EPILOG

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Scott

Scott hatte sich damit abgefunden, dass er tot war. Im ersten Moment war er geschockt gewesen. Ihm war nicht wirklich klar gewesen, was geschehen war und was das für ihn bedeutete. Er war in einer Art Nebel gefangen gewesen, ohne Erinnerungen und ohne Wissen über sich selbst.

Doch dann war das alles zurückgekommen. Von einem Augenblich auf den nächsten hatte er sich wieder daran erinnert- an alles erinnert. Auch an den Moment, als er das letzte Mal geatmet hatte und der Moment, in dem sein Herz aufgehört hatte, zu schlagen. Aber er erinnerte sich nicht an den Schmerz, er konnte sich nicht erinnern, wie es sich angefühlt hatte. Scott wusste nur noch, dass er unglaubliche Schmerzen gehabt hatte, aber das war auch schon alles.  Kein Nachhall von alledem. Wenn man die Tatsache, dass er nur aus Nebel bestand und keinen Körper mehr besaß, außer Acht ließ, dann ging es ihm sogar recht gut. Er fühlte sich ein bisschen leichter, als sonst, aber auch das schien als Geist normal zu sein.

Denn das war er jetzt. Ein Geist, da war nur noch seine Seele, ein Überrest von seinem sterblichen Leben.

Der Gedanke, dass alles vorbei war, machte ihn traurig. Das einzige Gefühl, dass er so richtig spürte, war Trauer. Er trauerte um das, was er verloren hatte. Er bereute, dass er es nicht geschafft hatte, Lisa zu sagen, was er für sie empfand. Jetzt war es zu spät. Er hoffte nur, dass Percy ihr irgendetwas sagen würde. Damit sie wusste, was er fühlte.

Scott war zudem nicht wütend auf Percy. Sein Bruder hatte ihn oft genug gewarnt, nicht nach der Wahrheit zu fragen und trotzdem hatte er nicht aufgehört, nachzuhaken. Percy war nicht schuld an seinem Tod, sondern nur Scott selbst. Er hoffte, dass auch sein Bruder das irgendwann einsehen konnte. Denn so, wie er ihn einschätzte, quälte er sich momentan mit Schuldgefühlen herum.

Scott wünschte sich, dass er noch einmal mit ihm reden könnte, um ihm das alles zu sagen. Aber diese Gelegenheit würde er vermutlich nicht erhalten

Während er vor dem Totengericht mit vielen anderen Toten wartete, spürte Scott, wie er ruhiger wurde. Er fing an, das Geschehene zu verarbeiten. Er hatte nicht damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde, doch so war es. Er akzeptierte seinen Tod. Es blieb ihm ja sowieso nichts anderes übrig. Also konnte er auch gleich das Beste aus seiner Situation machen.

Er sah sich um. Viele der Geister waren blass und durscheinend, andere erschienen dagegen fast fest. Viele sahen verwirrt aus, andere verstört und wieder andere wütend, oder still. Sie gingen alle unterschiedlich mit dem Tod um. Aber eins verband sie alle: ihr aller Leben war vorbei.

In dem Moment, in dem Scott von Skelettsoldaten herangewinkt wurde, verschwamm die Welt um ihn herum. Alles war weg, nur eine weiße Leere blieb. Er spürte, wie Panik in ihm aufstieg. Natürlich hatte er keine Erfahrungen, was das Tot-Sein anging, aber er wusste, dass das nicht normal war. Er war doch schon ein Geist, warum sollte er sich noch weiter auflösen?

Dann, als sich seine Gedanken komplett überschlugen, nahm alles um ihn herum wieder Gestalt an. Statt dem Weiß wurde seine Umgebung grau, die Umrisse von Felsen waren zu erkennen. Er konnte nicht sagen, wo er sich genau befand, denn es war weder eine Höhlendecke, noch der Himmel zu erkennen. Über ihm war alles grau.

Scott drehte sich einmal um seine eigene Achse, um sich einen Überblick zu verschaffen. Egal, in welche Richtung er blickte, alles sah gleich aus.

„Wir haben dich erwartet, Scott Hawthorne.", plötzlich ertönte eine Stimme hinter ihm. Der Klang ließ Scott kalt werden. Sie klang nicht böse, oder dergleichen, aber diese Stimme war voller Macht. Und das war noch viel furchteinflößender.

Schnell drehte er sich um und entdeckte drei alte Frauen in grauen Kleidern. Sie sahen uralt aus, weise und allwissend. Keine von ihnen lächelte, sie alle starrten ihn nur aus dunklen Augen an. Scott wurde nervös.

Die Macht der MeereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt