Allein saß ich am Flussufer. Die steinerne Kante war leicht vom plätschernden Wasser nassgespritzt worden, das Wasser umspülte meine Füße. Eine Träne nach der anderen rollte über mein Gesicht und tropften in den schnellen Fluss. Warum ich weinte? Dass wusste ich selber schon lange nicht mehr. Manchmal war es aus Trauer, manchmal aus Freude, und in anderen Situationen beides. Die Sonne ging langsam unter, als ich mein Handy aus meiner Hosentasche fischte und diese Nachricht, welche ich auf einem Screenshot gesichert hatte, erneut las. "Lass uns einfach Freunde sein, ok?", murmelte ich für mich. Auch wenn ich dankbar für diese Worte war, sie taten mir weh. Glücklich darüber, dass ich mir nie wieder Hoffnung machen musste, und doch dieser schreckliche Schmerz. Als die Sonne fast ganz hinter den Häuserfassaden verschwunden war, zog ich meine Beine aus dem Wasser und machte mich Barfuß auf den Weg nach Hause. Meine Gedanken kochten nur so, jedoch nur dieses eine Gericht. Wiedereinmal konnte ich an nichts anderes denken. Das Mädchen, in was ich mich verliebt hatte. Alles hatte so einfach angefangen, und ich hatte es mir selber kompliziert gemacht. Es war nur ein Kribbeln im Bauch an einem kalten Wintertag, welches mich darauf hinwies. Meine Gedanken waren nicht mehr klar, ich aß nicht mehr richtig, doch ich war glücklich- in ihrer Nähe. Jetzt wurde mir erst klar, dass ich mir nie hätte Hoffnungen machen sollen. Hätte ich nur einmal richtig zugehört, dann hätte ich mir nicht so sehr geschadet. Schon als ich mich überwunden hatte, um mit ihr zu reden, hätte mir klarwerden sollen, dass es nie etwas wird. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie selber einen Freund gehabt. Ich wollte es aber nicht wahrhaben. Immer haben meine Gedanken sich die schönsten Szenarien mit ihr vorgestellt, etwas, was nie Realität geworden wäre. "Wir sind nur gute Freunde", hatte sie schon damals in den Wintermonaten gesagt. Als sie dann herumerzählte, sie wäre wieder Single, sprang mein Herz in die Luft. Ich hatte vergessen, dass ich in der Friendzone steckte, und dachte wirklich, dass sie irgendwann Interesse an einer Beziehung entdeckte. Ich merkte nie, wie sehr ich auch mein Umfeld beeinflusste. Mein Nachbar tat mir selbst jetzt noch leid. Aus der Liebe zu diesem verdammten Mädchen hatte ich nie bemerkt, was der große, schlaksige Junge für mich empfand, und ich hatte ihn verletzt. Ich sagte ihm stumpf ins Gesicht, dass wir Freunde seien. Nur Freunde. Seitdem hatte er den Kontakt mit mir vermieden. Das war mir nie aufgefallen. Meinen besten Freund, der sich für den Nachbarsjungen eingesetzt hatte, ihn hatte ich damit auch verletzt. Er hatte auch den Kontakt zu mir reduziert. Lediglich meine beste Freundin stand auf meiner Seite.
Im halbdunklen Stück Natur stand ich da, mein Handy in der Hand und auf halbe Helligkeit gestellt, und las erneut diese Worte. "Nur Freunde." Was bedeutete dieses Wort eigentlich? Freunde vertrauen sich gegenseitig, sie hören einander zu. Wieder fand ich Parallelen zu mir und der wunderschönen Brünette. Ich vertraute ihr, aber jetzt ist es weg. Ich wusste es selber nicht genau, aber irgendwie hatte ich das Verlangen, ihr nichts mehr über meine privaten Probleme zu erzählen. Ich erinnerte mich an die Aktion meiner besten Freundin, wie sie versucht hatte, alles ins Reine zu bringen. "Für mich sind wir nur gute Freunde", hatte sie meiner Helferin geschrieben. Diese Worte zuckten wie ein elektrischer Schlag durch meinen Körper. Dieser bittersüße Schmerz...
Weitere Erinnerungen kamen mir in den Sinn. Ich schenkte diesem Mädchen eine Tafel Schokolade, einfach aus Dank. Aus Dank, da es für mich schlichtweg nicht selbstverständlich war, dass ich das Wochenende in ihrer Nähe verbringen durfte. Vieles war für mich nicht selbstverständlich. "Sowas machen normale Freunde dich nicht...", waren ihre Worte gewesen. Erneut durchfuhr mich dieser grausame Schmerz, der drohte, mein Herz zu zerreißen. Ich musste für einen Augenblick meine Augen schließen und tief Luft holen. Als ich meine Augen wieder öffnete, floss ein Schwall Tränen aus meinem Augen und bahnte sich den Weg über meine Wangen auf den Sandboden.
Ich setzte meinen Weg nach Hause weiter fort. Eine Gruppe Jugendlicher, die wie immer eine Musikbox bei sich führten, liefen an mir vorbei. Erwartet hätte ich irgendeinen schlechten Gangsterrap, doch die Lyrics des Songs waren leise und sanft. "Can we be Friends", dieser Text ließ mich wieder schmerzlich in meinen Gedanken versinken. Diesmal dachte ich an dir letzten Tage.
Dieses Mädchen war durch die Aktion meiner besten Freundin stinksauer auf mich. Ich war selber nicht einmal sicher, wieso. Ich suchte das Gespräch mit ihr, doch sie drehte sich weg und sah mich ab und zu wütend an. Ich dachte, ich würde sie verlieren. Ich dachte, ich müsste sie vergessen. Den Chat mit ihr hatte ich archiviert, alle Bilder mit ihr gelöscht. Freiwillig wollte sie nicht mit mir reden, ihre beste Schulfreundin hatte ein Gespräch zwischen uns arrangiert, welches völlig nach hinten losgegangen war. Ein Lehrer wurde mit einbezogen und redete mit uns beiden. Meine nackten Füße betraten den kalten Steinboden, ich verließ den Schutz der Baumkronen. Meine rechte Hand ließ ich am Metallzaun neben mir vorbei streichen. Geschickt wich ich den Glasscherben aus, auch wenn mich es nicht gestört hätte, wenn ich auf eine draufgetreten wäre. Ich beschloss trotzdem, mir meine Schuhe anzuziehen. Mittlerweile war es stockfinster geworden, nur wenige Laternen spendeten Licht. Meine Eltern würden sich sicher schon Sorgen machen, also beschleunigte ich mein Tempo. Die Gedanken waren wieder bei ihr. Ich erinnerte mich, wie meine Mundwinkel wie verrückt gezuckt hatten, nachdem ich mich bei einem gemeinsamen Gespräch entschuldigt hatte. Jetzt kamen mir wieder die Tränen hoch, wie bei diesem Gespräch, mit dem Unterschied, dass ich sie jetzt nicht unterdrücken konnte. Da ich kurz vor meiner Haustür war, kramte ich meinen Schlüssel bereits aus meiner Tasche. Ein letztes Mal las ich diese Nachricht durch. Die erste Nachricht, die ich nach dem Gespräch von ihr erhalten hatte, die erste Nachricht, nach unserem großen Zoff. Meine Hoffnungen hatten keinen Grund mehr zu leben, doch mein Herz hatte keinen Grund mehr zu weinen. Ich dachte, ich hätte sie für immer verloren, doch sie blieb. Noch nie war ich so dankbar für diesen Schmerz. Denn wir waren Freunde. Nur Freunde.
DU LIEST GERADE
Gedankennebel
KurzgeschichtenDu liest gerne Kurzgeschichten mit verschiedensten Themen? Und das umgesetzt auf unterschiedlichster Art? Du interessierst dich für die abwechlungsreiche Mischung verschiedener Schreibstils, Inhalte und Genres? Dann ist dieses offizielle Buch vom Wa...