62. Kapitel

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Es ist mir schwer gefallen, weil ich einfach nicht still halten konnte, aber schon nach einer relativ kurzen Zeit darf ich zurück zu Shawn, der noch immer im Wartebereich ist. Dort bleiben wir auch so lange, bis das Ergebnis kommt.

"Ich weiß, das kommt echt spät, aber wenn ich ehrlich bin, will ich es gar nicht wissen", murmele ich. So etwas fällt mir allerdings immer erst auf, wenn es schon zu spät ist.

Der Braunhaarige erwidert nichts darauf. Vermutlich hat er keine Ideen mehr, wie er mich irgendwie beruhigen könnte. Dazu kommt noch die Tatsache, dass er sich schlecht fühlen würde, wenn man etwas gefunden hat, obwohl er mir die ganze Zeit versichert, dass alles gut wird.

Auch wenn ich ihm dafür sehr dankbar bin, wusste ich immer, dass das nichts ändern könnte. Ich wäre auch wirklich naiv, wenn doch. Falls sich aber ein Tumor in meinem Kopf befindet, verschwindet er nicht nur durch aufmunternde Worte.

Nach etwa einer Viertelstunde, in der keiner von uns beiden gesprochen hat, nähert sich uns Dr. Hudson. Ich versuche, aus seinem Gesichtsausdruck herauszulesen, ob es einen Grund zur Freude oder zur Trauer hat. Jedoch sagt er so viel wie gar nichts aus.

"Becca", hebt er seine Stimme an, als er schließlich neben uns steht. "Die Ergebnisse sind da." Nun kramt er in seinem Stapel nach dem Bild meines Kopfes und streckt es mir entgegen.

Da sich kein anderer hier im Wartebereich befindet, kann er offen mit mir darüber sprechen. Also zeigt er auf eine Stelle im Bild: "Wir haben etwas gefunden, das da nicht hingehört. Es tut mir wirklich leid."

Mich beschleicht das Gefühl, als müsste ich gleich losheulen. Ich traue mich nicht, die Frage laut auszusprechen, aber ich muss es tun: "Das heißt, dieses Glioblastom ist zurück?"

Entgegen meiner Hoffnung nickt Dr. Hudson. Ich hatte gehofft, ich hätte mich verhört, doch diesmal hat mich mein Gehör nicht getäuscht. Von hinten spüre ich Shawn's Arme, die sich um meine Taille schlingen. Sein Kopf liegt auf meiner Schulter.

"Wie auch letztes Mal würde ich Ihnen eine Operation und eine Chemotherapie empfehlen. Ich denke, ich muss Ihnen nicht noch einmal sagen, was für Folgen es hat, wenn Sie es nicht tun", meint der Arzt ernst.

Mir ist durchaus bewusst, was passiert, wenn ich es nicht tue. Allerdings frage ich mich, ob ich das überhaupt will. Möchte ich mich mehrmals übergeben, meine Haare verlieren und Augenringe bekommen, weil ich nicht schlafen kann, um dann nicht einmal sicher zu sein, dass ich es ein für alle Mal überstanden habe?

Es gäbe einen viel einfacheren Weg... Doch das kann ich meiner Mom, Fiona und vor allem Shawn nicht antun. Ich glaube, wäre ich nicht mehr da, würde er in ein sehr tiefes Loch fallen. Und das möchte ich nicht.

"Ich brauche Zeit, um nachzudenken", beschließe ich deshalb, worauf Dr. Hudson erneut nickt. "Besonders was die Chemo anbelangt."

"Überlegen Sie es sich gut, aber lassen Sie sich auch nicht zu viel Zeit", sagt er zuletzt. "Wenn in der Zwischenzeit etwas vorfällt, können Sie zu jeder Zeit kommen. Machen Sie's gut."

Nachdem Shawn und ich uns verabschiedet haben, verlassen wir wieder das Gebäude und rufen ein Taxi. Auch diese Fahrt verläuft vollkommen ruhig. Kommt wahrscheinlich vom Schock.

Als wir zu Hause ankommen, ist es kurz nach 13 Uhr. Meine Mutter wird in ungefähr zwei Stunden heimkehren. Ich muss es ihr sagen, das ist klar. Aber die Frage ist nur, wie?

Auch hier herrscht totale Stille und keiner sagt ein Wort. Wir beide sitzen nur auf der Couch, wobei er seine Ellenbogen auf seinen Beinen stützt und starr auf den Boden schaut. Vermutlich hat es ihn doch etwas getroffen, dass seine Freundin in Gefahr schwebt und vielleicht noch ein halbes Jahr zu leben hat.

Auch wenn ich mit großer Wahrscheinlichkeit heulen werde, wenn ich mit ihm darüber rede, rücke ich mit meiner Sprache heraus. Diese Stille ist nämlich noch unangenehmer.

„Shawn, ich möchte das nicht noch einmal durchmachen", erkläre ich ihm. „Einmal hat mir wirklich schon gereicht." Auf einmal spüre ich tatsächlich eine Träne meine Wange hinunter rollen. Das muss ihm doch zeigen, dass ich es nicht kann.

„Hey, du wirst das schaffen, das weiß ich", besänftigt mich Shawn darauf, während er sich zu mir dreht, die Träne wegwischt und seine Hand auf meine Wange legt. „Ich glaube an dich. Ich habe immer an dich geglaubt und werde auch nie damit aufhören." So süß seine Worte auch sind, es ändert meine Meinung nicht. Und irgendwie fällt es mir doch schwerer, darüber zu reden, als gedacht.

„Können wir bitte über etwas anderes reden? Ich war schon einmal in so einer Situation. Fiona hat mir damals gesagt, dass ich mir alle meine Wünsche erfüllen soll, bevor ich sterbe. Und jetzt ist mein letzter Wunsch einfach nur, meine restliche Zeit mit dir zu verbringen", bringe ich unter Schluchzen hervor. Ich will noch etwas anderes sagen, doch der Braunhaarige unterbricht mich.

„Und ich wünsche mir, dass du es wenigstens versuchst. Ich möchte auch so viel Zeit wie möglich mit dir verbringen, aber diese sechs Monate reichen mir nicht aus. Ich liebe dich, Becca Mason, und ich möchte, dass du zumindest einen Versuch wagst." Dann drückt er mir einen kurzen Kuss auf. Während er mir tief in die Augen schaut, fügt er noch hinzu: „Tu es für mich."

Soll ich wirklich? Als ich meine erste Strahlentherapie hinter mir hatte, habe ich mir geschworen, dass ich das nie wieder machen werde. Doch Shawn's Worte bringen mich zum Nachdenken. Ich möchte ja auch noch länger als ein halbes Jahr mit ihm zusammen sein. Außerdem, was wird sein, wenn ich nicht mehr bin? Entweder würde er seinen Verlust in seinen Songs verarbeiten oder aber er gibt sich völlig auf, und das möchte ich nicht.

„Aber was, wenn der Tumor dann wieder zurückkehrt?", frage ich kleinlaut. „Dann ist es halt so. Ich würde mir zwar wünschen, dass du es noch einmal versuchst, doch ich würde dich nicht dazu zwingen. Wenigstens hätten wir dann etwas mehr Zeit", meint Shawn. Genau wie ich wird er immer leiser.

„Na gut", sage ich schließlich. „Ich mache es." Darauf gibt er mir einen Kuss auf die Stirn und zieht mich in eine feste Umarmung. Nun sagt keiner mehr irgendetwas.

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Okay, das war's! Schon wieder 😅

Einige haben es schon geahnt, als Becca in Pickering solche Kopfschmerzen bekommen hat, und jetzt hat sich das endgültig bestätigt: Der Tumor ist zurück.

Na ja, auch wenn es für sie nicht so gut ausgegangen ist, hoffe ich, dass euch die vier Kapitel gefallen haben 😊❤️

One more wish {s.m.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt