5.| »Berta und Rolf«

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„Wo soll ich das Handtuch hinhängen, Rolf?", Teresa hielt den nassen Stoff hoch und sah zu dem Mann. Er trug ein Toupet und seine Augen strahlten nicht mehr so stark wie früher. Er hatte einen Bauch, der einige Knöpfe an seinem Hemd platzen lassen wollte, und breite Schultern. Seine Hände waren groß und rau, zeigten, dass er früher viel gearbeitet hat. Seine Beine glichen Pfeilern und wenn er zutreten würde, würde man dicke blaue Flecken davon tragen. Außerdem besaß er deutsche Wurzeln, von denen man aber nicht viel merkte; die Sprache konnte er nur sehr bröckelnd und das einzige was auf seine Herkunft hinwies war sein Name und die Liebe zu Weißwürsten, Krautsalat und zu so ziemlich jedem deutschen Gericht.
Ein richtiges Klischee.
Sie hatte Rolf Meyerwell immer gemocht, damals war er zwar dünner und hatte sich geschmeidiger bewegt, aber er war immer noch der gleiche, gutherzige und lustige Rolf.
„Einfach über die Heizung da, Schätzchen.", er lächelte sie an und räumte die trockenen Teller wieder in den Schrank.
Sie nickte und legte das Tuch weg, dann fuhr sie sich ein paar mal über ihre Jeans um die feuchten Hände abzuwischen.
Berta kam in die Küche, sie hatte ihre Brille auf den Kopf geschoben und quasselte in den Hörer.
„Ja, ja. Dauert nicht lange ... Ich habe eine Überraschung für dich ... Ja, hab sie heute ganz zufällig getroffen ... Bleib doch mal ganz ruhig, Kind ...", sie lachte kurz und hielt Teresa das Telefon hin.
Sie biss sich auf die Unterlippe und grinste. Berta hatte ihn extra angerufen, nur weil Teresa sich nach ihrem ehemaligen besten Freund - sie hatte ihn aus den Augen verloren - erkundigte.
Sie nahm das Telefon entgegen und verließ die Küche.
„Hey, hallo?", hörte sie es durch die Leitung dröhnen. Es war eine ganze Weile vergangen, nachdem sie diese Stimme zum letzten Mal gehört hatte, inzwischen war sie deutlich tiefer.
„Hallo Tobi.", sagte sie und ließ sich im Arbeitszimmer auf einen Drehstuhl sinken.
„Mit wem spreche ich denn?", hakte er nach. Anscheind erkannte er ihre Stimme auch nicht.
„Tjjjaaa.", sagte sie langezogen.
„Och man."
„Erkennst du meine Stimme nicht?", sie kannte die Antwort schon, dennoch fragte sie nach.
„Äh ... Also, sorry, nimms nicht persönlich.", in seinem Unterton schwang Verlegenheit.
„So vergesslich wie früher.", spottete sie so, dass man hörte, dass sie es nicht ernst meinte.
„Ahh, also eine Kindheitsfreundin. Etwa Eve More?"
„Die mochtest du nie, aber wir kommen der Sache dichter.", sie fing an zu grinsen und lümmelte sich weiter in den gepolsterten Stuhl.
„Sina Lake?"
Sie sog laut die Luft ein und stieß gespielt empört ein Seufzen aus. „Ach, HobiTobi the Hobbit, das kann doch nicht dein Ernst sein. Denk mal ganz stark nach.", sie kicherte.
„Nein!", kam es plötzlich, dann hörte sie ihn lachen. „Nein, nein, nein!"
„Doch!"
„Du hast versprochen, mich nie wieder so zu nennen, Teresa Lisbon!", seine Stimme quietschte.
„Hatte meine Zehen überkeuzt, das hättest du doch wissen müssen, Tobias Meyerwell!", sie lachte kurz auf.
„Schön, nach so langer Zeit, wieder von dir zu hören.", sagte er dann weich.
Ein breites Lächeln lag auf ihren Lippen. „Finde ich auch, immerhin warst du mein bester Freund."
„Bin ich das nicht mehr?", wollte er wissen und fügte noch hinzu „Stell dir vor, dass ich eine fette Schmolllippe ziehe, so wie damals, wenn ich kein Eis bekommen habe."
„Eigentlich schon."
„Und uneigentlich?", er zog es lang.
„Du bist mein bester Freund.", sagte sie nun entschlossen.
Er war immer ihr bester Freund, das zeigte sich daran, dass sie, auch wenn sie sich lange nicht mehr gesehen hatten, sich sofort wieder blendetend verstanden.
Er seufzte erleichtert. „Dann kann ich mich ja glücklich schätzen!"
Sie nickte, auch wenn er es nicht sah.
„Was machst du denn bei meinen Eltern, Tea?", fragte er dann.
„Eigentlich wollte ich zu Gibbs ..."
„Ach ja, Onkel Gibbi.", kicherte er dazwischen
„... aber ich habe nicht bedacht, dass er arbeitet und dann habe ich deine Mutter getroffen-"
„Und die hat dich zum Essen eingeladen, was?", sprach er für sie weiter.
„Hundert Punkte für den Hobbit."
„Der Hobbit dankt der Prinzessin."
Sie lachten, dann wurde es wieder ernst.
„Bist du im Urlaub und hast endlich mal frei von den bösen Buben?", im Hintergrund knartschte etwas, bestimmt eine Couch.
„Ehrlich gesagt ... Äh, ich habe gekündigt und wollte jetzt erstmal Gibbs besuchen.", ja, das war ihr Plan. Ihrem nicht leiblichen Großvater auf der Tasche liegen und überlegen, was sie wollte. Sie könnte ihr restliches Geld abheben und nach Europa gehen, aber was sollte sie dort? Sie könnte auch hier Arbeit finden, sie musste nur etwas finden, was ihr gefiel.
„Oh. Willst du darüber reden?"
„Ehrlich gesagt nicht, nein."
„Wenn doch, Mom kann dir ja meine Nummer geben."
„Danke.", noch ein Grund, wieso sie ihn so toll fand, er stichelte nie nach, wenn etwas war und ließ ihr den Freiraum, den sie brauchte.
„Ich muss auflegen, vielleicht können wir später ja nochmal telefonieren.", kam es dann von ihm.
„Okay."
„Ich hab dich vermisst, Prinzessin."
„Ich dich auch, Hobbit."
„Fühl dich gedrückt.", seine Stimme war weich.
„Du dich auch."
„Bye."
„Bye.", sie nahm den Hörer vom Ohr und drückte den roten Knopf.
Für einen Augenblick blieb sie auf dem Stuhl sitzen, ehe sie sich erhob und in die Stube ging um das Telefon wieder wegzustellen.
Sie stellte das Telefon ab und sah, wie Rolf wieder ins Wohnzimmer trat und die Festertür, die zum Balkon führte, schloss.
Berta kniete vor der Schrankwand und kramte in einer unteren Schublade rum.
„Ich geh ein Nickerchen machen, Schatz."
„Schlaf gut, Rolfi.", trällerte sie ohne aufzusehen.
Der Mann lächelte Lisbon zu und ging dann.
„Berta?", fragte diese, als die weiße Tür neben ihr zu ging.
„Oh, schon fertig telefoniert?", sie schloss die Schublade und stand mühselig auf.
„Tobi muss noch irgendwas erledigen, denke ich. Aber war schön wieder mit ihm zu reden."
Ein warmes Lächeln schlich sich in das faltige Gesicht und sie kam dichter. „Das freut mich zu hören. Ich hab was für dich."
Teresas grüne Augen strahlten überrascht.
Bertra blieb vor ihr stehen und nahm ihre Hand und besah die Finger. Dann sprach sie. „Als du und Tobi immer hier wart, hab ihr meine Schränke geplündert."
„Oh, tut mir leid."
„Ach was, ihr habt Räubern gespielt, wenn man so bedenkt, dass ihr beide später beruflich in Richtung Polizei gegangen seid.", sie lachte, „Der Schmuck war für euch am wichtigsten. Ihr habt euch verkleidet und dann tatet ihr so, als wäret ihr Millionäre. Rolf war euer Buttler und ich die Köchin und alles andere.", nochmal lachte sie auf, ließ aber nicht die Hand los. „Damals habe ich dir was versprochen." Sie drehte Teresas Hand und legte auf die Handfläche eine kleine Schachtel. Ihre alten Finger ließen langsam ihre Rechte los.
Lisbon starrte das Schächtelchen an, und öffnete es dann langsam.
Ein silberner Ring, der in einer verschnörkelten Halterung einen wunderschönen, grünen Stein präsentierte, strahlte ihr entgegen. Ein paar schwarze Striche verliefen über den Stein, sie glichen zittrigen Adern. Sie liebte diesen Ring.
Ihre Augen weiteten sich, doch sie schüttelte den Kopf. „Das kann ich nicht annehmen, der ist doch viel zu wertvoll."
„Und wie du das kannst. Ja, er ist wertvoll, aber du warst immer wie eine kleine Tochter für mich, deshalb sollst du ihn bekommen. Bitte nimm ihn an.", sie strich ihrem Gegenüber über die Wange.
„Aber-"
„Kein aber, Schätzchen."
„Na gut.", sie gab sich geschlagen und sah wieder zum Ring.
„Ich glaube, er würde an deinen Zeige- oder Mittelfinger passen."
Vorsichtig zog sie den Ring aus der Polsterung und probierte es aus, am Zeigefinger saß er perfekt. Sie beäugte ihn kurz, dann umarmte sie die alte Frau. „Danke."
„Versprochen ist versprochen. Bitte.", säuselte sie.

Der Ring des DrachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt