32.| »Der Schädel«

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Hope stand immer noch neben dem Lichtschalter und sah sich im Keller um. Woher kam diese verdammte Stimme?
„Weißt du, wie lange es hier schon dunkel ist? Zwei Monate! Zwei lange Monate!"
Ihr Mund war trocken.
„Achhh, was quassel ich dich voll? Auf der Kommode links von dir. Zieh das weiße Tuch weg und du siehst mich.”
Sie rührte sich nicht.
„Na komm schon. Biiitttteeee!”
Hope atmete kurz durch und ergriff dann ein Stück von besagtem Stoff, das über den Rand der Kommode hinunter lappte. Langsam zog sie es weg und erstarrte.
Auf einem kleinen runden Kissen lag ein Schädel.
Er war rabenschwarz und blank poliert.
„Hallo! Ich bin Severin.”
Es war absurd zu sehen, wie sich seine Kiefer bewegten und somit den ganzen Schädel anhoben.
Sie musste sich räuspern und der Versuch lässig zu wirken, als sie sich durch die Haare fuhr, scheiterte kläglich.
„So wie es aussieht, hast du den Hinweis von Mike gefunden. Aber war ja auch nicht schwer, oder?”, er kicherte, „Die beiden Idioten aber, die hier alles verwüstet haben, haben ihn nicht gefunden.”
„Wie geht das?”
„Wie geht was?"
Sie zeigte auf seinen Schädel. „Dass du dich bewegst und redest ... Und lebst.”
„Oh, ich lebe nicht.”, beteuerte Severin, „Ich bin so tot wie der Papagei, den Mike sich mal gekauft hat.”
„Aber trotzdem redest du mit mir.”
„Magiiiieee!", kam es gedehnt von ihm.
Hope kaute kurz auf ihrer Lippe herum und nickte dann. „Ich schätze mal, dass der Hinweis mich zu dir führen sollte.”
„Das kann gut möglich sein ...Weißt du, ich bin manchmal etwas vergesslich und es ist schon zwei Monate her, dass Mike hier war. Oh und zwei Wochen her, dass er noch geatmet hat, mhm ... Ich spüre das.”
Auf ihrem Rücken breitete sich Kälte aus, da sie den Leichnam wieder vor sich sah. Sie taumelte drei Schritte zurück und kollidierte mit dem Geländer der Treppe. Sie rutschte daran herunter und saß dann regungslos dort.
Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie wieder in einer Welt war, in der gemordet wurde. Ihr wurde klar, dass sie schon wieder an einem Mordfall beteiligt war. Dass sie ihn aufklären wollte. Dass sie wieder das Elend sah und fühlte, was sie hinter sich lassen wollte.
Es traf sie wie eine Abrisskugel.
„Es ist zu spät um zu gehen, Teresa. Allein, dass du schon hier bist, zeigt, dass du drin steckst.”
Sie sah hinauf zu dem Schädel auf der Kommode.
Er hatte recht.
Wenn sie es wirklich alles hinter sich lassen hätte wollen, wäre sie niemals mit Skulduggery gegangen.
Über ihren Köpfen rumpelte es.
Es waren schwere Schritte, zu schwer für Tanith. Auch, wenn sie sie nicht lange kannte, hatte sie gemerkt, dass sie leichtfüßig wie eine Elfe war.
„Wir sollten verschwinden.”, meinte Severin.
„Aber was ist, wenn Mike hier noch etwas versteckt hat?”, sie flüsterte genauso leise wie er.
„Ich würde meinen Kopf schütteln, hätte ich eine Wirbelsäule ... Nein hat er nicht. Das fiel mir eben ein.”, er kicherte leicht.
Hope hievte sich hoch, stieß sich jedoch den Arm. Das hatte zur Folge, dass ein Eimer Öl der Schwerkraft erlag. Das Öl breitete sich über ihr aus und der Eiseneimer landete lautstark auf dem Boden.
„Okay, jetzt sollten wir uns beeilen hier wegzukommen. Irgendwo da hinten ist ein Backstein, der sich eindrücken lässt.”
Sie hörte oben wieder ein Rumpeln, dann Stimmen. Sie verstand aber nicht, was sie sagten.
Die Panik unterdrückend, ging Hope auf Severin zu, hob ihn hoch und ging zu der Wand. Sie klemmte den Schädel zwischen Unterarm und Bauch und tastete mit der rechten Hand die Steine ab.
Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe rum und zuckte zusammen, als sie plötzlich verstand, was der eine rief.
„Ey! Hier ist eine Luke, komm her!”
Schnell atmend ließ sie die Finger mit viel Druck über die Backsteine gleiten, riss sich dabei an einem Nagel etwas den Mittelfinger auf, aber fand den Stein. Sie drückte ihn und die Wand schob sich einen Spalt weit auf. Schnell schlüpfte sie hinein und hörte, wie die Backsteine wieder in ihre ursprüngliche Position gelitten.
„Rennen! Jetzt musst du rennen!”
Und sie rannte.
Der lange Gang war dunkel, sie sah nicht mal ihre eigene Hand, aber sie rannte. Weil sie darauf vertraute, was Severin sagte.
„Links!”
Sie bog ab und verhinderte so, dass sie gegen eine Wand lief. Erst jetzt hörte sie hinter sich ein Grollen.
„Rechts!”
Sie folgte seiner Anweisung.
„Und jetzt leg einen letzten sprint hin, es geht Berg auf!”
Sie tat, was er sagte und spürte, wie ihre Muskeln begannen zu brennen.
Ein Licht tat sich vor ihnen auf und sie holte noch einmal alles aus sich heraus. Sie stolperte auf das Gras und in die kalte Abendluft. Den Schädel hielt sie umklammert. Sie atmete schnaufend. Und hinter ihr schloss sich die Wand.
„Ich frag mich, ob Mike das geschafft hätte.”, meinte Severin.
Sie sagte dazu nichts, rappelte sich einfach auf.
Hope sah sich um.
Die Wand, die sich geschlossen hatte, versank langsam im Boden und sie musste feststellen, dass sie mitten auf einem Feld stand.
Na toll.
Doch was war das da hinten?
Zwei Lichtbalken fraßen sich durch die Dunkelheit und sie hörte einen arbeitenden Motor.
„Das muss Manni sein.”
„Wer ist Manni?” Sie öffnete den Reißverschluss ihrer Jacke, schmiss sie auf den Boden und entledigte sich ihres Pullovers, danach zog sie die Jacke wieder an. „Auch egal. Hauptsache er kann uns mitnehmen.” Hope wickelte den Schädel ein und er gab ein komisches Geräusch von sich. „Schh.”
Der Traktor kam dichter und sie versuchte durch Rufe und Armwedeln auf sich aufmerksam zu machen.
Es klappte und ein Mann hielt mit dem alten Fahrzeug neben ihr. „Kann ich helfen?”
Seinem Akzent nach, war er deutsch. Hätte sie sich denken können. Wahrscheinlich stand Manni für Manfred.
„Ich hab mich verlaufen, könnten Sie mich bis zur Hauptstraße mitnehmen?”
Er hielt ihr die Hand hin. „Na Klar. Komm, Mädchen.”
Kurz runzelte Hope die Stirn, so jung war sie nun auch nicht mehr - vierunddreißig.
Dann aber stellte sie einen Fuß auf die kleine Platte des schwarzen Traktors und ergriff seine raue Hand. Sie zog sich hoch und saß kurz darauf neben ihm.
„Festhalten.”, Manni fuhr weiter.
Hope umklammerte das Eisenrohr neben sich, da der Traktor auf dem Feld doch ganz schön ruckelte. Gott, sie saß seit ihrer Kindheit nicht mehr auf so einem Ding.
Severin hielt zum Glück seinen Mund, na ja, eher gesagt seine Kiefer ...
Nach langen Minuten verließen sie das Feld und tuckerten über die Straße.
„Wo soll ich dich rauslassen, Mädchen?”, fragte er.
„Hier ist gut. Meine Cousine wohnt gleich da hinten.”, log sie.
Er fuhr rechts ran und lächelte ihr zu.
„Danke für's Mitnehmen.”, sie sprang vom Traktor und er fuhr davon.
Zum Glück hatte er nicht gesehen, dass sie mit Öl besudelt war ...
Hope ging in die Richtung aus der sie gekommen war, denn in die, in die Manni fuhr, war Mikes Haus. Sie konnte nicht riskieren, dass ihr dort jemand auflauerte.
„Wohin gehen wir jetzt?”, fragte Severin. Er war immer noch in ihren Pullover eingewickelt.
„Ich weiß es nicht.”, gab sie zu. Sie hatte keine Ahnung, wohin sie ging und jemanden anrufen, den sie kannte, ging nicht, da sie kein Handy hatte. Hätte sie es gehabt, hätte es ihr trotzdem nichts gebracht, da sie weder die Nummer von Skulduggery noch Taniths oder die von Grässlich besaß.
Sie ging den Bürgersteig entlang und bog irgendwo ab. Sie versuchte den Weg zurück zu gehen, den sie mit Grässlich hergekommen war.
Sie ging schon fünfzehn Minuten, aber zweifelte langsam daran, dass sie den richtigen Weg genommen hatte. Langsam begann das Öl sich etwas zu verfestigen. Ekelhaft.
Ein Motorrad fuhr an ihr vorbei. Aber dann hörte sie, wie die Reifen hinter ihr quietschen, was ihr signalisierte, dass das Motorrad umgedrehte. Es holte zu ihr auf und kam einige Meter vor ihr zum Stehen.
Der Fahrer stieg ab und zog den Helm vom Kopf. Blonde Locken kamen zum Hervorschein und das Gesicht drehte sich direkt zu Hope.
Tanith.
Hope beschleunigte ihr Schritttempo und kam bei der Frau zum Stehen.
„Du hast da ein bisschen” Taniths Zeigefinger deutete auf ihren Kopf „Öl. Ist es Öl?”
Sie nickte. „Kann man abwaschen ... Irgendjemand war im Haus und wir mussten Weg.”
„Wir?”
Hope zögerte kurz und hob dann ihren Pullover hoch, legte den Schädel frei. „Severin und ich.”
„Hallöchen, schöne Blondine.”
Tanith starrte ihn kurz an, dann sah zu sie zu Hope „Konntest du diesen Irgendjemand sehen oder so?”
„Nein. Es waren zwei. Das glaube ich zuminestens ...”
Severin funke dazwischen. „Es waren zwei Männer.”
„Woher weißt du das?”, kam es von den Frauen wie aus einem Mund.
„Irgendwie ... Ich kann das selber nicht erklären, aber ich konnte sie sehen, als sie das Haus betraten Ich glaube, es waren Polizisten. Die tragen doch immer so Uniformen, oder?”
„Wow."
„Dann hat der Nachbar die wohl gerufen.”, murmelte Tanith.
„In mir stecken tolle Überraschungen, was? Nebenbei gesagt, ich würde jetzt grinsen.”
Hope wickelte ihn wieder ein. „Wie geht es Grässlich?” Sie fühlte sich irgendwie schuldig, auch wenn sie keine Schuld trug. Oder doch?
„Er wird wieder. Ich glaube, wenn wir zurück im Sanktuarium sind, ist er wach.”
Sie nickte. „Dann sollten wir jetzt gehen.”
Tanith setzte ihr den Helm auf und stieg dann auf das Motorrad. „Aufspringen und festhalten.”

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Hallöchen,
ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen.
Über Votes und Feedback freue ich mich.
Eure leni ❤️

Der Ring des DrachensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt