long Island Sound und starrte gedankenverloren auf das Meer. In einer Stunde würde die erste Schwertkampfstunde, die er diesen Sommer gab, beginnen, doch davor wollte er die Zeit nutzen, um in Ruhe am Meer zu sein.

Viel zu selten hatte er in letzter Zeit dazu die Gelegenheit gehabt, in Neu-Rom schon gar nicht, da es von der Stadt aus keinen direkten Zugang zum Ozean gab und es sich nicht lohnte, jedes Mal nach San Francisco zu fahren, wenn er das Bedürfnis verspürte, die salzige Luft in seinem Gesicht zu spüren und das Rauschen der Wellen zu hören.

Das Wasser, das Meer war nun einmal das Element, aus dem er seine Kraft bezog, wenn er sich zu weit davon entfernte, dann fühlte er sich unvollständig, als würde ein wichtiger Teil seines Lebens fehlen. Und das tat es ja dann auch.

Auch jetzt konnte er jeden Kubikmeter, jede Strömung spüren, es war, als würden sie alle ihm in irgendeiner Weise Informationen zukommen lassen, die er unbewusst in seinem Gehirn abspeicherte. Er fühlte, wie das Wasser aufgrund der Ebbe nach draußen gezogen wurde, spürte die Kraft hinter jeder einzelnen Welle und konnte ihre Entstehung nachempfinden. Viel würden das als nervig empfinden, doch für Percy war es entspannend.

Probehalber streckte er seine Sinne nach dem Wasser in der Bucht aus und brachte es langsam in seine Gewalt, unterwarf es seinem Willen. Eine der ersten Lektionen, die er hatte lernen müssen, war, dass das Meer eine unbändige Macht besaß, die man nur schwer kontrollieren konnte. Auch er hatte lernen müssen, dass das Meer einen ganz eigenen Willen besaß und dass man es niemals zu irgendetwas zwingen konnte. Wahrscheinlich konnte auch er es nur ein wenig kontrollieren, weil er selbst ein Teil davon war. Percy selbst war oft unberechenbar, das hatte er von seinem Vater vererbt bekommen. Deswegen wurde auch sein Vater, Poseidon, von vielen Menschen so sehr gefürchtet, denn, genau wie das Meer selbst, war der Gott unberechenbar. Er konnte Erdbeben verursachen, Hurrikanes und Tsunamis, alles Naturgewalten, die die Menschheit fürchtete.

Ihm war auch klar, dass niemand, und sei es nun eine Gottheit, ein Halbgott oder ein Mensch, jemals die Weltmeere zu einhundert Prozent unter seine Macht bringen konnte. Das war schlichtweg unmöglich.

Schon an guten Tagen fiel es Percy schwer, die komplette Bucht vor dem Camp unter Kontrolle zu halten. Natürlich war es etwas anderes, wenn man irgendwo im Inland Süßwasser kontrollierte, das war sogar ziemlich einfach, Salzwasser dagegen war ein ganz anderes Kaliber.

Percy schloss seine Augen und konzentrierte sich auf die Wassermassen vor sich. Langsam weitete er seine Macht aus, bis er nicht mehr konnte, dann befahl er den Wellen, größer zu werden.

Das Rauschen, das an seine Ohren drang, verstärkte sich, er spürte die Bewegungen des Wassers. Er öffnete die Augen und betrachtete sein Werk, ohne loszulassen.

Dort, wo sich zuvor nur kleine Wellen gebildet hatten, türmten sich jetzt ein Meter hohe Wellen auf und das den ganzen Long Island Sound, soweit er sehen konnte.

Stolz erfüllte ihn, doch gleichzeitig spürte er auch, wie seine Glieder langsam schwerer wurden, wie die Kräfte ihn verließen. Langsam gab er die Wassermassen wieder frei, lockerte den Griff, bis die Wellen wieder wie gewohnt am Strand ankamen.

Für einen kurzen Augenblick blieb Percy noch sitzen, dann stand er auf und klopfte sich die groben Sandkörner von seinen Shorts. Anschließend ging er langsam zu Brandung, bis das Wasser seine Schuhe umspülte, ohne dabei irgendetwas zu durchnässen. Fast schon bedächtig ging er in die Knie, dann tauchte er seine Fingerspitzen in das Wasser. Es war kühl, aber nicht zu kalt, vielmehr erfrischend. Sofort spürte Percy, wie ihn neue Kraft durchströmte und die Müdigkeit, die ihn kurzzeitig überfallen hatte, wieder verschwand, bis er hellwach war. Dann drehte er sich um und ging frühstücken.

Die Macht der MeereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt