Es ist dunkel.
Dann sehe ich sie.
Sie starrt mich an.
Ich starre sie an.
Stille.
"Darling, es ist okay", flüstere ich heiser und komme näher auf sie zu.
"Es wird alles wieder gut", versuche ich sie zu beruhigen, doch sie schaut mich nur mit weit aufgerissenen Augen an.
"Komm, gib mir das Messer", beruhige ich sie und nehme sie vorsichtig am Arm."FASS MICH NICHT AN!", brüllt sie woraufhin ich zusamenzucke, aber meine Hand ruht noch immer auf ihrem Unterarm.
"Ich sagte fass mich nicht an", zischte sie erneut.
"Darling...-", beginne ich, doch sie unterbricht mich.
"Nichts da mit 'Darling'! Ich bin nicht so eklig wie du und stehe auf Frauen. Deswegen habe ich sie umgebracht", schreit sie und deutet mit dem Messer auf die Leichen.
"Aber...aber ich...ich dachte", stottere ich.
"Ach, du kannst denken?", gab sie sarkastisch von sich. "Das ist ja ganz was neues...Also wie oft noch?! ICH STEH NICHT AUF FRAUEN!" Den letzten Satz schreit sie nur noch.
"Bitte, ich...", beginne ich verzweifelt.
"Halt endlich dein Maul!", brüllt sie mich an. "Ich an deiner Stelle würde eher besser nachdenken, was ich zu meinem Gegenüber sage, wenn dieser ein Messer in der Hand hat. Und auch damit umgehen kann." Bedrohlich kommt sie näher.
"Ich habe keine Angst vor dir", meine ich wobei meine Stimme selbstbewusster klingt, als ich mich fühle. Eigentlich fühle ich nichts. Gar nichts
"Solltest du aber." Sie hebt das Messer. Ihr Blick ist eiskalt, was mich einige Schritte zurückstolpern lässt. Schließlich drehe ich mich um und laufe weg.
"Lauf solang du noch kannst", ruft sie mir lachend hinterher. Und das tue ich dann auch.Irgendwann stolpere ich über irgendwas, was am Boden liegt und falle hin. Erst jetzt sehe ich über was ich gestolpert bin. "Mum", schluchze ich, als ich ihr schönes Gesicht zu einer hässlichen Fratze verzogen sehe. Wie erwartet bekomme ich keine Antwort.
"Glaubst du mir jetzt, dass ich's ernst meine?", höre ich ihre Stimme hinter mir.Ich stehe auf und drehe mich zu ihr um.
"Das warst nicht du, Darling", sage beziehungsweise hoffe ich.
Sie lacht auf. "Meinst du wirklich? Ich kann mich auf jeden noch gut an ihre Schreie und an ihr Betteln erinnern."Ich erstarre. Was passiert hier nur?
"Und? Nimmst du mich langsam ernst?", fragt sie mich und mustert mich mitleidig.
"Du musst wissen, ich war nur mit dir zusammen, weil ich eine Wette gemacht habe. Tja, ich habe veloren, also habe ich mich an dich rangemacht - ziemlich erfolgreich wie's aussieht", erklärt sie, wobei sich ihre Mundwinkel zu einem höhnischen Grinsen verziehen.
Autsch. Mein Herz.
"Och, komm. Du kannst doch nicht ernsthaft gedacht haben, dass ich freiwillig mit dir zusammen sein will. Und nein, es ändert auch nichts, wenn du jetzt losheulst."
Erst jetzt merke ich, dass mir Tränen (okay, wohl eher ein Wasserfall) die Wange hinunterrinnt."Sieh's ein. Dich wird nie jemand lieben. Nicht mal deine Eltern lieben dich", flüstert sie in mein Ohr. Meine Unterlippe zittert. Sie weiß, dass sie damit meine Schwachstelle getroffen hatte.
'Dich wird wird nie jemand lieben', echot es in meinem Kopf.
In mir ist es leer.Ein letztes Mal mustere ich sie. Sie, die ich liebe. Mit ihren blonden Haaren sieht sie aus wie ein Engel. Doch spätestens jetzt weiß ich, dass das nur eine Maske war.
Meine Füße tragen mich von ganz allein in die Richtung des Hochhauses. Ich merke gar nicht, wie ich alle die Treppen hochgehe. Ich merke nicht, dass sie mir folgt. In mir ist ein komisches Gefühl. Plötzlich ist mir alles egal. Ich stehe am Dach des Hochhauses und schaue hinunter. Zwanzigster Stock. Das ist hoch.
Jetzt stehe ich da und denke ein letztes Mal an die Personen, welche mir einst wichtig waren. An meine Mutter, meinen Vater und an sie.
Doch ich wurde die ganze Zeit nur betrogen! Niemand liebt mich wirklich!
'Warum auch?', macht sich eine Stimme in mir bemerkbar. 'Du bist es nicht wert.'
Wie recht die Stimme hat...wie recht. Mein ganzes Leben war eine Lüge.
Ich gehe einen kleinen Schritt nach vorne."Na, los. Auf was wartest du?", höre ich ihre Stimme. Aber ich drehe mich nicht um. Ich will sie nicht mehr sehen.
"Sie haben dich alle nicht geliebt. Und ich schon gar nicht", stachelt sie mich an und lacht gehässig.Sie hat recht. Auf was warte ich noch?
"Geh endlich. Keiner wird dich vermissen. Alle werden erleichtert sein, dass du endlich weg bist. Ich warte unten auf dich. Oder eher auf das, was dann noch von dir übrig ist."
Mit diesen Worten verschwindet sie.
Sie, die Liebe meines mickrigen Lebens.
Sie, die mich nie geliebt hat.
Ich mache noch einen Schritt nach vorne. Meine Schuhspitze ist jetzt in der Luft.
"FUCK, SWEETIE?! WAS MACHST DU HIER?!"
Ich drehe meinen Kopf in ihre Richtung. Nur ganz am Rand realisiere ich, dass sie plötzlich einen Pyjama anhat und nicht mehr voller Blut ist. Auch ihr Messer ist plötzlich weg. In ihrem Blick liegt plötzlich Sorge und Panik. Was ist hier los?
'Alles nur Show', meint die Stimme in meinem Kopf."Sweetie, bitte tu mir das nicht an!", schluchzt sie. "Ich liebe dich doch!"
Sie liebt mich?
'Nein. Wie könnte sie sowas wie dich lieben?'
"Vertrau mir! Bitte! Alles ist gut. Komm nur langsam hier runter", sagt sie zu mir.Sie weint.
Warum weint sie?Ich bekomme gar nicht mir, dass ich mich langsam von dem Rand ded Hochhauses entfernt habe und mich somit ihr nähere. Es ist, als wäre ich plötzlich aus einem Traum erwacht - aus einem Albtraum.
Meine Beine geben unter mir nach."Oh, Sweetie", schluchzt sie und geht zu mir in die Hocke. "Was machst du nur für Sachen..."
Dann drückt sie ihre Lippen auf meine.
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Gedankennebel
Short StoryDu liest gerne Kurzgeschichten mit verschiedensten Themen? Und das umgesetzt auf unterschiedlichster Art? Du interessierst dich für die abwechlungsreiche Mischung verschiedener Schreibstils, Inhalte und Genres? Dann ist dieses offizielle Buch vom Wa...