Piper
Piper machte sich Sorgen um Annabeth. Mit jedem Tag, der verstrich, stürzte sie sich mehr in die Arbeit, die es im Camp gab. In jeder Stunde, in der sie sich eigentlich einmal eine Pause gönnen sollte, brütete sie über irgendwelchen Unterlagen und spielte jede Extremsituation in Gedanken durch. Sie versuchte, jede Angriffsmöglichkeit, die Pontos in Betracht ziehen könnte, ebenfalls zu kennen, damit sie sich verteidigen konnten.
Natürlich war die Arbeit, die sie leistete, atemberaubend. Wie immer. Sie war nicht umsonst die Hüttenälteste der Athene-Hütte, die Pläne, die sie entwarf waren komplex und genial.
Aber Piper wusste auch, dass sie das alles tat, um ihre Sorgen zu vergessen. Je mehr sie sich in ihre Aufgaben vertiefte, desto weniger musste sie an Percy, oder die Situation denken. Und Piper konnte regelrecht sehen, wie sie daran zerbrach.
Es war nur ein schleichender Prozess, aber dennoch fand er statt. Je mehr sie ihre Gefühle verdrängte, desto intensiver kamen sie zurück. Sie kannte ihre beste Freundin gut und Piper wusste, dass sie, wenn sie sich abends ins Bett legte, stundenlang in die Dunkelheit starrte und nicht einschlafen konnte. Dann war sie ihren Gefühlen ausgesetzt und konnte nichts dagegen tun.
Annabeth strahlte eine gewisse Traurigkeit und so viel Schmerz aus, dass Piper diese Emotionen als Tochter der Aphrodite an ihr regelrecht erkennen konnte. Wie ein dunkler Schleier, der sich über die Tochter der Athene legte.
Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als ihr zu helfen. Doch das konnte sie nicht.
An einem Abend vor einer Woche hatte sie Jason darauf angesprochen. Es hatte bereits gedämmert und die ersten Sterne waren am Himmel aufgetaucht. Viele der Camper befanden sich bereits in den Hütten, sie waren alle erschöpft und hatten keine Lust auf die Rundgesänge am Lagerfeuer, bei denen sie gute Laune vortäuschen mussten. Da war schlafen die bessere Alternative. Da wurde man zumindest in Ruhe gelassen.
Jason und Piper waren zusammen im Speisepavillon sitzen geblieben und hatten beobachtet, wie die anderen Halbgötter langsam abzogen. Es wurde still um sie herum, lediglich das Zirpen der Grillen und das leise Rascheln der Blätter, wann immer der Wind durch sie strich, war zu hören.
Jason hatte sanft ihre Hand gehalten, so waren sie dagesessen. Sie hatten nur geredet und die Nähe des anderen genossen. Dieser Augenblick war für Piper unbezahlbar gewesen. Es war wie eine Atempause, gemeinsam mit Jason. Gleichzeitig war ihr klar geworden, wie sehr Annabeth leiden musste.
Piper selbst machte sich schon genügend Sorgen. Sie hatte das Gefühl, als würde ein tonnenschweres Gewicht auf ihren Schultern lasten, dabei musste sie nicht wie Annabeth jegliche Aktivitäten im Camp organisieren. Dagegen erschienen ihr ihre Aufgaben klein und unbedeutend. Hinzu kam, dass sie Jason hatte. Wann immer sie sich schlecht fühlte, konnte sie zu ihm gehen. Dann nahm er sie in den Arm und versicherte ihr, dass alles wieder gut werden würde. Das Gleiche tat sie bei ihm. Sie spendeten sich gegenseitig Kraft.
Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es ihr gehen würde, wenn sie diese Möglichkeit nicht hätte. Dann wäre sie vermutlich schon lange zusammengebrochen.
Annabeth hatte das alles nicht. Sie musste eine viel größere Last tragen, als alle anderen und ihr größter Vertrauter, der Mann, den sie liebte, war nicht hier. Natürlich konnte sie zu Percy in Hütte 3 gehen, doch das war nicht dasselbe und verschlimmerte das alles noch. Denn wenn sie ihm dabei zusah, wie er dort lag und langsam starb, dann erinnerte es sie nur daran, was sie verlieren konnte.
Piper hatte mit ihr darüber reden wollen. Sie hatte ihr eine Schulter, an der sie sich ausweinen konnte, geben wollen. Aber wann immer sie Annabeth darauf ansprach oder leise Andeutungen fallen ließ, blockte diese total ab.
Es war kompliziert. Warum konnte ihre beste Freundin nicht einfach glücklich werden? Warum erlegte ihr das Schicksal immer wieder neue Bürden auf?
All diese Gedanken waren ihr an diesem Abend durch den Kopf geschossen. Das Mitleid hatte sie regelrecht überspült, das hatte auch dazu geführt, dass sie Jason darauf angesprochen hatte. Was er darauf antwortete, wusste sie noch ganz genau.
„Ich mache mir Sorgen um Annabeth. Ich habe einfach das Gefühl, dass sie das nicht mehr lange durchhält.", Piper sah auf ihre Hände. Sie fühlte sich ganz und gar nicht wohl dabei, nun über Annabeth zu reden. Es fühlte sich irgendwie falsch an, auch, wenn sie ihr helfen wollte. Normalerweise würde sie versuchen, selber einen Weg zu finden, um jemanden zu helfen. Vor allem, was Gefühls-Sachen anging. Sie war die Hüttenälteste der Aphrodite-Hütte, so etwas sollte ihr eigentlich leicht fallen. Aber sie hatte einfach keine Ideen mehr.
Jason drückte ihre Hände sanft. Sie lagen zwischen ihnen auf dem Tisch im Speisepavillon. Seine Hände waren warm, er umschloss damit die ihren, die ganze kalt waren.
„Ich will ihr irgendwie helfen. Aber ich weiß nicht, wie.", Piper verstummte und biss sich auf die Lippe.
Sie hörte, wie Jason ein leises Seufzen von sich gab. „Pipes, du kannst ihr nicht helfen.", sagte er leise. „Egal, was du tust, es würde das alles nur schlimmer machen."
Ruckartig zog Piper ihre Hände weg. „Wie meinst du das? Soll' ich es gar nicht erst versuchen? Ich soll meiner besten Freundin nicht beistehen?"
Sie sah Jason wieder in die Augen und bemerkte, wie erschrocken er aussah.
„Was? Nein! Natürlich sollst du ihr beistehen!", erwiderte er schnell. „Verstehe mich bitte nicht falsch, Pipes. Aber überlege doch einmal. Wie würdest du dich fühlen, wenn ich an Percys Stelle dort liegen würde?"
Piper wollte schon eine schnelle Antwort zurückgeben, doch die Worte erstarben auf ihrer Zunge. Sie überlegte genau und kam dann zu einem Entschluss.
„Ich wäre schon lange durchgedreht. Ich würde irgendwo in einer Ecke sitzen, die Arme um meine Knie schlingen und vor und zurück wippen.", murmelte Piper. „Wie schafft sie das nur?"
„Ich weiß es nicht, Pipes. Das werden wir wohl nie erfahren.", Jason machte eine Pause. „Du kannst ihr nicht helfen. Und du solltest sie nicht dazu drängen, über ihre Gefühle zu reden. Wenn sie das tun will, dann wird sie es tun. Und wenn es so weit ist, dann bist du da, um ihr zu sagen, dass alles wieder gut wird."
Jason streckte seinen Arm aus und nahm wieder Pipers Hände, wärmte sie mit seinen. Mit seinen Daumen strich er sanft über ihre Handrücken, die Berührung jagte Piper einen Schauer über den Rücken.
„Du hast Recht.", flüsterte Piper. Sie sah ihm in die Augen. „Dieser Krieg hat gerade erst angefangen, Jason. Und wir sind jetzt schon alle am Ende. Das letzte Mal war schon schlimm genug. Was für Opfer müssen dieses Mal gebracht werden, damit wir gewinnen?"
Er wich ihrem Blick aus, dann hob er ihre Hände und drückte ihr einen Kuss auf die Fingerknöchel.
„Ich weiß es nicht, Pipes. Aber ich verspreche dir, dass wir das zusammen durchstehen werden. Und wir werden alles in unserer Macht stehende tun, damit die anderen es auch überstehen."
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Die Macht der Meere
FanficPercy und Annabeth gehen in Neu-Rom aufs College, die Halbgötter können in Frieden leben, mit jedem Tag verbessern sich die Beziehungen zwischen den Camps. Alles hätte so schön sein können. Doch dann erhebt sich Pontos, der Ur-Gott aller Meere- und...