56. Kapitel

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Der nächste Morgen kommt ziemlich schnell. Shawn und ich sind aber auch für unsere Verhältnisse früh ins Bett gegangen, weil uns der Flug und das Gespräch mit Kira doch irgendwie ausgelaugt haben. Ich glaube, ich bin noch nie nach einer so kurzen Zeit eingeschlafen.

Das erste, was ich wahrnehme, nachdem ich meine Augen geöffnet habe, ist Shawn's Arm, der um meinen Körper geschlungen ist. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, warum ich über Nacht nicht aus dem Bett geflogen bin. Immerhin ist es ziemlich klein für zwei Personen und dann bin ich auch noch am Rand gelegen. Er musste sich da keine Sorgen machen, er hatte mir ja den Platz an der Wand weggenommen.

Dann fällt mir plötzlich auf, dass durch die Rollläden gar keine Sonnenstrahlen scheinen. Normalerweise tun sie das immer, wenn ich aufwache. Und auch durch den unteren Spalt meiner Zimmertür scheint kein Licht. Das bedeutet, es muss noch in der Früh sein.

Um zu wissen, wie viel Uhr es genau ist, drehe ich mich so gut es geht zu meinem Nachttisch, der direkt neben dem Bett steht - es gibt wohl doch einen Vorteil, hier zu liegen -, und drücke auf die Licht-Taste von meinem Wecker.

6.54 Uhr. Warum wache ich so früh auf? Ich glaube, ich hau mich gleich nochmal aufs Ohr. Bevor ich das aber mache, lasse ich meinen Blick noch auf das Datum schweifen. 8. August 2018.

Scheiße, es ist der 8. August! Das kann doch nicht sein! Oh Gott, ich fasse es nicht. Ich hab tatsächlich den Geburtstag meines Freundes vergessen. Das lag bestimmt an dem ganzen Drama. Was mach ich denn jetzt bloß? Ich kann doch nicht ohne ein Geschenk bei ihm ankommen.

Zum Glück habe ich mein Handy gestern auch auf den Nachttisch gelegt. So kann ich Fiona um Rat fragen. Sie ist meistens um diese Uhrzeit wach, weil sie eine Frühaufsteherin ist. Ich persönlich würde niemals so früh aufstehen, wenn ich keine Schule oder sonst etwas hätte. Aber jeder, wie er will.

Als ich das Display anmache, fangen meine Augen an zu tränen. Das war definitiv zu hell. Um zu verhindern, dass noch mehr Punkte in meinem Blickfeld erscheinen - die mich leider viel zu sehr an meine „Migräne" erinnern -, halte ich mein Handy schräg gegen die Matratze, sodass die obere Kante meinem Gesicht am nächsten ist.

Das macht das Schreiben zwar etwas schwieriger und ich muss auch immer wieder Wörter komplett neu schreiben, doch irgendwann steht da eine anständige Nachricht und wartet darauf, verschickt zu werden:

Fiona, du musst mir ganz dringend helfen! Ich hab Shawn's Geburtstag vergessen und hab nichts, was ich ihm geben könnte😳 Ich kann hier leider nicht weg. Wenn ich aufstehe, könnte er aufwachen und dann bin ich aufgeschmissen. Kannst du dich in der Stadt umsehen und irgendwas kaufen, von dem du denkst, das es ihm gefallen könnte? Ich verspreche, ich zahle es dir auch zurück."

Wahrscheinlich wird sie mich für verrückt halten, wenn sie die Nachricht liest, und erst einmal lachen. Aber das ist okay. Ich meine, selbst ich frage mich ja, wie ich so blöd sein konnte. Man vergisst doch nicht einfach den Geburtstag der Person, die man liebt!

Genau diese gibt im nächsten Moment ein leises Stöhnen von sich, worauf ich leicht erschrocken mein Handy unter der Decke verstecke und so tue, als würde ich noch schlafen. Shawn scheint hingegen noch tief zu schlafen und dreht sich auf die andere Seite. Nun kann ich mich frei bewegen.

Darauf bedacht, keinen Krach zu machen, schleiche ich mich aus meinem eigenen Zimmer und schließe dann die Tür. Um noch einmal sicherzugehen, halte ich mein Ohr gegen diese und lausche. Mucksmäuschenstill.

Langsam mache ich mich auf den Weg ins Zimmer nebenan, mache das Licht an und schließe hier ebenfalls die Türe. Obwohl es einen Stuhl gibt, setze ich mich auf den Boden und lehne mich gegen das Holz der Türe.

Wenige Sekunden später erhalte ich tatsächlich eine Antwort, die ich mir natürlich so schnell wie möglich durchlese: „Erstens: Wie geht das? Er ist dein Freund 😅 Zweitens: Ich kann nicht, muss mal wieder zum Zahnarzt... Drittens: Warum sagst du ihm nicht einfach, dass du es ihm später gibst, und gehst in der Zwischenzeit selber was für ihn einkaufen? Viertens: Was sollte es eigentlich bringen, wenn ich es tue? Bist du wieder in New York? Wenn ja, warum sagst du mir das nicht?"

Wow, das war eine lange Aufzählung mit vielen Fragen", schreibe ich schmunzelnd. „Deine erste kann ich leider selber nicht beantworten. Ich weiß, echt dumm. Aber dein Vorschlag ist gut. Warum ich nicht drauf gekommen bin? Wahrscheinlich weil es noch viel zu früh ist 😂 Und ja, ich bin wieder zu Hause. Tut mir leid, dass ich dir nicht Bescheid gegeben habe, es war echt stressig gestern."

Dann muss ich erneut ein kleines bisschen warten. In dieser Zeit überlege ich, was ich Shawn schenken könnte. Als erstes fällt mir eine Gitarre ein, aber er hat schon so viele, dass er ein extra Zimmer in seiner Wohnung hat, und mir fehlt außerdem das Geld.

Worüber könnte er sich denn noch freuen? Vielleicht ein paar Muffins. Doch das ist kein richtiges Geschenk. Diese Dinger isst er doch schon mindestens einmal im Monat. Und was hat er mit einem Geschenk, das nach ein paar Bissen einfach weg ist?

Nein, ich denke, es muss etwas Persönliches sein. Möglicherweise ein Fotoalbum mit Bildern von ihm und mir. Immerhin ist das der erste Geburtstag, den wir zusammen feiern werden. Und falls ich genug Zeit habe, kann ich zusätzlich noch Muffins backen. Ich muss nur schauen, dass er nicht dabei ist.

Auf einmal vibriert mein Handy und holt mich wieder aus meinen Gedanken. Fiona hat geantwortet. „Ist schon okay, bin dir nicht böse ❤️ Und hey, Kyle und ich gehen heute Abend um 20 Uhr in einen Club, vielleicht wollen du und Shawn ja mit. Ist doch ein guter Anlass 😉"

„Klar, wird bestimmt cool. Aber ihr müsst uns abholen!", gebe ich zurück. Darauf erscheint ein großer Daumen. Okay, dann wissen wir beziehungsweise bisher nur ich, was wir heute Abend machen werden.

Plötzlich höre ich ein Knarren, welches sicher von meinem Bett stammt. Das muss ja wohl heißen, dass Shawn aufgestanden ist. Deshalb stehe ich schnell auf und rase auf den Gang, wo ich ihn  die Augen reibend, zu Gesicht bekomme.

„Happy birthday!"

One more wish {s.m.}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt