7.| »Knochenmann«

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Da die Sonne schon untergegangen war, nahm er die große Sonnenbrille vom Kopf und steckte sie in eine der Taschen in seinem Mantel. Der Wind huschte durch seine Augenhöhlen und riss ihm fast den schwarzen Hut vom Schädel.
Er kam vor dem Busch hervor, nachdem sie das kurze Telefonat beendet hatte, und schlich hinter ihr her, darauf bedacht, kein lautes Geräusch von sich zu geben. Nicht einmal die kleinen Absätze seiner edlen Lederschuhe klackerten.
Der Wind fuhr durch seine Klamotten und ließ die eine Seite des Schals nach hinten sausen. Doch anstatt Haut zu erkennen, strahlte nur das Weiß der Knochen und der geraden Zähne hevor. Er langte nach dem Stück und zog es wieder ordentlich, ließ die Brünette nicht aus seinen Augen.
Als sie plötzlich stehen blieb, sprang er zur Seite und drückte sich gegen einen Baumstamm, der im Dunkeln stand. Die Lichtstrahlen der Laternen kamen nicht bis dort. Er lugte hervor und sah, wie sie einen Mann anstarrte, der aus seinem Auto stieg. Sie sah angespannt aus, was sich aber änderte, als der Mann in seinem Haus verschwand.
Sie ging weiter und er folgte geschmeidig.
Es war so lange her, als er sie das letzte Mal gesehen hat. Damals war sie ein kleines Mädchen gewesen, vielleicht drei oder vier Jahre alt. Sie war genauso bezaubernd wie ihre Mutter. Sie hatte ihn angegrinst und jedes Mal seinen Hut versteckt. Ihre Verstecke waren raffiniert für ein Kleinkind. Dass er ein Skelett war, das hatte sie wohl nie wirklich registriert. Er seufzte, denn er konnte nicht glauben, was er nach dem Tod seines alten Kollegens und Freund erfuhr. Er war mit Freude und Schrecken zwiegespalten und wenn er ehrlich war schmeckte er die Angst auf seiner imaginären Zunge, sie kroch ihm tiefer und tiefer in den Rachen.
Teresa bog vor ihm ab und ging auf das Grundstück, zu welchem er sie an diesem Tag als vermeintlicher Taxifahrer gebracht hatte.
Der Vermummte bog ebenfalls ab, kauerte sich abermals hinter einen Baum und sah zu, wie sie die Tür teteste, dann aber klopfte und ein Mann aufmachte.
Er kannte ihn, war sich aber sicher, dass Jethro ihn nicht mochte.
Es gab viele Leute, die ihn nicht mochten, vielleicht auch zu viele, aber so war das, wenn man ein Skelett-Leben führte und schon hunderte von Jahren lebte.
Er beobachtete jede Bewegung und dann war die Tür zu: Sie war im Haus und er hier draußen.
Er wartete einige Minuten, ehe er an den Büschen vorbei ging und über das leere Blumenbeet trat. Bevor das große Wohnzimmerfenster ihn präsentierte, blieb er stehen und nahm seinen Hut ab, diesen klemmte er sich unter einen Arm. Dann schob der Mann seinen Kopf so weit nach vorne, dass er unbemerkt in den Raum sehen konnte.
Sie saßen auf der Couch und Gibbs hatte seine Arme um sie gelegt, ihr Kopf lag an seiner Brust. Ihre Gesichter waren nicht zu sehen.
Seine imaginären Lippen hingen hinab, er verspürte ein Gefühl.
War es Traurigkeit?
Wahrscheinlich.
Sie tat ihm leid.
Sein Handy spielte eine leise Melodie ab, die ihn kaum merkbar zusammenzuckem ließ. Er griff in seine Tasche und holte das schwarze Gerät hervor.
Walküre.
Er lehnte sich gegen die Mauer und hob ab, sprach nur mit gesenkter Stimme. „Hallo."
„Wo bist du?", sie begrüßte ihn nicht.
„Warte kurz.", murmelte er und setzte seinen Hut auf, setzte sich in Bewegung.
„Nein, Skulduggery, ich warte nicht!", er hörte sie Luft holen, „Seit Tagen lässt du dich nicht mehr blicken und unseren jetzigen Fall lässt du links liegen!", motzte sie.
„Ich habe was anderes zu tun.", erklärte er und stand wieder auf dem Bordstein. Der Wind zerrte an ihm.
„Ach und was?"
„Unwichtig."
„Denke ich nicht.", im Hintergrund wurde getuschtelt. Grässlichs Stimme erkannte er und Taniths auch.
„Okay."
„Wo bist du?", fragte Walküre dann.
„Da wo du nicht bist.", witzelte Skulduggery Pleasant.
„Knochenmann!", knurrte sie, „Das ist nicht lustig!"
„Aber wahr.", er zuckte mit den Schultern, auch, wenn sie es nicht sah.
Sie zog es lang. „Also?"
„Das sagte ich dir eben, Walküre.", er ging den gepflasterten Weg entlang. Bei Gibbs war Teresa sicher.
„Hör mal.", sie stöhnte genervt, das Getuschel im Hintergrund wurde lauter, verstummte dann aber.
„Ich höre."
„Du bist mein bester Freund und es bereitet mir Sorge, so wie du dich im Moment benimmst.", meinte sie ehrlich. Für ihn war sie seit längerem mehr als eine beste Freundin.
Er blieb stumm, da er wusste, dass sie noch was sagen wollte.
„Bitte sag mir doch einfach, was los ist. Wir reden doch sonst auch über alles.", ihre Stimme war weich.
„Du musst dir keine Sorgen machen.", beteuerte er.
„Wenn du dich in irgendeine Scheiße reitest ...", fing sie an und das Skelett redete für sie weiter. „Machen wir es so wie immer und kämpfen uns zusammen raus. Du rettest mein Leben und ich rette deins."
„So läuft das bei uns nun mal.", murmelte sie.
Er kam bei seinem Bentley an und öffnete die Tür auf der Fahrerseite. „Dann sehe ich hier kein Problem."
Auf der anderen Seite der Leitung war es still, er hörte nur ihr Ein- und Ausatmen.
Skulduggery stieg ein und zog die Tür zu, lehnte sich in den Sitz, wartete.
„Ich hasse dich.", fauchte sie dann.
„Das tust du nicht und das wissen wir beide.", erwiderte er locker.
Wieder diese Stille.
„Na gut, aber wenn etwas ist, ruf mich an, ja?"
„Okay."
„Und? Kann ich dich auch anrufen?"
„Weiß nicht, musst du ausprobieren."
„Tschüss.", sie legte einfach auf und er vernahm das regelmäßige Tuten.
Er packte das Telefon weg und nahm seinen Schal ab, schmiss ihn auf den Beifahrersitz, auf dem Walküre eigentlich immer saß.
Kurz fragte er sich, wieso er sich vermummt hatte, er hätte auch einfach eine Fassade aufsetzen können.
Auch egal., dachte er.
Das Skelett lehnte sich zwischen den Sitzen hindurch, ergriff einen schwarzen Koffer und legte ihn dann auf seinen Schoß.
Seine behandschuhten Daumenknochen drückten auf die Knöfpe. Die beiden Schnallen sprangen zur Seite und er öffnete den Koffer.
Auf der linken Seite waren zwei Bücher festgeschnallt und auf diesen lag ein Bild. Er nahm es in die Hände und schloss den Koffer wieder, stellte ihn in den Fußraum des Beifahrersitzes.
Dann besah er das Bild abermals.

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Hello.
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Der Ring des DrachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt