21.| »Hope«

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Skulduggery saß stocksteif da.
Der Nebel, der durch den kleinen Tornado entstanden war, zog langsam ab und er starrte die Frau, die ungefähr zwei Meter von ihm entfernt lag, an.
Das, was er in ihren Augen sah, war wild und ungehalten. Es wirbelte in dem Grün herum, als wolle es freigelassen werden.
Hatte er eine ungezügelte Kraft geweckt?
Er hoffte, dass es nicht so war.
Pleasant kam auf die Knie und kroch zu ihr hinüber. Ihre Adern leuchteten immer noch unter ihrer Haut, aber die Lippen wuchsen schon wieder zu. Ihre Haare lagen platt neben ihr, die leichten locken, die sie für gewöhnlich hatte, waren verschwunden.
Er rüttelte an ihr und tastete ihren Mantel dann nach einer Packung Taschentücher ab. Er fand keine, also zog er den Seesack zu sich, öffnete ihn.
Ein Bild kam ihm entgegen und er hielt inne. Es war das Gleiche, wie das in seiner Jackentasche.
Behutsam ließ er es wieder hineingleiten und wühlte weiter.
Als er eine Packung fand, zog er ein Tuch heraus und säuberte ihren Mund und das Kinn. Unachtsam, da es ihm ziemlich egal war, schmiss er es auf den Boden und rüttelte wieder an Teresa.
Diese keuchte leise und spreizte die Lippen, damit sie regelmäßig atmen konnte. Aus irgendeinem Grund war ihre Nase verstopft. Sie war von Schweiß bedeckt. Er zog sie hoch und sie lehnte sich an ihn. „Geht's wieder?"
Sie ächzte, ihr Hals war trocken, als wäre sie stundenlang ohne Wasserversorgung gewesen.
Er hob seine rechte Hand und ließ den Schweiß verdunsten.
„Konntest du was sehen?", wollte er wissen.
Kaum merklich schüttelte sie den Kopf.
„Mist."
„Hope.", krächzte sie dann plötzlich. „So nannte ich mich."
Hätte er Lippen gehabt, hätte er gelächelt.
Ja, so hatte sie sich genannt, als sie ein kleines Mädchen war, das mit der Magie spielte, als sei sie ein Spielzeug und vollkommen ungefährlich.
Sie löste sich mühsam von Skulduggery und sah ihn an. „Ich will Mikes Mörder finden.", kam es entschlossen von ihr.
Sie war sich ziemlich sicher, dass sie es wollte. Mike lag ihr am Herzen und sie konnte es nicht so offen lassen - auch, wenn sie sich der Mordermittlerei abgewandt hatte.
„Bist du dir sicher, dass du das alles willst? Dass du in diese Welt willst?"
Sie nickte. „Ich stecke schon drin. Das tat ich immer, ich wusste es nur nicht.", es schien so, als käme sie wieder zu Kräften.
Er musterte sie schweigend, dann: „Okay. Wir müssen nach Irland."
„Wurde er dort ermordet?"
Er nickte.

*

Skulduggery hatte wieder eine der Fassaden aktiviert, als sie sich mit einem kleinen Ablenkungsmanöver an der Kontrolle der Passagiere vorbei schmuggelten.
Die beiden saßen ganz hinten, bei der Flugzeugtoilette. Teresa am Fenster und neben ihr Skulduggery. Zwischen ihren Füßen lag der Seesack und auf ihrem Schoß der Koffer.
Die Durchsage verstand Teresa kaum, dann ruckelt das Flugzeug und nach einigen Minuten befanden sie sich in der Luft. Die Erde sah von dort oben so klein aus.
Lisbon wandte sich zu ihm. „Wenn du ein Skelett bist,", flüsterte sie, „wie alt bist du dann?"
Seine Stimme war genauso leise wie ihre. „Fast fünfhundert Jahre."
Sie bekam große Augen. „Wirklich?"
„Ja. Der Alterungsprozess wird verlangsamt, fast gestoppt, wenn man ein Zauberer ist.", erklärte er ihr, beugte sich etwas zu ihr rüber.
„Krass ... Eh, kann ich noch was fragen?"
Skulduggery nickte.
„Naja, du bist ein Skelett ... Du. Ich mein ...", verlegen strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht.
„Ich verspüre keinen Hunger, keinen Drang auf Toilette zu gehen sowie keine Müdigkeit.", er zählte es an seinen Fingern ab und fügte noch hinzu, „Ich meditiere, das ist sozusagen mein Schlafen."
„Oh okay."
Sie drückte sich tiefer in den Sitz und dachte nach. Dachte über Skulduggery nach, über Mike, über ihre Mutter. Sie dachte über alles nach, was ihr in den Sinn kam.
Ermüdet von den sich überschlagenden Gedanken, schlief sie ein.
Es war ein traumloser Schlaf.
„Aufwachen", jemand rüttelte an ihrem Arm und sie schlug, nach kurzem Zögern, die Augen auf. Es war doch kein Traum, es war die Realität, sie saß im Flieger, der sie nach Irland brachte.
Sie schlichen sich am Dublin Airport an den Sicherheitskontrollen vorbei und standen dann auf einem großen Parkplatz.
Während Skulduggery telefonierte, sah sie sich um. Die Menschen wuselten umher, wie Ameisen, die etwas zu ihrer Königin brachten.
Er trat wieder zu ihr. „Man holt uns gleich ab. Wir müssen kurz warten."
„Okay."
„Eines musst du noch wissen - okay, eines ist etwas untertrieben, da es noch vieles gibt, was du wissen solltest, aber ich denke, das ist erstmal wichtiger."
Sie nickte registriert und er sprach weiter.
„Jeder hat drei Namen. Den, den man von seinen Eltern bekommt - bei dir ist es Teresa Lisbon - und dann gibt es den, den man annimmt. Zauberer nehmen einen anderen Namen an, damit sie geschützt sind, ansonsten kann man sie manipulieren ..."
„Und du hast mich manipuliert.", stellte sie fest.
„Verzeih."
„Schon gut."
Er sprach weiter. „und dann gibt es noch den dritten Namen. Den wahren Namen. Man kennt ihn nicht. Das sollte man auch nicht - ich gehe nicht weiter darauf ein. Okay?"
Sie nickte nochmals.
„Du brauchst einen Namen den du annimmst."
„Hope.", erwiderte sie.
Er nickte. „Hope und weiter?"
Sie seufzte und ließ kurz den Kopf hängen. „Weiß ich noch nicht."
Er klopfte ihr auf den Rücken, seine Hände waren wieder behandschuht.
Ein Auto fuhr vor und Skulduggery ging auf dieses zu, er öffnete die Beifahrertür und stieg ein. Teresa bequemte sich auf die Rückbank.
„Hallo.", grüßte sie den Mann mit den blauen Haaren, die zu einem Irokesen hochgestylt waren.
„Hallo Mädchen. Skulman, sag nicht, du hast eine neue Partnerin.", er hörte auf, sie durch den Rückspiegel anzusehen und fuhr los.
„Nein, Finbar.", er schüttelte den Kopf und schnallte sich an, „Hope, das ist Finbar Wrong, ein Sensitiv. Sowas wie ein Medium."
Der tätowierte Mann hob eine Hand vom Lenkrad und grüßte sie nochmal.
„Finbar, das ist Hope."
„Nur Hope?"
„Ja."
„Schön, schön.", trällerte er.
„Wie lange werden wir fahren?", hakte sie dann nach.
„Nicht lange.", Finbar schaltete das Radio ein.
Teresa öffnete den Koffer und besah nochmal alles. Sie konnte der Versuchung nicht wiedersehen und zog eine Schleife auf, nahm eines der beiden Bücher, die in altes Leder eingeschlagen waren, heraus. Sie schlug es auf und ein Bild eines Mannes kam in ihr Blickfeld:
Er war groß und kräftig, sehr kräftig.
Mevolent stand über dem Bild. Darunter befand sich ein Steckbrief, aber keine weitere Ausführung, ein dickes rotes TOT stand ganz unten in der rechten Ecke.
Sie blätterte weiter.

Der Ring des DrachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt