Castor:
Nach der Erzählung schlucke ich hart und atme erstmal tief durch, ehe ich mir die Tränen von den Wangen streiche und zu Dan sehe.
Er sieht mich an, scheint in einer Art Schockstarre zu sein.
Aber was mich am meisten wundert ist, dass er doch tatsächlich Tränen vergossen hat.
Traurig lächelnd streiche ich sie ihm weg, weshalb er zu blinzeln beginnt und wieder zu erwachen scheint.
„Es tut mir so Leid, Cas. Ihr hättet es verdient glücklich zusammen zu werden. Ihr hättet so viel mehr Zeit verdient"
Dankbar lächle ich ihn an. „Hätte hätte Fahrradkette"Empört schlägt er mir gegen die Schulter. „Arschloch"
Er reibt sich über die Augen. „Oh Mann, ich bin manchmal so eine Pussy", murmelt er.Ich lache leicht du ziehe seinen Kopf zu mir runter, um seine Wange zu küssen. „Danke fürs Zuhören und Dasein"
Er schüttelt den Kopf. „Danke, dass du mir das anvertraut hast."
Ich lächele leicht.Ja, ich vertraue ihm. Also soll er mir gefälligst auch vertrauen.
„Sagst du mir woher die Narben auf deiner Brust sind?"Er schluckt hart, ehe er geschlagen nickt. „Ich hab dir doch von meinen ersten Homo-Erfahrungen erzählt und dass das nicht so gut in meiner Umgebung angekommen ist"
Ich nicke zaghaft. Sag jetzt bloß...„Naja, mein Onkel war davon so gar nicht begeistert. Er fand das falsch und meinte, mich bestrafen und es mir austreiben zu müssen. Und immer, wenn er die Vermutung hatte, dass ich einem Jungen auch zu nahe gekommen bin oder nur falsch an einen gedacht hab, hat er es wieder gemacht. Er hat mich geschlagen, getreten, geschnitten und gepeitscht. Alle wussten davon, aber keinen hat es interessiert. Es sei ja nur zu meinem besten, damit ich lerne, was das richtige ist."
Ein Schnauben verlässt meinen Mund. „Meinst du das ernst?" Das kann ich nicht glauben. Vor 500 Jahren wäre sowas üblich gewesen, aber heutzutage? Unglaublich. Wie krank muss man sein, einem Kind sowas anzutun?
Er nickt und zuckt dann mit den Schultern. „Deshalb bin ich so verdreht. Naja, kann man nichts machen."
„Du bist gar nicht verdreht", spreche ich dagegen. „Du bist perfekt, genauso wie du bist", versichere ich ihm.Er schüttelt abfällig den Kopf. „Als ich 18 war, wollte ich das nicht mehr mit mir machen lassen, also habe ich mich gewehrt. Ich habe meinen Onkel so sehr verprügelt, dass er ins künstliche Koma versetzt werden musste und sein Hirn bleibende Schäden davon getragen hat, Cas. Und ich hab nicht mal ein schlechtes Gewissen"
Stumm versuche ich in seinem Gesicht zu lesen, ob er das ernst meint. Und er tut es, ich sehe es ihm an. Aber verurteilten kann ich das nicht.
Ich lege meine Hand auf sein Knie. „Hör einfach auf, daran zu denken, dann ist es, als sei es nie passiert", schlage ich ihm vor.
Das ist der Grund, weshalb ich ständig an Lucas denke, damit ich unsere Vergangenheit bloß nicht bedeutungslos werden lasse.
Er nickt nur leicht und streicht dann über die lange Narbe an meinem Unterarm. „Wo ist die her?"
Eigentlich hasse ich es, wenn jemandem meine Narben auch nur auffallen, doch bei Dan stört es mich nicht mal, wenn er sie berührt. Sogar bei Lucas war mir das unangenehm.
„Während meinem Entzug hab ich einen Teller an die Wand geschmissen. Lucas hat ihn weggeräumt, aber er hat eine Scherbe liegen lassen, mit der ich mir einen Tag später in den Arm geschnitten habe. Frag mich nicht wieso. Ich hatte tausend Gründe, aber als Lucas mich dabei gefunden hat und mich mit diesem einen Ausdruck in den Augen angesehen hat, hab ich mir geschworen, mir selbst nie wieder was zu tun. Ob nun durch Gewalt oder Drogen. Ich wollte diesen Blick nie wieder an ihm sehen. Er hat mich nie für etwas verurteilt, egal ob für meine Drogensucht oder andere Taten, aber als er mich so gesehen hat, hat er mich so vorwurfsvoll angesehen, dass es mir fast das Herz gebrochen hat. Er ist mit allem klargekommen, nur nicht damit, dass ich mich selbst gehasst hab. Und dann hab ich gelernt, dass ich es wert bin geliebt zu werden".
Dans Finger wandert von meiner Narbe zu meinem Kinn, um mein Gesicht hochzudrücken, sodass ich ihn ansehen muss.
„Ich bin da genau Lucas' Meinung", meint er fest, was mich zum Lächeln bringt.Kurzerhand umarme ich Dan.
Er zieht mich auf seinen Schoß und ich vergrabe mein Gesicht in seinen langen Haaren.„Bitte tu dir nie wieder weh, okay?" flüstert er.
Ich nicke und spüre im nächsten Moment seine Lippen kurz an meinem Hals.
Es ist nur der Hauch einer Berührung und trotzdem schließe ich die Augen und atme hektisch.Was ist das denn für eine Wirkung, die er auf mich hat?
Bin ich echt aufgeregt?
Was bin ich? Ein verknallter Teenager oder was?„Cas, kannst du mir was versprechen?", murmelt Dan.
„Was denn?", frage ich.
Er seufzt. „Versprich, mich niemals zu hassen"
Ich lache unsicher. „Wieso sollte ich das denn tun?"
„Versprich es einfach" Er schiebt mich leicht von sich runter, sodass er mich eindringlich ansehen kann.
Und dann verspreche ich es ihm, ohne zu wissen, wie schwer es wird, das einzuhalten.★ ★ ★
Eine Stunde später sitzen wir im Wohnzimmer auf der Couch und ziehen uns meinen Lieblingsfilm rein. Burlesque. Viele halten diesen Film, mit Christina Aguilera für anstößig und vulgär, aber ich halte ihn für das Gegenteil. Elegant und anmutig.
Mein Kopf hat es sich auf Dans Schoß gemütlich gemacht und er streicht mir durch die Haare, während er zum Bildschirm sieht.
„Der Film ist so langweilig", beschwert er sich immer wieder, aber ich überhöre es einfach, immerhin bleibt er ja hier sitzen also kann der Film gar nicht so schlecht sein.
Bei meiner Lieblingsstelle muss ich einfach mitsprechen. „Ach übrigens ich hab mit Vince geschlafen, direkt nach euren Flitterwochen" Dabei verstelle ich meine Stimme total, weshalb Dan lachen muss, während er zu mir runter sieht. „Du bist doch verrückt"
„Das hat du aber schnell festgestellt, du Leuchte", gebe ich zurück.Normalerweise hasse ich e, wenn man mich als verrückt bezeichnet, weil es leider der Wahrheit entspricht, nur bei Dan stört es mich nicht.
Bei ihm klingt es irgendwie fast wie ein Kosename.
So... liebevoll.
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Vertrauen ist auch nur ein Fehler (boyxboy)
Teen FictionEinen Job, der Spaß macht, eine eigene Wohnung, keine Geldsorgen und komplett zufrieden mit den sozialen Kontakten. So sieht Castors Leben aus. Auf den ersten Blick beneidenswert, wäre da nicht die Sache, die sich hinter der ersten Schicht verdeckt...