66. Kapitel

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Mit jedem Klingeln werde ich nervöser. Es geht sogar so weit, dass ich vorhabe aufzulegen, weil ich doch leicht Schiss bekomme. Was ich damit sagen will, ist, dass sie sich wirklich viel Zeit lassen. Zum Glück bin ich nicht in Lebensgefahr. Na ja, zumindest nicht im Moment.

Gerade als ich Shawn fragen will, ob ich es ein anderes Mal versuchen soll, geht jemand heran: „NewYork-Presbyterian Hospital, was kann ich für Sie tun?" Die Stimme gehört eindeutig einer Frau. Ich meine, dass ich sie auch schon gesehen habe.

„Kann ich mit Dr. Hudson reden oder ist er gerade beschäftigt?", erkundige ich mich mit zittriger Stimme. Ja, natürlich könnte ich auch einfach ihr sagen, dass ich mich für die Therapie entschieden habe, und sie könnte es dann weitergeben, aber mit meinem behandelnden Arzt fühle ich mich einfach wohler.

Erstaunlicherweise hat die Frau nichts einzuwenden, sondern sagt mir: „Wenn Sie einen Augenblick warten, piepe ich ihn schnell an." Darauf antworte ich mit einem simplen Ja. Gut, dass ich die meiste Zeit über geduldig bin, im Gegenteil zu manch anderen.

Während ich mich nun in der Warteschleife befinde, wende ich mich an Shawn: "Hast du eigentlich mal was von Andrew gehört? Nicht, dass ich ihn vermisse, weil er bisher immer eine räumliche Trennung von uns beiden bedeutet hat. Ich wundere mich nur, dass er sich noch nicht gemeldet hat."

"Auch jemand wie ich braucht mal eine Pause. Und ganz ehrlich, die hab ich mir nach dieser Tour, selbst wenn sie kleiner war, auch verdient", meint er darauf lachend. "Vor allem jetzt muss ich bei dir sein. Müsste ich jetzt weg, würde ich streiken."

Doch bevor es emotional werden könnte, nehme ich ein "Hallo? Wer ist da?" wahr. Anscheinend hatte Dr. Hudson gerade nichts zu tun, sonst hätte es deutlich länger gedauert. Ich bin allerdings froh, dass es so schnell ging.

"Becca Mason hier. Ich rufe wegen der Chemotherapie an", erkläre ich und warte gar nicht erst auf irgendeine Reaktion seinerseits. "Ich werde sie machen. Ich hat mich zwar Überwindung gekostet, aber ich ziehe es durch." Shawn nickt mir zu, um mir zu bestätigen, dass ich das Richtige tue.

"Oh, was das angeht", fängt der Arzt dann an. "In letzter Zeit werden Chemo- und Strahlentherapie oft kombiniert. Das bewirkt bessere Ergebnisse und eine verkürzte Behandlungszeit. Ich würde bei Ihnen gerne dasselbe versuchen."

"Sind Sie sich sicher, dass es hilft? Gibt es nicht dann noch mehr Nebenwirkungen?", möchte ich wissen. Vor eben diesen habe ich ja Angst. Ich habe Angst, dass es mir gleich so scheiße gehen wird, dass ich mir die Behandlung sparen hätte können.

"Doch, das ist schon möglich, muss aber nicht sein. Es ist von Person zu Person verschieden", sagt der Mann. "Allerdings erhöht das deutlich Ihre restliche Zeit, weswegen ich Ihnen die Behandlung nur empfehlen kann."

"Moment, meine restliche Zeit? Wie meinen Sie das?" Ich hoffe, ich habe mir das eingebildet. Shawn's Gesichtsausdruck nach zu urteilen, geht es ihm genauso. "Wollen Sie damit sagen, dass ich nur noch eine bestimmte Zeit zu leben habe?"

Stille. Keiner sagt etwas. Bis irgendwann das laute Ausatmen des Arztes zu hören ist. Aus irgendeinem Grund klingt er nun ziemlich fertig. "Es tut mir leid, aber ja. Ein Glioblastom ist nicht heilbar, die Therapie bringt Ihnen nur etwas mehr Zeit."

Jetzt brauche ich ebenfalls erst einmal einen Moment, um zu realisieren, was er mir gerade offenbart hat. Ich muss mich hinsetzen, sonst würden meine Knie wohl demnächst einknicken. Der Braunhaarige neben mir kniet sich auf den Boden und drückt meine Hand so fest, dass sie schon leicht schmerzt. Aber das brauche ich jetzt.

"Das heißt, wenn ich nicht bald gekommen wäre, hätte... ich einschlafen und vielleicht nie wieder aufwachen können?", stelle ich fest und bemühe mich, nicht loszuheulen. Was mir sehr schwer fällt, da sich in Shawn's Augen bereits Tränen stauen.

Nach einem erneuten kurzen Schweigen rückt Dr. Hudson schließlich mit der Sprache heraus: "Wahrscheinlich." Wow. Sollte ich jetzt froh sein, dass ich diese Kopfschmerzen wieder bekommen habe? Vermutlich schon. Was jedoch sicher ist, ist, dass ich das Shawn zu verdanken habe.

"Warum haben Sie mir dann damals gesagt, dass der Tumor weg ist und ich alles überstanden habe?", bringe ich mittlerweile unter Schluchzern hervor. Ich kann es nicht fassen, dass er mich angelogen hat.

"Es war nur zu Ihrem Besten", fängt er an, und ich könnte ihm dafür an die Gurgel gehen. Wie ich diesen Spruch hasse. "Ich dachte, Sie würden an der Wahrheit zugrunde gehen. Warum? Normalerweise leiden nur ältere Menschen unter Glioblastomen. Sie sind einer der seltenen Fälle. Und zu wissen, dass Sie als Jugendliche sterben müssen, hätte Sie selbst sicher verändert."

Bis vor Kurzem habe ich mich noch bei Dr. Hudson am wohlsten gefühlt. Im Krankenhaus war er meine Bezugsperson. Und nun könnte ich ihm nicht einmal mehr in die Augen sehen. Außerdem glaube ich, könnte man ihn deshalb auch anklagen...

Nach einer kurzen Überlegung steht mein Entschluss fest, und den sage ich ihm jetzt auch, ohne einmal zu zögern: "Wie gesagt, ich werde die Therapie machen. Beide. Und auch die Operation. Aber nicht unter Ihrer Aufsicht. Ich möchte einen neuen Arzt." Er kann von Glück reden, dass ich nur das verlange.

Es ist mir zu blöd, eine Antwort abzuwarten. Wahrscheinlich ist es eh nur ein Okay oder so etwas. Deshalb beende ich das Telefonat einfach und lege das Telefon vielleicht etwas zu hart auf meinem Schreibtisch ab. Das war mit Abstand das schrecklichste Telefongespräch, das ich jemals hatte. 

Shawn, der kein einziges Wort von sich gegeben hat - außer natürlich, als ich in der Warteschleife war -, sieht sehr mitgenommen aus. Aber ganz ehrlich, wer würde das nicht? Es bricht mir fast das Herz, ihn so zu sehen. Wenn ehrlich bin, macht mich das noch fertiger als mein eigener Zustand.

Als er die Arme nach mir ausstreckt, lasse ich mich langsam von meinem Stuhl gleiten, um auf seiner Höhe zu sein und mich an seine Brust zu schmiegen. Während Shawn mir sanft über den Rücken streichelt, flüstert er ganz leise: "Ich könnte dich verloren haben." Das ist der Moment, in dem mir letztendlich Tränen die Wange herunterkullern.

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Das Kapitel ist jetzt mal ernster geworden, aber ich hoffe, euch gefällt es trotzdem.

Außerdem habe ich IrelandLover82 zu danken, weil ich dich sie auf die Grundidee des Kapitels gekommen bin❤️

Euch allen noch ein schönes Wochenende😊

One more wish {s.m.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt