40.| »Was ist passiert?«

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Sie riss die Augen auf und schreckte hoch. Ihr Atmen ging stockend und sie fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.
Ihre andere tastete über den Beistellstisch und suchte nach dem Schalter, der die kleine Lampe einschalten sollte, jedoch stieß sie gegen etwas Kaltes.
Hope schluckte schwer.
„Ist irgendwas?”, fragte Severin leise.
„Ich ... hab' mich nur erschrocken.”, stammelte sie mit brüchiger Stimme.
„Oookkkayyy.”
Sie atmete kurz durch und suchte dann wieder nach dem Schalter, fand ihn und machte das Licht an.
Das Bett, zwei Meter von ihr entfernt, war leer. Also stimmte es, Tanith war bei Grässlich. Die Tür war heil - kein Loch klaffte im Holz.
„Hast du schlecht geschlafen?”, fragte Severin weiter.
Zögernd blickte sie zu dem Schädel, dann nickte sie nur.
War etwas anders an ihm? Zeigte sich etwas, was verdächtig war?
Nein.
Er sah aus, wie der selbe Schädel, den sie vor einigen Stunden fand.
„Ich ... Ich gehe kurz auf Toilette.”, meinte sie und schwang die Beine aus dem Bett.
„Viel Erfolg dabei, Hopppee.”, säuselte er.
Schnell schlüpfte sie in Hose und T-Shirt und verließ auf wackeligen Beinen das Zimmer.
Es war ein Traum gewesen. Nur ein Traum. Severin war nicht schizophren, nein. Er war liebenswert - auch, wenn er ein Schädel war - und er war ein Freund, wenn man es denn so nennen konnte, von Mike.
Aber wieso zur Hölle träumte sie so etwas?
Wollte ihr Unterbewusstsein sie fertig machen oder wollte es nur, dass sie sich von dieser Welt abwandte?
Sie wusste es nicht.
Hope lief an der Tür zum Sanitärraum vorbei und bog in einen anderen Flur ab. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie Hunger hatte, etwas essen wollte, doch sie kannte sich hier nicht aus. Und dazu wusste sie nicht, ob sie um diese Uhrzeit überhaupt noch etwas bekommen würde.
Wie viel Uhr war es eigentlich?
Sie bog um eine Ecke und erblickte einen dieser Sensenträger, die im Sanktuarium wie Statuen stumm dastanden.
Zögernd ging Hope auf diesen zu und blieb vor ihm stehen. Sie sah ihr Gesicht in dem glänzenden Visir.
Gott, sah sie schrecklich aus!
„Ich ... Eh ...”, fing sie an, doch unterbrach sich selber wieder.
Der Sensenträger regte sich nicht.
„Okay. Also ich wollte fragen, ob ich vielleicht irgendwo etwas zu essen herbekommen kann?”
Keine Antwort.
Hope stand ratlos vor ihm.
Vielleicht hatte er sie einfach noch nicht registriert?
Aber wie wahrscheinlich war das?
Sie tippte ihm gegen die Brust. „Hallo?”
Immer noch nichts.
Als ihr Finger gegen das Visir klopfen wollte, schnellte sein Arm hervor und packte ihr Handgelenk.
Hope erstarrte.
Umso mehr Sekunden verstrichen, desto schwächer wurde der Griff und schließlich ließ er los, setzte sich in Bewegung.
Irritiert ließ sie sich von ihm durch die Flure zu einer Cafeteria führen. Sie war spärlich beleuchtet, da sich dort niemand aufhielt. In der Küche, die sich hinter einem Tresen befand, klirrte es kurz, dann hörte man ein Fluchen.
Der Sensenträger hob seinen Arm und zeigte mit dem Finger in die Richtung aus der das Klirren kam und ließ sie alleine.
Hope zögerte, ging dann aber zum Tresen. „Hallo?”
Es rumpelte kurz, dann kam ein großer Mann durch eine Tür und sah sie fragend an.
Hope öffnete den Mund, doch ihr Magen war schneller und gab ein Grummeln von sich.
„Komm rum.”, er machte eine einladende Geste und verschwand wieder durch die Tür.
Peinlich berührt ging sie um den Tresen herum und betrat kurz darauf die Küche.
„Ich bin Shawn.”, der große Mann, dessen Haare man nicht sehen konnte, da er eine Mütze trug, stand vor einem großen Kühlschrank.
„Hope.”
„Du hist neu hier oder?”
„Ja.”, sie fühlte sich etwas verloren in dem Raum.
„Und wie bist du hergekommen?”
„Ein Sensenträger hat mich hergebracht.”
Shawn drehte sich stirnrunzelnd um.
„Ist 'was?”
„Eigentlich sollen die auf ihren Posten bleiben.”, berichtete er, zuckte dann aber mit den Schultern und drehte sich wieder um. „Aber egal ... Wie wäre es mit Nudelauflauf?”
„Ein Brot wäre mir auch ganz recht.”, murmelte Hope.
„Quatsch.”, er holte das halb leere Blech raus und stellte es weg, schloss dann den Kühlschrank. „Das schaff ich doch alles alleine gar nicht.”
„Na gut ... Danke.”
„Guti. Da hinten ist Besteck.”, er deutete auf einen Wagen, auf dem Messer, Löffel und Gabeln verstreut lagen.
Hope verstand und drehte sich um, während er zwei Teller holte.

*

„Schmeckts?”, Shawn schmatzte.
Sie sah auf und nickte dann, schluckte das Gekaute herunter. „Ja, sehr.”
Er grinste freudig.
„Für gewöhnlich mögen die anderen den Nudel-Katzenfleisch-Fischaugen-Auflauf nicht.”
„Was?”, entgeistert sah sie ihn an.
Er lachte belustigt auf. „Ach Hope.”, dann schaufelte er eine nächste Ladung in seinen Mund.
Sie atmete erleichtert auf und aus irgendeinem Grund musste sie Schmunzeln.
„Yay, ein kleines Lächeln.”, kam es triumphierend von ihm.
Fragend zog sie die Augenbrauen zusammen.
„Du sahst vorhin so ... traurig - ich weiß nicht, ob man es so nennen kann - aus.”
„Oh.”
Shawn nickte.
„Ich hab schlecht geträumt. Auch, wenn ich weiß, dass es Traum war, hat es sich so real angefühlt.”, murmelte sie.
Und schon wieder erzählte sie einem Fremden etwas, was er wahrscheinlich nicht hören wollte.
„Kenn ich, aber ich sag mir dann immer, dass es eh nichts wahres ist und dann denke ich nicht weiter drüber nach.”
„Ich frage mich einfach, ob ... mein Unterbewusstsein mir klar machen will, dass ... dass ich gehen sollte. Dass ich das hier vergessen sollte.”, platzte es aus ihr heraus.
Shawn legte seinen Löffel weg. Seine Schultern senkten sich ab und er sah sie mitleidig an. „Die Frage kann ich dir leider nicht beantworten, Hope.”
Sie nickte nur.
Er sah sie einen Moment lang an, so als überlege er, wie er ihr helfen könnte. Dann stand er aber auf und räumte die Teller ab.
Sie tat es ihm gleich und nahm das leere Blech. Ging ihm hinterher.
Ja - Ihr konnte keiner helfen.

Der Ring des DrachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt