28.| »Immer noch im Atelier«

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„Das mit Mike tut mir leid.”, Grässlich hockte vor ihr auf dem Boden und handwerkelte an den Stiefeln herum.
Sie hatte eine schwarze Hose an und eine dunkelgrüne Jacke. Beide Kleidungsstücke waren gepanzert und saßen perfekt an ihrem Körper.
„Skulduggery hat es dir erzählt?”, ihre Stimme war nicht laut, sie traute sich ehrlich gesagt nicht, lauter zu sprechen, während sie auf seine Narben niedersah.
„Er rief mich an, als man den Leichnam fand. Drei Tage danach war er verschwunden.”, er zog den Schnürsenkel sorgsam durch die Halterungen.
„Oh.”
Dann band er eine Doppelschleife und tat dasselbe bei dem anderen Schuh. „Im Sanktuarium hat er mich gebeten, mit dir zu Mikes Haus zu fahren.”, er sah kurz auf.
Sie nickte.
„Ich schätze ... Mike wusste, dass er umgebracht wird, bestimmt hat er irgendwelche Hinweise hinterlassen.”, Grässlich baute sich vor ihr auf. Er war drei Köpfe größer als sie. Bei anderen Menschen empfand sie so etwas manchmal als bedrohlich, bei ihm aber machte sie sich keine Sorgen.
Wieder ein Nicken - „An was arbeiten die anderen eigentlich?”
„Die müssen verhindern, dass ein paar Viecher nicht aus ihrem Schlaf gerissen werden.”
„Ein paar Viecher?”
Sein Blick durchbohrt den von Hope gerade zu und sie sah auf die Stelle zwischen seinen Augenbrauen.
„Ja, ist aber nicht weiter wichtig für dich ... Hope, ich ... komme gleich zurück, ja?”
„Okay?”
Der Schneider drehte sich um und ging auf eine Wand voller Bücher zu. Seine rechte Hand strich über die Buchrücken, fand das größte und kälteste und zog es nach vorne. Hinter Wand rumpelte es und das ganze Regal schob sich auf. Er ging hindurch und verschwand in der Dunkelheit eines steinernden Flures.
Zögernd ging Hope bis zum Eingang und versuchte etwas auszumachen, aber sie konnte nichts erkennen, also drehte sie sich wieder um und entfernte sich einige Schritte.
Durch das Fenster, was Walküre vorhin geöffnet hatte, krachte eine Person.
Die Frau schwang sich hektisch hindurch und stand dann mitten im Raum. In der rechten Hand hielt sie ein Schwert, dessen Klinge rote Flüssigkeit an sich trug. Ihre Blonden locken hingen ihr in das Gesicht und sie schüttelte diese zur Seite, sah auf.
Ihre Augen weiteten sich, als sie Hope erblickte. Ihre Muskeln spannten sich. „Alex, Oh Gott.”, sie machte einen Satz nach hinten, stand dann an der Wand.
„Ich bin ni ...”, weiter kam sie nicht, da die Frau mit dem Schwert auf sie zu hechtete und ihr einen Tritt in den Bauch versetzte.
Hope schrie erstickt auf, als sie gegen die Tarntür krachte.
„Ich wusste, du kommst zurück und rächst es. Verdammt, es tut mir doch leid. Ich wusste ed doch nicht!”, sprudelte es aus der Frau heraus und die Klinge des Schwertes schwenkte von einer Seite zur anderen. „Wieso ... Wieso greifst du nicht an?”
„Weil ich nicht sie bin.”
„Aber ... Du siehst genauso aus wie sie. Alexandra Connor.”
Hope fuhr sich mit der Zunge über die Lippen um sie zu befeuchten, bewegte sich aber keinen Zentimeter. Sie besah die Frau in der Lederkombi. „Du blutest.”
„Du willst mich doch nur ablenken!”
Langsam schüttelte sie den Kopf. „Ich bin ihre Tochter.”, Hope hielt sich mit einer Hand am Regal fest und zog sich hoch. Ihr Bauch schmerzte immer noch.
„Was ist denn hier los?”, Grässlich kam durch die Öffnung wieder in den Raum, „Tanith! Pack das Schwert weg.”
„Aber ...”
Er umklammere die zwei Bücher fester. „Hast du ihr weh getan?”
Hope schüttelte den Kopf und nahm die Hand weg, presste die Zähne zusammen, als sie das Rückrat durch streckte. „Sie kam durchs Fenster und da hab ich mich erschrocken. Ich bin gestolpert.”
Er sah zwischen den beiden hin und her und drückte den als Buch getarnten Hebel zurück. Die Tür schloss sich und er ging zu einem Tisch, schlug erst das dickere Buch auf, dann das dünne.
Tanith Low steckte das Schwert in die Scheide und formte mit den Lippen ein stummes „Danke”
Teresa nickte und schloss den Reißverschluss ihrer Jacke, ging auf sie zu, versuchte ihre Bewegungen nicht zu versteift aussehen zu lassen. „Du blutest wirklich, sieh.” Leicht ergriff sie das Handgelenk und zog den kräftigen Arm etwas nach vorne. Drei tiefe Kratzer verliefen über ihren Unterarm.
„Oh.”, erst jetzt fiel ihr das Brennen auf und der Schmerz, der mit dem Brennen verbunden war. „Komm mit.”, bat sie.
Die beiden verließen den hinteren Raum und durchquerten den leeren Eingangsbereich.
Eine weiße Tür tauchte auf.
Hope hatte sie vorher nicht gesehen, machte sich daraus aber nichts.
Im Badezimmer angekommen holte Tanith einen Stein aus einer kleinen Tasche an ihrer Kombi. „Du kannst ihn auch gleich benutzen.”, meinte sie, als sie das Wasser aufdrehte und ihn befeuchtete. Sie fuhr mit dem Stein über die Verletzungen und diese begannen sich selbst zu heilen.
„Wieso dachtest du, dass meine Mutter sich an dich rächen will?”, Hope zog die Jacke und das T-Shirt hoch, fuhr mit dem Stein über den Schuhabdruck, der langsam zum Bluterguss wurde.
Tanith zögerte. „Ich hab ihren Großcousin getötet.”
Die Brünette hielt inne und sah auf.
„Ich war in einen Kampf verwickelt und er wollte mir zu Hilfe kommen, ich habe ... es falsch gedeutet und ... ihn auch umgebracht.”, gestand sie und kaute kurz auf der Unterlippe herum, „An dem Abend, an dem deine Mutter ermordet wurde, haben wir uns gestritten und sie hat mir geschworen, dass, nun ja, dass sie sich rächt.”
„Mum wurde von einem Auto angefahren.”, presste sie hervor.
„Das wurde euch weiß gemacht. Tut mir leid.”
Hope fuhr nochmal mit dem Stein über eine lilafarbene Stelle und gab ihn zurück, als nichts mehr zu sehen war.
Tanith ersparrte ihr das Fragen. „Sie arbeitete mit uns zusammen. Ein Energiewerfer brachte sie um, weil er für vier Jahre ins Gefängnis musste.”
„Willst du sie sehen?”
„Wie? Was?”
„Ich habe einen Echostein ... Willst du mit ihr reden?”
Hope wusste nicht, ob es eine gute Idee war, jedoch hätte sie irgendwie das Gefühl, die müsse ihre Mutter und eine alte Freundin wieder zusammenführen.
Tanith sah sich selber im Spiegel an, man konnte sehen, wie es in ihr arbeitete. „Ja.”
Hope stellte die Halterung auf den Couchtisch und holte dann die Schachtel bevor. Sie öffnete das Holz so wie Skulduggery es getan hatte und legte den Echostein in die Fassung. Er leuchtete ganz kurz auf, dann blieb er so wie er war.
Sie seufzte „Mum, bitte. Hier ist jemand, der dich sprechen möchte.”
„Nein Schatz. Ich rede nicht mit euch. Diese Welt ...”
Sie unterbrach ihre tote Mutter. „Hier geht es nicht um mich, sondern um dich und eine alte Freundin.”
Stille.
Der echostein leuchtete auf und das Hologramm, das aussah wie Alexandra zeichnete sich ab. Sie blickte von ihrer Tochter zu der Blondine.
„Hey.”, meinte diese - etwas besseres fiel ihr nicht ein.
„Ich ... bin dann mal bei Grässlich.”

*

Grässlich lehnte über einem dicken Buch und las. Sein Zeigefinger fuhr dabei an den Wörtern entlang.
Kurz darauf blätterte er weiter.
Hope stand auch am Tisch, doch ihr Blick lag bei dem anderen Buch. Sie sah das Abbild eines grünen Drachens, das sich über zwei Seiten erstreckte. Dünn und langgezogen, vier kräftige Beine mit Klauen, die mit dem Rest seines Körpers proportional übereinstimmten. Ein aufgerichteter, gezackter Hautlappen zog sich von seinem Kopf bis hin zum Schwanz über den ganzen Körper. Er hatte große Schuppen und wenn man sie genauer betrachtete, erkannte man kleine Symbole, die auf ihnen eingeritzt worden waren. Sein Maul war kantig und die Zähne ragten, wie bei einem Krokodil, heraus.
Neben dem Bild standen Worte, die sie nicht entziffern konnte. Gerade als sie es näher ziehen wollte, blickte Grässlich auf. Er sah sie direkt an und dann wieder zum Buch.
„Ich kanns mir nicht erklären.”, murmelte er.
„Was?”, sie runzelte die Stirn.
Er schüttelte den Kopf. „Lass uns zu Mikes Haus fahren.”
Sie fragte nicht weiter nach.
Er würde es ihr schon noch sagen.
Oder nicht?

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Und weil mir so danach ist, hier noch ein Kapitel. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Über Votes und Kommentare freue ich mich.

Eure leni ❤️

Der Ring des DrachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt