Der Tag mit meiner Mom und Shawn war eigentlich ganz entspannt. Abgesehen von der Tatsache, dass sie direkt zu Beginn der Besucherzeit in mein Zimmer gestürmt ist und meinen Namen gerufen hat. Weil ich mitten in der Nacht wach war, habe ich etwas länger geschlafen und hätte meine Mutter mich nicht geweckt, wäre ich sogar noch später aufgestanden.
Aber ich konnte ihr nicht böse sein, immerhin habe ich mich doch sehr auf das Treffen gefreut. Und das hat sich auch in unserer Umarmung gezeigt, denn so lange lagen wir uns schon ewig nicht mehr in den Armen. Shawn wurde fast eifersüchtig. Als ich ihn jedoch geküsst habe, war alles wieder gut.
Ich wünschte, wir könnten diesen Tag wiederholen. Selbst Mom's Hereinstürmen würde ich mir noch einmal antun. Das wäre nämlich angenehmer als das, was mich heute erwartet, und das ist noch schön ausgedrückt, da bin ich mir sicher. Meine erste Chemositzung im Leben.
Meine Mutter kann mich leider nicht währenddessen unterstützen, weil sie arbeiten muss. Auch Fiona hat keine Zeit, aber das liegt ausnahmsweise mal nicht an Kyle, sondern an einem Familienfest. Dafür kann ich mich erneut auf meinen Freund verlassen. Wahrscheinlich hat Mom sich auch nicht freigenommen, weil sie wusste, dass wenigstens er für mich da ist.
Erst als das Geschirr von meinem Mittagessen, das ich mir mit Shawn geteilt habe, weil ich nicht alles alleine geschafft hätte, abgeholt worden ist, taucht Dr. Ley in ihrem langen, weißen Kittel in meinem Zimmer auf. Natürlich zieht sie all unsere Aufmerksamkeit sofort auf sich.
„Guten Tag!", grüßt sie mich fröhlich und versucht bestimmt, mich damit zumindest ein kleines bisschen zu motivieren. Allerdings völlig vergebens. Wenn nicht einmal der Sänger es bisher geschafft hat, mir bessere Laune zu verschaffen, dann hat die Ärztin erst recht keine Chance.
Ich selbst habe zwar noch gar keine Erfahrungen mit einer Chemotherapie gemacht, aber schon genug im Internet darüber gelesen. Wenn es stimmt, was darin stand, wovon ich stark ausgehe, werde ich mich wohl ziemlich beschissen fühlen. Aber ich lasse mich darauf ein, für Shawn.
„Es wird eine Weile dauern, bis das ganze Medikament durchgelaufen ist, weswegen wir so früh wie möglich anfangen sollten. Also wenn Sie bereit wären...?", erkundigt die Frau sich bei mir. Ich werde hierfür niemals bereit sein, schreit meine innere Stimme förmlich. Dennoch nicke ich langsam.
Dann verschwindet sie für eine kurze Zeit, höchstwahrscheinlich um die nötigen Instrumente zu holen. Der Braunhaarige nutzt die Gelegenheit, um von seinem Stuhl zu steigen, sich neben mein Bett zu knien und seine Hand an meine Wange zu legen, sodass ich keine andere Wahl habe als ihn anzusehen.
"Ich kann mir sicher nicht vorstellen, wie genau es gerade in dir drin aussieht, aber ich weiß, dass die ganze Situation für dich nicht einfach ist", fängt er an. "Für mich ist es auch nicht leicht, vor allem kann ich es nicht ertragen, dich so deprimiert zu sehen. Also bitte setz wieder ein Lächeln auf."
Es klingt schon fast wie ein Flehen und ich bekomme feuchte Augen. Ja, es ist hart für mich, aber auch für ihn. Unglücklicherweise wird es irgendwann noch schwerer für ihn, nämlich wenn ich nicht mehr da bin. Ich weiß, das passt nicht zu einem Happy End, doch das Leben ist kein Wunschkonzert und man muss der Wahrheit ins Auge blicken.
Aus diesem Grund möchte ich, dass wir beiden jetzt eine annähernd schöne Zeit haben. Demnach fasse ich mir ein Herz und versuche, meine Mundwinkel anzuheben, was mir auch mehr oder weniger gelingt. Um dem noch etwas mehr Ausdruck zu verleihen, greife ich Shawn's andere Hand und drücke sie einmal ganz fest.
Im selben Moment nehme ich auch schon das Geräusch eines rollenden Gefährts wahr. Um genau zu sein, das der Infusion, durch welche die Medikamente den Weg in meinen Körper finden werden. Zuerst beruhigt mich das ein bisschen, weil das nicht meine erste Infusion ist, doch als ich die Petrischale sehe, die Dr. Ley schon in den Händen hält, könnte ich wieder in Schweiß ausbrechen.
"So, dann fangen wir mal an", meint die Frau und lächelt mich aufmunternd an. Dann greift sie nach meinem rechten Arm und legt in gerade neben mich, um die Stelle, die sich auf Höhe des Ellenbogens befindet, zu desinfizieren. Als nächstes balle ich ihrer Anforderung nach meine Hand zu einer Faust und öffne sie wieder. Diesen Vorgang wiederhole ich so lange, bis die Nadel in meinen Arm steckt.
Nachdem die Ärztin die Petrischale auf den Tisch neben dem Bett gestellt hat, macht sie mir klar, was mich in den nächsten Stunden erwartet: "Bleiben Sie am besten liegen, bis die ganze Flüssigkeit verschwunden ist." Dabei zeigt sie auf die Infusion.
"Wahrscheinlich wird es Ihnen bereits in einigen Minuten schlecht, aber seien Sie nicht besorgt. Das ist zwar nicht besonders schön, aber bei den meisten Patienten gehört es schon dazu. Außerdem schaut immer mal wieder eine Schwester nach Ihnen."
Gut zu wissen, denke ich. Also steht jetzt zwei Wochen lang alle zwei Tage Übelkeit und Erbrechen auf dem Tagesplan. Wow, das wird wirklich die beste Zeit meines Lebens! Ironie lässt grüßen...
Ohne weiteres geht Dr. Ley aus dem Raum und lässt Shawn und mich alleine. Ich bin so froh, dass er an meiner Seite ist. Ich wüsste nicht, was ich tun würde, wenn ich ganz allein hier durch müsste.
Anscheinend weicht mir all die Farbe aus meinem Gesicht, denn plötzlich sieht mich der Braunhaarige ganz besorgt an und streicht mir vorsichtig durch die Haare. "Das war ja nicht gerade ermutigend von ihr. Aber wie gesagt, du brauchst keine Angst zu haben, ich bin bei dir und werde es auch immer sein." Das lässt mein Herz höher schlagen und zum ersten Mal an diesem Tag kann ich richtig lächeln.
Es dauert nicht lange, da kommt auch schon die erste Übelkeit auf. Erst ganz leicht und dann immer stärker - es fühlt sich an, als würde sich Gift überall in meinem Körper verbreiten. Schließlich greife ich blitzschnell nach der Petrischale, wobei ich sie fast herunterschmeiße, und übergebe mich darin, während Shawn mir meine Haare zurückhält.
Über die nächsten Stunden gibt es nichts besonderes zu berichten. Zusammenfassend ging es mir in den ersten beiden Stunden ziemlich scheiße, aber dann war ich auf dem Weg zur Besserung. Und jetzt kann ich sogar wieder das Buch, das ich vor ein paar Tagen in meinen Koffer geworfen habe - ohne wirklich zu wissen, was es ist - lesen.
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Sooo, wäre das auch mal wieder geschafft😅 Tatsächlich ist es mir schwer gefallen, dieses Kapitel zu schreiben, denn ich habe am Freitag damit angefangen und hatte nach 200 Wörtern keine Ahnung mehr, wie ich weiter machen sollte. Ich hoffe, dass das, was dabei rausgekommen ist, einigermaßen okay ist🙈
Und dann habe ich heute Morgen gesehen, dass diese Story 14k erreicht hat. Aber jetzt sind es sogar schon 14,1k! Wie schnell ging das denn bitte?!😂
Ich möchte euch einfach für euren unglaublichen Support danken. Weiß gar nicht, was ich ohne euch machen sollte❤️
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One more wish {s.m.}
FanfictionDas ganze Leben lang hatte Becca keine Probleme. Zumindest keine gesundheitlichen. Natürlich muss sie als 16-Jährige auch mit dem Stress der Highschool kämpfen, aber eigentlich führt sie ein ganz normales Leben. Na ja, wenn man von ihrem inneren Fa...