"As the time flies by..." von @Raphael_Crow

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Tik. Tak. Tik. Tak.
Das Ticken der Uhr, der Herzschlag der Zeit, welcher erst aufzuhören vermöge, wenn die Ladung der Batterie zu Enden beginne.
Die Wände waren strahlend weiß, dass Ziffernblatt der Uhr zeigte halb neun. Halb neun? Ich folgte dem Sekundenzeiger, welcher nach jedem Ruck des Motors zuckte, der ihn im Kreise tanzen ließ. Wie lange saß ich nun schon hier, in Gedanken vertieft und darauf hoffend, endlich die liebliche Stimme der Arzthelferin zu hören, nur um dieser dann zu folgen?

Mein Blick wanderte nach unten, die moderne Glastür darunter ließ einen Blick auf die Rezeption zu. Dort meldete sich gerade ein älterer Herr an, aschblondes Haar, geschätzt auf 60 Jahre, dessen Husten zwischen den Sätzen auch durch die Glastür zu hören war. Das Ticken der Uhr bohrte sich trotzdem wie eine Nadel in meinen Gehörgang, weshalb ich schnell den Blick von dem Mann abwand und wieder zur Uhr schaute.
Wie viel Zeit war schon vergangen? Die Uhr zeigte zwei Minuten nach halb neun. Und jede Sekunde fühlte sich wie eine halbe Ewigkeit an. Wie sehr ich es ersehnte, dass die Uhr einfach sich von dem Nagel löste, zu Boden saußte und dieses Ticken aufhören würde.

Doch... Es war trotzdem beruhigend. In diesem Stress, den dieser Laut in mir auslöste, war eine Sicherheit. Ich wusste, dass solange ich es hörte, ich noch lebte. Und ich mir sicher sein konnte, dass jede Sekunde, die verginge, die Uhr mir mit diesem mechanischen Ton zeigen würde, dass es in einer Sekunde, einem Wimpernschlag, wieder ticken würde. Es hypnotisierte mich.
Tik. Tak. Tik. Tak.

Plötzlich vernahm ich aus meinen Augenwinkeln, das Aufbäumen einer Frau, welche den Takt der Uhr mit einem Niesen unterbrach. Ich würde aus der Trance geworfen und schaute verwundert zu ihr. "Gesundheit.", murmelte ich leise, laut genug, dass sie verstand und mir als Antwort lächelnd zunickte, aber leise genug, um nicht das eintönig Lied der Zeit zu verpassen, was in diesem Raum erklang. Dann hörte ich einen weiteren Laut, den ich erwartet hatte, denn das quietschen von Gummisohlen auf dem PvC und das Öffnen der Glastür ließ mich die Aufmerksamkeit auf die junge Frau ganz in Weiß richten. "Herr Hohmuth, der Arzt erwartet Sie bereits. Wenn Sie mir folgen würden?", kam von ihr, ihr aufgesetzte Lächeln lockte einen fast schon und ich erhob mich langsam aus meinem Stuhl, der so eintönig war wie die anderen Stühle, die an den Wänden standen.Meine eigenen Schritte unterbrach nun das Ticken der Uhr und ich fühlte mich befreit aus den Griffen der Zeit, die mich an den Stuhl fesselten wie eiskalte Ketten. Als ich an der jungen Frau vorbeiging vernahm ich ihr Parfüm, fruchtig und süß, trotzdem aber nicht zuviel. Es hätte mich berauschen können, doch ich lief weiter, sodass sie die Tür hinter uns schloss und ich die Blicke der wartenden Patienten durch das klare Glas im Nacken spürte.
"Hier entlang. Bitte warten Sie in Zimmer 3 auf den Doktor." Das war alles, was sie sagte, als sie mit der Hand auf eine Tür zeigte und ich mich auf dem Stuhl vor einem großen Schreibtisch niederließ. Der Raum war gemütlich eingerichtet und trotzdem steril, das weiß der Wände strahlte auch hier mir förmlich ins Gesicht. Und wieder war da dieser Ton. Dieser vertraute Ton, der meine Seele erzittern ließ, ohne auch nur dies zu wollen. Eine Uhr hinter mir an der Wand, genauso wie jene aus dem Wartezimmer, hing dort und spielte mir ihr Lied. Und bevor ich es merkte, war ich wieder in Trance. Ich weiß nicht wie lange ich im Stuhl saß, doch als eine Hand meine Schulter berührte erschrak ich aus meiner Starre und wand den Kopf nach hinten, nur um in die tiefblauen Augen des Doktor zu schauen. "Guten Tag, Herr Hohmuth. Sie sind sicher hier, um ihre Blutergebnisse zu erfahren, nicht?", sagte er mit einem leichten Lächeln auf seinen alten, rissigen Lippen. Er ging an mir etwas träge vorbei, was er scheinbar versuchte sich nicht ansehen zu lassen und setzte sich mir gegenüber. Langsam beugte er sich vor, mein Blick haftet an ihm, dann an seinen Händen, die er vor sich ineinander legte. Die Laute der Uhr waren trotz alledem so penetrant in meinen Ohren, dass ich das nur nebenbei bemerkte. "Ja, es hieß, sie hätten die Ergebnisse vorliegen. Ich habe einen Anruf bekommen und habe den nächstbesten Termin angenommen, der frei war." Meine Worte waren selbst monoton, obwohl ich innerlich eine Anspannung hatte, was er zu sagen hatte. Doch die Uhr beruhigte mich. Ach, was sag ich da. Sie manipulierte mich. Sie fesselte mich.

Doch allmählich sank mein Doktor seinen Blick, er trübte sich etwas und ich wusste, dass das nichts Gutes bedeuten könnte. Man sah es ihm an, dass er damit kämpfte die richtigen Worte zu finden, doch genauso schnell merkte man auch, dass er den Kampf um die Wortwahl aufgab. "Herr Hohmuth... Wir haben eine schlechte Nachricht. Sie leiden scheinbar unter...", dann machte er eine Pause. Das Ticken war so penetrant wie der Druck, der sich unterbewusst in dem Raum aufbaute. Eins. Zwei. Drei. Vier Sekunden waren vorbei.

Der alte Mann hob den Kopf und sah mir tief in die Augen, sein Mund bewegte sich wie in Zeitlupe. "Sie haben Leukämie." Die Worte wirkten so entfernt von der Realität, sie zogen sich und hatten einige Sekunden keine Bedeutung. Was sagte er da? Leukämie? Das kann nicht sein, oder? Die Uhr war lauter als die Gedanken in meinem Kopf. Und doch hörte sich alles an, als wäre ich unter Wasser. Der Doktor sagte nebenbei irgendetwas von einer fortgeschrittenen Phase und dass ich ohne Behandlung nicht mehr als ein Jahr zu leben hätte, doch... Seine Stimme wirkte so fern.

Mein Sichtfeld wurde leicht verschwommen, es fühlte sich an, als würde das Ticken der Uhr jede Sekunde meinen Kopf explodieren lassen. Das war alles doch nur ein Traum. Ein Witz. Ich würde aufwachen, in meinem Bett, und dann lachen, was ich mir wohl im Traum zusammengesponnen hatte.
Als plötzlich schwarze Flecken mein Sichtfeld heimsuchten und mir das Gefühl gaben, als würde ich in dieser Schwärze ertrinken, gab ich dem Pochen in meinen Ohren nach. All die Jahre gesünder Ernährung. Alls die Jahre mit meinen Freunden. Sie spielten sich in meinem Kopf ab, doch verblassen kurz mit jedem Ticken der Uhr, was wie ein Erdbeben die Zene zu virbireren brachte.
Ich hatte in meinem Leben so viel Zeit mit unnötigen Zeug verschwendet. Und jetzt würde der Krebs mir die letzten Jahre auchnoch stehlen. Die Erinnerungen verblassen und meine Sicht wurde komplett schwarz.

Nur das Ticken der Uhr, das mein Inneres nun mehr erschütterte als beruhigte, vernahm ich in seinem uneingegrenzten Ausmaße.Die Sekunden zogen dahin.
Tik. Tak. Drei. Vier...
Bis ich komplett das Bewusstsein verlor.

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