51.| »Schön, dass du es einsiehst«

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Der Stollen, durch den sie sich ihren Weg bahnten war kalt und düster. Die Luft dort drinnen war feucht und man hörte das leise Platschen kleiner Tropfen, die von der Decke fielen.
„Wieso sind Tunnel nur immer so schmal?", murmelte Walküre sich selbst zu.
„Mein Angebot steht noch.", Skulduggerys Stimme ließ sie zusammenzucken.
Sie blickte ihn über ihre Schulter hinweg an. „Was für ein Angebot?", fragte sie mit gerunzelter Stirn.
Er legte den Schädel ein wenig schräg. „Deine Hand zu halten, Walküre.", sagte er.
„Oh."
„Sieh lieber nach vorne, du willst sicherlich nicht über eine Ratte stolpern."
Seufzend wandte Walküre sich wieder um. Sie warf einen prüfenden Blick nach unten, nur um wirklich sicher zu gehen, dass dort keine Ratte hockte.
„Ich greife dich schon nicht aus dem Hinterhalt an. Das wäre doch ehrenlos.", sagte Skulduggery mit gesenkter Stimme, als sie sich einer Treppe näherten, die grob in das Gestein gemeißelt war.
„Das habe ich auch gar nicht gedacht."
„Sicher?"
„Ganz sicher.", Walküre stieg die hohen Treppenstufen mit Leichtigkeit hinauf. Sie vermisste einen Handlauf, beschwerte sich jedoch nicht.
Sie kamen am Austritt der Treppe an und befanden sich nun vor einer silbernen Stahltür. Sie besaß keine Türklinke und auch kein Schlüsselloch, lediglich ein kleiner Bildschirm befand sich auf Walküres Augenhöhe.
Skulduggery, der neben ihr zum Stehen kam, berührte diesen zaghaft, ehe er eine Nummer eintippte, welche sie sich nicht einmal versuchte einzuprägen. Dann lehnte er sich abwartend gegen die Wand zu seiner rechten.
Ein Grollen schallte von den Wänden nieder. Ungewollt erinnerte es Walküre daran, wie Billy-Ray Sanguin sie etliche Male unter die Erde gezogen hatten. Als sie aber anfing, sich einzubilden, Dreck in ihrem Mund zu schmecken und ein Brennen in den Augen zu spüren, schüttelte sie den Kopf.
Sie drehte sich ein wenig und beobachtete wie eine weitere Stahltür sich aus dem Austritt erpor hob und den kleinen Raum verschloss.
Kaum war es wieder still, ruckelte es unter ihren Füßen.
Walküre atmete tief ein und befeuchtete ihre trockenen Lippen, Schweiß drang ihr aus den Poren und ihr Herz fing an, unangenehme Sprünge zu machen.
Der Druck unter ihren Füßen verstärkte sich von Sekunde zu Sekunde.
Sie griff in ihre Hosentasche, zog ein Zopfgummi hervor und begann, sich energisch die Haare zu binden. Danach lehnte sie sich genauso wie Skulduggery gegen die Wand.
„Es dauert nur einige Minuten.", versicherte er.
„Was?"
„Bis wir zu der neuen Höhle gelangen. Das hier ist eine Art Fahrstuhl."
„Da gefallen mir die im Sanktuarium wesentlich besser.", murmelte sie.
Walküre wich seinem augenlosen Blick aus - sie starrte auf seine akkurat gebundene Krawatte.
„Hast du Angst vor mir?"
„Ich habe schon lange keine Angst mehr vor dir.", erwiderte sie schlicht.
Skulduggery verschränkte seine Arme vor der Brust. „Interessant. Wieso siehst du mich dann nicht an?"
„Das mach ich doch gerade."
„Ich habe zwar keine Augen mehr im Schädel, trotzdem merke ich, dass du mir auf meine Krawatte starrst."
Walküre seufzte leise und wischte sich die nassen Hände an den Hosenbeinen ab.
Skulduggery sah ihr kurz zu, dann klemmte er sich seinen Hut unter den Arm und löste seinen Krawatteknoten. Er entledigte sich von seiner Krawatte und machte einen Schritt auf sie zu - der einzige Schritt, der sie beide trennte.
Er zog ihr die Schlaufe über den Kopf.
Pure Panik flutete ihren Körper; sie riss ihr Knie hoch und verpasste ihm einen Tritt zwischen die Beine.
Skulduggery japste überrascht und verdeckte die schmerzende Stelle für einen Moment mit beiden Händen.
Eine Faust traf ihn hart und unkontrolliert am Unterkiefer und schleuderte seinen Schädel gegen eine der beiden Stahltüren
Zwei Tritte gegen sein rechtes Schienbein schickten ihn stöhnend zu Boden.
Walküres Panik wich der aufschäumenden Wut. Wie eine verrückt gewordene Furie schmiss sie sich auf ihn.
Die Stahltür, gegen die Skulduggery gekracht war, öffnete sich und legte den Eingang zur neuen Höhle der Grumbles frei.
Skulduggery packte sie grob an den Hüften und rollte sich mit ihr ächzend aus dem Fahrstuhl.
Ein kräftiger Stoß in die Magengrube sorgte dafür, dass sie aufhörte, ihn mit Faustschlägen zu bombardieren.
Kaum hatte sie sich gefasst, verpasste er ihr mit der flachen Hand eine saftige Ohrfeige, die sie von seinen Lenden trieb.
Walküre erstarrte, die kühlende Hand im Gesicht und ihre Miene geschockt verzogen.
Wie von der Tarantel gestochen sprang sie auf, als Skulduggery sich erhob und seinen Anzug abklopfte.
Ein Räuspern ließ beide aufsehen.
Jeder - Cho, Serina Santas und einige Wissenschaftler - hatten innegehalten und das Spektakel zwischen ihnen beobachtet.
Walküres Gesicht wurde heiß und sie hoffte, dass sie nicht rot anlief.
„Hier gibt es nichts zu sehen, meine Damen und Herren.", sagte Skulduggery in einem Tonfall, der alle dazu animierte, ihren Tätigkeiten wieder nachzugehen.
Cho und Serina kamen auf das Skelett zu.
„Was war denn das, Mr Pleasant?"
Er ging darauf nicht ein. „Wie weit sind wir?"
„Die Big-Maschine befindet sich bereits in der neuen Höhle. Ein dreiviertel der Bestien ebenfalls.", erklärte Cho. „Wir machen gerade eine Pause."
„Alles verläuft nach Plan.", stellte Skulduggery fest.
Serina nickte und versuchte sich an einem Lächeln.
Skulduggery erwiderte es, in dem er seinen Kopf schräg legte.
„Bitte entschuldigen Sie, Mr Pleasant, aber wir holen jetzt meine Schwester. Sie soll dabei sein, wenn die letzten hergebracht werden."
„Natürlich.", er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da verschwanden sie.
Skulduggery wandte sich Walküre zu. Inzwischen hielt sie sich nicht mehr die Wange, stattdessen zog sie sich langsam die Krawatte vom Hals.
Er betrat währenddessen den Fahrstuhl und hob behutsam seinen Hut auf.
Ein tiefer Seufzer entfuhr ihm.
Der Hut war voller Staub, der Kniff und die Krone jämmerlich eingedellt und die Krempe unglaublich verbogen.
„Wieso hast du das gemacht?", fragte Walküre hinter ihm.
„Die Ohrfeige? Ich dachte, dass du so so wieder zur Besinnung kommst.", er trat neben sie.
Sie schüttelte ihren Kopf. „Nein, ich meine das", sie hielt die Krawatte nach oben.
„Du hast sie angegeiert-"
„Gibt es das Wort überhaupt?", Walküre drückte sie ihm in die Hand.
„Alle Wörter, die ich benutze, gibt es.", er setzte sich in Bewegung.

*

„Wozu sollen wir flüstern, wenn sie eh nichts mitbekommen?", Walküre nahm sich eine der Schutzmasken aus einem kleinen Schränkchen heraus.
„Es ist eine Vorsichtsmaßnahme.", erwiderte er schlicht. „Nun setz die Maske auf."
„Ach und du brauchst keine?", sie riss das Plastik auf und klemmte sich die Gummibänder hinter die Ohren, rückte sie dann vor ihrem Mund zurecht.
„Atme ich?"
„Nein."
„Da hast du die Antwort."
Walküre verdrehte die Augen und zog den Saum über ihre Nasenspitze.
„Handschuhe sind auch Pflicht."
„Für dich nicht, stimmts?", sie riss zwei Nitril-Handschuhe aus der Verpackung heraus und zog sie sich genervt über.
Skulduggery hob die Hände. „Ich habe welche an."
„Hmpf."
„Und jetzt noch die Überstülper.", nun griff er auch in den Schrank.
Als beide das Plastik über ihre Schuhe gezogen hatten, geleitete Skulduggery Walküre zu einer massiven Tür.
Vor dieser standen zwei Sensenträger und als das Skelett ihnen zu nickte, gewährten sie ihnen Einlass.
Ein Schwall warmer Luft kam ihnen entgegen, als sie den Höhlenraum betraten.
Walküres Augen verzogen sich zu Schlitzen und sie rümpfte die Nase unter der Maske. Sie konnte den Geruch nicht zuordnen, doch das erste, was ihr in den Sinn kam, war, dass Verwesung so riechen musste. Sie hatte keine Ahnung, doch so stellte sie sich das vor.
„Ekelhaft.", sie ging dichter an die Gurmbles heran.
„Du sollst flüstern, Walküre."
Sie zuckte mit den Schultern. Irgendwann blieb sie stehen.
Sie verspürte den Drang eines anzufassen, vergrub jedoch die Hände in ihren Jackentaschen.
Skulduggery beobachtete sie stumm, hoffend, dass sie nicht wieder von Wut gepackt wurde und etwas Dummes tat.
Sie sah ihn an.
„Cisem ist echt hübsch im Gegensatz zu denen.", sie nickte dem ihr am dichtesten liegenden Grumbles zu.
„Kann sein.", erwiderte Skulduggery leise. „Lass uns wieder gehen."
„Nö."
„Walküre."
„Skulduggery."
„Komm jetzt."
„Neihein."
Er ließ ein Laut von sich, welches sich nach einem Seufzen anhörte.
Walküre gab dem Drang nach, eines anzufassen und ging in die Hocke.
„Was tust du?"
„Na was wohl, ich will es streicheln."
„Die stickige Luft tut dir wohl nicht gut.", er ging auf sie zu. „Komm jetzt weg da."
Sie streckte ihren Arm aus.
„Walküre."
Sie hielt inne und sah zu ihm. „Lass es mich doch streicheln. Ich hab auch Handschuhe an."
„Das verstößt gegen die Vorsichtsmaßnahmen."
Ihre Hand kam dem Viech gefährlich nah. „Halten wir uns jemals an Regeln, Skulduggery?"
„Dieses Mal schon. Du weißt nicht, was du tust, komm jetzt weg da."
Ihr Zeigefinger berührte das Fell fast, dann stand sie auf und entfernte sich. Sie blickte hinauf zur Höhlendecke. „Wie gerne ich jetzt Schreien würde ... Das hallt sicherlich gut von den Wänden nieder."
„Ich warne dich."
„Was willst du denn machen, hm?"
Skulduggery schüttelte den Kopf.
„Na siehst.", Walküre regte sich kurz nicht, dann riss sie den Mund auf.
Er hechtete auf sie und drückte ihr rabiat eine Hand auf den Mund, packte sie an der Hüfte.
Sie zappelte einen Moment lang, danach hörte sie auf, sich zu wehren, schloss den Mund unter seiner Hand.
Langsam ließ er ihr Gesicht los.
„Wir sollten gehen, bevor ich wirklich etwas anstelle ...", flüsterte sie.
„Schön, dass du es einsiehst."

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Hallöchen, eigentlich sollte das Kapitel schon früher kommen, aber ich bin jetzt erst dazu gekommen, etwas hochzuladen. Ich hoffe, es hat euch gefallen.
Eure Leni

[Bei Rechtsschreib- oder Grammatikfehlern bitte melden.]

Der Ring des DrachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt