76. Kapitel

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Als Weltstar werden einem fast alle Wünsche von den Lippen abgelesen und so schnell es geht erfüllt. Wenn ich einen lächerlichen Kaffee möchte, halte ich schon nach zwei Minuten einen Becher in der Hand. Aber wenn es um das Wichtigste in meinem Leben geht, um meine Freundin, dann lässt man sich genügend Zeit.

Na ja, der Taxifahrer kann nichts dafür. In einer Großstadt kann es eben zu sehr langen Staus kommen. Aber es geht um's Prinzip. Denn aus "so schnell wie möglich" werden beinahe fünfzig Minuten. Fünfzig Minuten, in denen weiß Gott was geschehen könnte. Oh man, was bin ich nur für ein Schisser geworden!

Glücklicherweise steht mir im Krankenhaus selbst nichts im Weg und ich kann sofort in ihr Zimmer. Vorher klopfe ich natürlich noch an die Tür. Auch wenn ich es kaum erwarten kann, sie wiederzusehen; so viel Anstand besitze ich noch.

Anscheinend ist sie bereits wach gewesen, denn es dauert keine Sekunde, bis ein kräftiges "Ja!" ertönt. Schon allein beim Klang ihrer Stimme könnte ich aufspringen vor Freude. Ihr geht es gut.

Selbstverständlich habe ich in Windeseile Becca's Zimmer betreten und mich an die Seite ihres Bettes gekniet. Wobei, eigentlich habe ich mich auf die Knie fallen lassen, was bestimmt ein paar blaue Flecken als Folge haben wird. Vielleicht überrasche ich sie damit, aber ich nehme ihr Gesicht in beide Hände und lege stürmisch meine Lippen auf ihre.

Als wir uns voneinander lösen, meint sie: "Was war das denn? Ist alles okay mit dir? Also nicht dass ich es blöd finden würde, wenn du mich küsst. Aber irgendwas ist doch anders mit dir."

"Ja, ich mache mir nur so unglaubliche Sorgen um dich und der Traum letzte Nacht hat es nicht gerade besser gemacht", erkläre ich meine Situation. Das ist allerdings noch nicht alles. Wie mir gerade bewusst wird, habe ich mich in dieser kurzen Zeit viel mehr verändert als gedacht.

Frustriert stütze ich meinen Kopf auf meinen Händen ab und starre auf die Bettkante. "Scheiße!", flüstere ich leise, aber bestimmt. "Ich habe das Gefühl, ich verliere den Verstand. Ich muss andauernd bei dir sein, ansonsten drehe ich durch. Ich stelle mir ständig vor, was in der Zeit, in der ich nicht bei dir bin, passieren könnte. Total bescheuert, aber ich kann das einfach nicht abstellen. Ich drehe durch!"

"Shh", macht Becca und versucht, mich damit zu beruhigen. Gleichzeitig streicht sie mir mit den Daumen über meine Wangen und scheint mir Tränen wegzuwischen. Ich habe gar nicht bemerkt, dass ich angefangen habe zu weinen.

"Shawn, du verlierst nicht den Verstand, da bin ich mir sicher. Wir befinden uns gerade beide in einer schwierigen Lage und da ist es normal, dass man mal am Rad dreht", meint sie, und tatsächlich beruhigt es mich ein kleines bisschen. "Du darfst jetzt nur nicht an diesem Glauben festhalten, sonst wirst du wirklich übergeschnappt."

Zuletzt setzt sie sich auf und hebt meinen Kopf an. Während sie mir durch die Haare wuschelt, lächelt sie mich ermutigend an. "Ich kenne da jemanden. Der hat mal gesagt, dass wir das hier gemeinsam durchstehen. Und das werden wir, Shawn. Du hilfst mir und ich helfe dir. Für immer. Ich liebe dich."

"Ich liebe dich auch, Prinzessin." Darauf hole ich einmal tief Luft, um wieder klare Gedanken zu bekommen. Sicher wäre es hilfreicher, wenn ich kurz das Fenster öffnen würde, doch dafür müsste ich Becca verlassen und das möchte ich in diesem Moment nicht, selbst nicht für einen kleinen Augenblick. "Wie geht es dir denn jetzt eigentlich?"

"Ganz gut", meint sie. "Ich bin nur ziemlich müde, weil ich die ganze Nacht nicht geschlafen habe. Es war echt komisch. Mir sind dauernd die Augen zugefallen, aber ich konnte einfach nicht schlafen. Weder heute Nacht noch heute Morgen, bevor du gekommen bist. Kommt bestimmt auch von der Chemo."

Und schon wieder tut sie mir unglaublich leid. Obwohl sie so viel durchmachen muss, schaut sie nicht zurück und macht weiter. Das fasziniert mich so an ihr und darauf bin ich stolz.

Im nächsten Moment stehe ich auf und strecke meine Hand nach Becca aus. Es dauert kurz, bis sie versteht, was ich meine, doch letztendlich ergreift sie meine Hand und lässt sich von mir aus dem Bett ziehen.

Ihre Knie geben etwas nach, weswegen ich schnell einen Schritt auf sie zugehe und sie stütze. Als sie wieder einigermaßen sicher steht, ziehe ich sie ganz fest an mich heran, sodass ich schon aufpassen muss, dass ich sie nicht zerquetsche. Aber es tut gut, ihre Nähe zu spüren.

"Andrew hat mir gestern übrigens noch geschrieben", sage ich, damit keine unangenehme Stille entsteht. Wobei mir bei Becca mittlerweile nichts mehr unangenehm ist. Auch wenn ich wusste, dass sie anders ist, war ich immer etwas nervös. Sie ist eben doch ein Fan und die sind zu einigem fähig.

"Er meinte, dass ich ein Statement abgeben sollte, und das so bald wie möglich. Zwar weiß er, dass ich gerade nur für dich da sein will, aber ich kann den Termin nicht einfach sausen lassen. Die Fans machen sich jetzt Sorgen um mich, weil ich mich schon ewig nicht mehr gemeldet habe, und erfunden schon alle möglichen Theorien. Deshalb soll ich mich bei einer öffentlichen Veranstaltung sehen lassen, um zu zeigen, dass ich noch hier bin."

Dann sieht mein Mädchen zu mir auf und blickt mich verständnisvoll und mit leichtem Grinsen an. "Es ist okay, Shawn. Ich schaffe das schon, es ist ja nur ein einziger Tag. Außerdem geht es hier teilweise auch um dein Leben, um deinen wahr gewordenen Traum." Ein Gähnen. "Es wird dann sicher einen Livestream geben, den ich natürlich verfolgen werde."

"Schauen wir mal. Ich weiß auch noch gar nicht, wann genau es soweit ist. Ich wollte nur mal deine Meinung hören", gebe ich zurück.

Jedoch gibt sie nur ein leises "Mmh" von sich. Als ich zu ihr herab sehe, merke ich, dass sie sich an meine Brust gelehnt hat und ihre Augen geschlossen sind. Sie scheint nun endlich einschlafen zu können.

Da wir nur knapp einen Meter vom Bett entfernt stehen, brauche ich sie nicht hochzuheben, sondern kann ihren Oberkörper einfach auf der Matratze ablegen und ihre Beine nachziehen. Beim Anblick ihres friedlichen Gesichtsausdrucks muss ich lächeln.

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Oh mein Gott, ihr glaubt mir gar nicht, wie schwer es mir gefallen ist, Shawn in dieser Situation zu beschreiben😅
Ich hoffe, es hat euch nicht zu sehr das Herz gebrochen🙈

Bis in 'ner halben Stunde😉❤️

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