3.| »Flucht«

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An dem Tag, an dem Lisbon gekündigt hatte, war sie nochmals zu ihrer Wohnung gefahren. Sie hatte ihren Seesack unter dem Bett hervor geholt und hektisch - es fühlte sich für so an, als würde sie ersticken - Sachen hinein gestopft. Auch ein Bild ließ sie in dem Sack verschwinden. Dann hatte sie ihre Wohnung hinter sich gelassen und den erstbesten Flieger genommen, der sie nach Washington D.C brachte.
Die erste Nacht war sie stumm durch die Gegend gestreunert, dachte nach und fror am ganzen Leib, in der zweiten hatte sie sich ein Motelzimmer genommen.
Lustlos starrte sie an die dreckige Decke, die einen unangenehmen Gelbton über die Jahre hinweg angenommen hatte. Die dicken lilafarbenden Gardinen, die nicht mehr ganz frisch aussahen, hatte sie am Abend zuvor nicht zugezogen, weswegen die Sonne ungehindert in den Raum strahlte. Der Bettbezug kratzte auf ihrer nackten Haut und hielt sie nicht warm.
Sie schlug die Decke zurück und hievte die Beine vom Bett. Ihre nackten Füße berührten den Boden, der seine besten Jahre schon lange hinter sich hatte. Sie stand auf und ging zum Seesack, nahm ein paar Sachen heraus.
Im Bad wusch sie sich vor dem Waschbecken. Sie war angeekelt von der Dusche, die an einigen Stellen schon schimmelte.
Sie putzte sich die Zähne, kämmte ihr braunes Haar und bekleidete sich. Dann ging sie zurück und packte ihre Sachen zusammen.
Gerade wollte sie den Seesack zuziehen, da fiel ihr Blick auf das Bild.
Ihre zarten Finger holten es heraus und sie besah es.
Eine schöne, braunhaarige Frau lächelte sie warm druch das gesprungene Glas an. Ihr schwarzes Kleid bedeckte den Körper entzückend und an der Hand heilt sie ein Kind. Das Mädchen hatte ebenfalls einen braunen Schopf, der ihr wild über die Schultern hing, ihr dunkelgrünes Kleid saß nicht richtig und sie sah hinauf zu der Lächelnden. Neben der Frau sah sie nur halb so schön aus. Trotzdem strahlte dieses Bild eine Liebe aus, die Teresas Herz wieder erfüllte.
Das Bild entstand auf einem Geburtstag irgendeines Urgroßvaters von Teresa. Ihr Vater wollte unbedingt von den beiden ein Bild machen und der Bogen aus Blumenranken über der Tür des imposanten Hauses erschien als perfekt. Was das Bild aber wirklich perfekt machte, war die Liebe. Die Liebe, die zwischen Mutter und Tochter herrschte, eine endlose Liebe.
Traurig begann die ehemalige Polizistin zu lächeln. Sie vermisste ihre Mutter, dass hatte sich nie geändert, nur der Schmerz hatte nachgelassen. Der Schmerz und die Wut darauf, dass irgendein betrunkener Idiot sie angefahren hat.
Ihr Finger fuhr über das gesprungene Glas, es musste gebrochen sein, als sie den Tag zuvor über einen Bordstein gestolpert war.
Sie küsste das Bild einmal und legte es zurück, dann zog sie die Stränge zusammen, band einen Knoten und schlüpfte in ihre Jacke, ehe sie sich den Seesack umhing.
Lisbon legte dem Mann am Eingang ein paar Scheine auf den Tresen und verließ den schäbigen Schuppen.
Auf dem Bürgersteig blieb sie stehen und hob die Hand. Zwei Taxis fuhren an ihr vorbei, doch das dritte hielt.
Es war etwas verwunderlich, da es schwarz und nicht gelb war, trotzdem öffnete sie die Beifahrertür.
Sie zwang sich nicht neugierig zu starren, als sie einen Vermummten am Lenkrad sah, er trug eine riesen Sonnenbrille, einen Schal der seinen unteren Teil des Gesichtes bedeckte und dazu hatte er einen Hut auf dem Kopf, unter ihm lockten sich die Haare stark. Sie fand, dass seine Mähne etwas unecht aussah.
Erst jetzt schoss ihr ins Gedächtnis, dass sie vielleicht lieber nicht mitfahren sollte, aber es war nur ein Mann, ein Taxifahrer. Vielleicht war er ja entstellt und vermummte sich deswegen so.
„Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich vorne sitze?", fragte sie und ihre Stimme wäre fast gebrochen.
Er schüttelte den Kopf. „Setzen Sie sich."
Sie stieg ein und zog die Tür zu und schnallte sich an.
„Wohin soll es gehen?", er hatte seinen Kopf zu ihr gedreht und sah sie durch die Sonnenbrille an.
Hinter den Gläsern erkannte sie keine Umrisse, es war tief schwarz. Trotzdem ließ sie sich davon nicht beirren, sagte sich, dass er einfach nur dunkle Augen hatte.
Sie nannte die Adresse, zu der sie wollte und der Mann nickte, dann fuhren sie los.
Sie knickte einen der Stränge des Sackes, der zwischen ihren Beinen verweilte, und kratzte dann mit dem Fingernagel daran.
Ein komisches Gefühl hatte sich in ihr breitgemacht und sie konnte es nicht zuordnen, das machte sie nervös.
Ein dumpfer Knall ertönte und plötzlich gingen Hupen los.
Der Wagen kam hinter einigen anderen zum Stehen, das weiße Auto hinter ihnen hupte ebenfalls ein Konzert und hing ihnen fast im Kofferraum.
Sie sank tiefer in den Sitz, während der Fahrer die Tür öffnete. Sie wollte etwas sagen, ließ es aber und er stieg aus. Er entfernte sich vom Wagen, um kurz darauf in die andere Richtung zu gehen.
Teresa verfolgte ihn mit ihrem Blick und sah, wie er neben dem Auto hinter ihnen zum Stehen kam.
Der Fahrer des weißen Pasarts hörte auf zu Hupen, fuhr die Scheibe runter und der Mann beugte sich runter, sprach mit ihm und kam zurück.
Als er wieder auf das schwarze Taxi zu kam, setzte sich Teresa ordentlich hin und der Pasat blieb ruhig, fing nicht nochmal an, sich in das Hupkonzert einzumischen.
Sirenen ertönten und ein Rettungswagen bretterte heran, kurz darauf eine andere schrille Sirene und ein Polizeiauto kam hinterher.
„Da vorne sind drei Autos hineinader gekracht.", berichtete er Lisbon und schnallte sich wieder an, wandte sich wieder zu ihr um.
„Oh.", machte sie nur.
„Sie sehen müde aus, Ma'am.", fing er ein neues Tema an und lehnte sich zurück, die behandschuten Hände legte er auf seinem Schoß ab.
„Bin ich auch.", sie seufzte, „Nennen Sie mich nicht Ma'am." Sie fügte noch schnell ein „Bitte" hinzu, weil sie befürchtete, dass es ihr zu schnippisch über die Lippen kam.
„Okay.", sagte er und blickte in den Rückspiegel.
Das Getümmel vor ihnen wurde immer unübersichtlicher und ein zweiter Rettungswagen eilte heran, die Autofahrer waren nun mehr auf das Gaffen konzentriert, als darauf sich zu beschweren.
„Ich hasse Gaffer, was für Idioten.", murmelte sie unbewusst.
Er hatte es gehört und nickte bestätigend. „Ich auch. Es ist einfach unnötig und schamlos."
Der Wagen setzte den Rückwärtsgang ein und rollte, so wie die anderen Autos, langsam nach hinten.
Teresa sah wieder zu ihm rüber. Aus irgendeinem Grund fand sie ihn nett, auch wenn er ihr dieses komische Gefühl bescherte und man sein Gesicht nicht sah.
Das schwarze Taxi fuhr rückwärts in eine Auffahrt und wendete.
„Ich muss einen anderen Weg nehmen, dauert vielleicht bisschen länger."
„Schon okay, ich habe Zeit."
„Und ich erst.", murmelte er.
Sie blieb still.
Der Wagen rollte die Straße hinunter, bog hier und dort mal ab und stand an der nächsten Ampel.
Sie fuhren eine Siedlung entlang und hielten kurz darauf vor einem Haus.
Teresa schnallte sich ab und kramte Geld aus ihrem Geldbeutel, hielt es ihm hin. „Mehr habe ich nicht, ich hoffe es reicht.", sagte sie.
„Ach, dann behalten Sie es. Wir sind verspätet angekommen."
„Nein, da konnten Sie ja nichts für.", sie legte es auf das Armaturenbrett und schenkte ihm ein gepresstes Lächeln, dann stieg sie aus.
Sie schloss die Tür und ging auf das Haus zu, hörte, wie der Wagen davon fuhr. Aber das flaue Gefühl blieb bestehen, ließ ihren Magen Grummeln.
Teresa drückte auf die Klingel, doch es läutete nicht. Seufzend schob sie die Tür auf, doch sie war abgeschlossen.
„Seit wann denn das?", murmelte sie zu sich selber und klopfte gegen das Holz. Doch innen regte sich nichts.
Irgendwann gab sie es auf.
„Schätzchen!", rief es plötzlich von hinten.
Sie drehte sich um und erkannte eine kleine Frau mit kurzen grauen Haaren, die eine Brille trug und einen dürren Körper besaß. Sie hatte einen Hund an der Leine.
Das Gesicht der Renternin hellte auf. „Ich fasse es ja nicht! Teresa Lisbon!", sagte sie begeistert.
Berta Meyerwell war ihr Name. Teresa kannte sie. Als sie noch ein kleines Kind war, hatte sie immer mit Tobias, Bertas Sohn, gespielt; sie waren beste Freunde.
Lisbon ging auf sie zu und lächelte leicht. „Hallo."
„So lange haben wir uns nicht gesehen, Mensch.", meinte sie dann aufgeregt und zog sie in eine Umarmung.
Sie erwiderte diese, löste sich dann wieder.
„Was bringt dich denn wieder nach D.C? Du bist doch Polizistin in Sacramento, richtig? Ein großer Fall, der euch hergeführt hat? Muss die große Teresa Lisbon wieder den bösen Jungs oder Mädchen in den Arsch treten?", redete sie gleich drauf los.
Fast wurde es ihr zu viel, aber sie kannte die alte Lady, das war ihre Natur. „Nein, nein.", meinte sie langsam, „Ich wollte Jethro besuchen."
„Ach Schätzchen, du weißt doch, der arbeitet.", sagte die Lady belustigt.
„Oh." Daran hatte sie nicht gedacht.
Berta lachte leicht. „Komm, ich mache dir mal was zu essen. Du hast doch sicher Hunger. Hast du? Immerhin ist es gleich schon Mittagszeit. Rolfi kommt bestimmt auch gleich wieder."
Wenn sie so nachdachte, machte sich wirklich der Hunger in ihr breit. Sie hatte kein Abendbrot gessen und gefrühstückt hatte sie an diesen Morgen auch nicht.
„Ja. Ja, ich habe Hunger."
„Dann komm mal.", sie marschierte los und Teresa ging hinterher.
„Sag mal, wie geht es Tobias?"
Und die Frau fing an wie ein Wasserfall zu reden. Die Worte waren das Wasser und sie fielen aus ihrem Mund hinaus - der Mund war die Quelle, aus der die Wasser-Wörter runterprasselten.

Der Ring des DrachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt