KAPITEL XLVIII

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Lisa 

Lisa fühlte sich absolut schrecklich. Wenn es nur nach ihr gehen würde, dann würde sie auf der Stelle aus dem Besprechungsraum rennen und nie wieder zurückkehren. So lange hatte sie die Erinnerungen an Scott und ihr sterbliches Leben verdrängt, doch seit sie von der aktuellen Situation erfahren hatte, nahm nichts anderes als das ihre Gedanken ein.

Es war so schmerzhaft, an Scotts Tod und den Krieg zurückzudenken. Hundertfünfzig Jahre war das nun her und doch fühlte sich auf einmal der Schmerz und die Trauer an, als läge das alles erst wenige Tage zurück.

Lisa war noch während des Krieges zu den Jägerinnen gegangen, sehr zum Ärger ihrer älteren Schwester und Hüttenältesten Hayley Langdon. Sie und alle anderen Kinder der Athene hatten es ihr übelgenommen, weil sie dachten, sie würde vor dem Krieg fliehen und sich der Verantwortung entziehen. Sie dachten, dass sie es nicht verdient hatte, ein Kind der Athene zu sein. Denn als ein solches löste man Problem und lief nicht weg.

Keiner von ihnen hatte je herausgefunden, dass sie Scott geliebt hatte. Das hätten sie vermutlich noch weniger akzeptiert.

Aber bei den Jägerinnen, zuerst unter Zoe Nachtschatten und nun unter Thalia als Kommandantin hatte sie ein neues Zuhause gefunden. Sie hatte Scott und ihren Schmerz vergessen und weiterleben können.

Und nun wurde sie erneut damit konfrontiert. Lisa presste die Lippen aufeinander und erwiderte die geschockten und überraschten Blicke der anderen Anwesenden. Vielleicht war es endlich Zeit, dass sie sich ihrer Vergangenheit stellte. Sie musste damit abschließen und durfte nicht mehr davonlaufen.

Natürlich kannte sie die Gesichter. Sie wusste, wer die Sieben waren, sie wusste, welche Halbgötter von wem abstammten und was sie schon alles getan hatten. Lisa waren die Menschen vor ihr nicht unbekannt, auch, wenn diese sie heute vermutlich das erste Mal wirklich wahrnahmen. Davor war sie immer in der Gruppe der Jägerinnen untergegangen, niemand hatte ihr einen zweiten Blick geschenkt. Sie war froh darüber.

Annabeth fand als erste ihre Sprache wieder. Sie schien zwar immer noch überrascht, aber sie verarbeitete das alles schneller, als die Anderen. Man sah ihr deutlich an, dass sie eine Tochter der Athene war, Lisas Auftauchen hatte sie zwar nicht vorhergesehen, aber es war logisch. Denn warum sollte keine Halbgöttin aus der Bürgerkriegs-Zeit zu den Jägerinnen gehören? Es sprach absolut nichts dagegen.

„Du-...", sie brach ihre ursprüngliche Frage ab. „Hast du Percy gesehen? Bist du ihm in der Vergangenheit begegnet?", wollte sie stattdessen wissen. In ihren Augen leuchtete ein Hoffnungsschimmer, weil sie vielleicht endlich die ersehnten Informationen bekam.

Lisa zwang sich zu einem Lächeln. „Es ist lange her und ich habe es über hundert Jahre verdrängt, aber je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir, dass ich ihn schon damals gesehen habe."

Ihre Worte verfehlten nicht an Wirkung. Sie konnte die Spannung in der Luft regelrecht spüren und das lag nicht an Thalia und Jasons Anwesenheit. Alle hingen an ihren Lippen und wollten wissen, was sie zu sagen hatte. Thalia auf dem Stuhl neben ihr lehnte sich unterdessen zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie kannte die ganze Geschichte bereits.

Annabeth stieß ein Seufzen aus, es war eine Mischung aus Erleichterung, Freude und Trauer.

„Ich glaube, du solltest alles von Anfang an erzählen.", meinte die andere Tochter der Athene dann. Die restlichen Halbgötter nickten zustimmend.

Lisa holte tief Luft. Seit sie aufgebrochen waren, um ins Camp zu gelangen, hatte sie sich viele Gedanken über das, was sie sagen musste, gemacht. Die Worte lagen eigentlich schon bereit auf ihrer Zunge, doch es fiel ihr schwer, mit dem Erzählen anzufangen. Viele der Jägerinnen kannten ihre Vergangenheit, aber es war das erste Mal, dass sie Außenstehenden etwas davon erzählte.

Die Macht der MeereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt