13.| »Knapp«

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Dunkel und kalt, so fühlte sich der See an. Sein Wasser war nicht dickflüssig, der Unterschied lag jedoch in der Farbe.
Während andere Gewässer durchsichtig waren und durch die Sonne blau wirkten und grün dank den Algen, war dieser pechschwarz, rabenschwarz, einfach schwarz.
Ihr Körper sank hinab in die Tiefe.
Ihre Atmenwege brannten und die Lunge schmerzte. Sie spürte, wie das schwarze Wasser in den Lungenflügln hin und her schwabbte, obwohl sie sich nicht bewegte, lediglich sank.
Sie hatte das stumpfe Verlangen noch einmal tief einzuatmen und ihre Flügel vollends zu füllen.
Dieses Verlangen war absurd, total absurd. Sie wollte nicht sterben, aber es war so verlockend den Mund zu öffnen und es reinzulassen, sich davon ausfüllen zu lassen.
Reiß dich zusammen und rette dich!, hörte sie ihre eigene Stimme rufen.
Sie regte sich nicht. Ihre Arme und Beine fühlten sich steif und schwer an, obwohl sie federleicht im Wasser lagen.
Walküre, verdammt!, nun war es eher ein Brüllen.
Sie blieb unverändert, glitt immer tiefer in die Dunkelheit.
Langsam tat sich ein weißes, angenehmes Licht vor ihr auf.
Es dauerte nicht mehr lange und sie würde hinüber segeln.
Sie konnte es beschleunigen, wenn sie es wollen würde: Nur einmal tief einatmen.
Etwas verfing sich an ihrem Finger und die ihre Stimme schrie wieder.
Rette dich!
Wieder verfing sich irgendwas an ihr, dieses Mal an ihrem Arm. Es schlang sich um ihn wie eine Schlange, es war glitschig.
Tu dir den Gefallen und rette dich jetzt, verdammt nochmal!
Sie riss die Augen auf und diese begannen sofort wieder zu brennen. Sie konnte nichts sehen, rein gar nichts. Sie ignorierte die Tatsache des Nichtsehenkönnens und die Taubheit ihrer Glieder und fing an zu strampeln.
Erst leicht, dann immer kräftiger.
Etwas schloss sich um ihr Bein, zog sich fest.
Das Strampeln wurde heftiger, unkontrollierter und sie spürte, wie immer mehr glitschige Dinger sich an ihr festschlangen. Als dann auch an ihren Haaren gezogen wurde, tat sie es einfach. Ihre aufeinander gepressten Lippen öffneten sich und sie schrie. Die ganze restliche Luft wich aus ihr, es blubberte. Sie grugelte und das Wasser schoss in sie herein. Sie schluckte immer mehr davon und zappelte dabei, als hätte man ihr einen elektrischen Schock verpasst.
Ihr Gezappel wurde immer langsamer, bis es schlussendlich ganz aufhörte. Dann dachte sie an nichts mehr, weil dort nichts mehr war.
Sie war nur noch eine Hülle.
Eine leere Hülle.
Tot.

*

Zwei große, mächtige Hände drückten immer wieder kräftig auf ihren Brustkorb. Es knackte ab und zu in ihr und es ekelte ihn fast. Er hoffte, dass er sie retten konnte. Sie war eine so schöne junge Frau und hatte es nicht verdient früh zu sterben.
Er wusste nicht, ob er auch eine Mund-zu-Mund-Beatmung machen musste. War es notwendig? Er ließ es einfach weg und behielt den Rhythmus bei.
Sie bäumte sich plötzlich etwas auf und aus ihrem Mund floss das schwarze Wasser. Sie spuckte es aus und der Kopf blieb auf der Seite liegen.
Ihr Körper hob und sank regelmäßig und er hörte auf, sie weiter wiederzubeleben. Vorsichtig legte er zwei Finger an ihren Hals, fühlte aber nichts. Der Zeige- und Mittelfinger fuhren weiter runter und ein Pochen ließ sich verspüren.
Ihr Herz schlug wieder!
Fast hätte er vor Freude die Arme in die Luft gerissen, aber er unterdrückte es.
Kurz wusste er nicht, was er tun sollte, räusperte sich dann, was sich aber viel mehr nach einem Gurgeln anhörte. „Hallo?"
Keine Reaktion.
„Hey, würdest du bitte aufwachen?", fragte er und saß einfach neben ihr.
Immer noch nichts.
„Bitte, bitte wach auf.", sachte strich er über ihre nasse Wange, „Bitte."
Ihre Lider flatterten leicht.
„Ja! Bitte, mach die Augen auf!", er tätschelte ihre Wange. Er fand sie zu süß.
Das hübsche Gesicht wand sich zu ihm, aus ihrem Mund kam ein keuchen.
„Bitte.", meinte er nochmal.
Die Lider öffneten sich und braune Pupillen sahen ihm entgegen. Das, was eigentlich weiß sein sollte, schimmerte schwarz.
„Ein Glück!", entfuhr es ihm laut.
Sie starrte ihn einfach nur an und krächzte etwas Unverständliches.
„Ich bin Dita.", stellte er sich vor. „Und du?"
„Wal ...", ihre Stimme brach, sie schien schreckliche Schmerzen zu haben, „Walküre."
„Ein schöner Name.", er lächelte.
Sie keuchte erneut.
Er strich nochmal über ihre Wange. „Ich muss dann ...", damit ließ er sie alleine.
Walküre atmete tief ein, merkte aber, wie es in ihr immer noch schwappte.
Sie schloss die Augenlider wieder, da die Augäpfel noch höllisch brannten. Inzwischen fühlte sie das Gras unter ihren Armen und den Wind, der über sie hinweg flog. Sie spürte den Schmerz ihrer gebrochenen Knochen, der aufgeplatzen Lippe und den der blauen Flecken.
Sie riss die Lider wieder auf und dieses Mal wurde sie von der Sonne geblendet, da der Mann nicht mehr vor ihr saß.
Und sie wusste es: Sie lebte!
Der Fremde hatte sie gerettet, hatte sie zurück geholt und war gegangen. Sowas kannte sie nicht von den meisten Leuten aus Roarhaven. So gut wie jeder, hätte etwas als Gegenzug verlangt.
Sie biss die Zähne zusammen und drehte sich auf die rechte Seite, stützte sich auf den Ellenbogen und drückte sich hoch. Sie verdrängte den Schmerz der Verletzungen, indem sie tief einatmete und kam auf die Knie. Walküre legte eine kurze Pause ein und stand schlussendlich auf.
Sie stand gekrümmt dort und blickte sich um: Sie war auf der anderen Seite des Sees.
Langsam setzte sie sich in Bewegung. Bei jedem Schritt durchfuhr sie ein Schmerz.
Sie kam an der Stelle an, an der sie von Ethan ins Wasser geworfen war. Es überraschte sie fast, dass sie schneller dort war, als sie es vermutete.
Grässlichs Jacke und Hemd lagen auf dem Boden und der stille See schlug kleine Wellen.
Der vernarbte Kopf kam hervor und das schwarze Wasser floss an ihm herab und er paddelte an den Rand, dabei fluchte er wütend.
„Grässlich!", ihre Stimme war leiser und rauer als sie es beabsichtigte und sie musste würgen. Sie riss sich selber nach vorne, landete auf ihren Handballen und den Knien, bevor das Schwarz aus ihr spritzte.
„Grässlich!", wiederholte sie sich und fuhr sich über den Mund, zischte, als sie ihre gebrochene Nase berührte.
Der Mann wurde endlich auf sie aufmerksam und stieß erleichtert die Luft aus. Er kroch aus dem See, rappelte sich auf und kam zu ihr.
„Bitte sag mir, dass du ihn hast."
„Tut mir leid ...", murmelte er nur und zog sie hoch.
Sie verzog das Gesicht.
„Ich bringe sich sofort zu Reverie.", erklärte er und hob sie hoch.
Ihre Arme schlangen sich um ihren Bauch und ihr Kopf legte sich an seine nackte Brust. „Deine Klamotten."
„Egal.", dass er das wirklich sagte, konnte sie nicht ganz glauben.
Sie blieb still.
Er würde schon wissen, dass sie ihm dankte.

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Guten Morgen, liebe Leute!
Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen.
Außerdem freue ich mich echt über Kommentare (und Votes) ...

Eure leni

Der Ring des DrachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt