- Lola -
„Lola Sommer, bitte melden Sie sich umgehend im Büro der Direktorin. Ich wiederhole, Lola Sommer, bitte melden Sie sich umgehend im Büro der Direktorin."
Genervt über die Durchsage aus den kratzenden Lautsprechern verdrehe ich die Augen und lehne mich noch weiter in meinem Stuhl zurück, während sich die anderen aus meiner Klasse nach und nach zu mir umdrehen. In ihren Blicken mischen sich Verwirrung, Neugier und Schadenfreude. Natürlich.
„Schon am ersten Tag nach den Ferien wieder zur Direktorin?", höre ich die spitze Stimme meiner Englischlehrerin Frau Arndt fragen, die mich abfällig mit einer gehobenen Augenbraue mustert.
Lässig zucke ich mit den Schultern und stehe langsam auf.
„Was kann ich dafür, dass ich so beliebt bin?", entgegne ich und greife nach meiner Tasche unter dem Tisch. Mit einer gekonnten Bewegung werfe ich mir die Tasche über die Schulter, vergrabe meine Hände in den Taschen meiner Lederjacke und schlendere zur Klassenzimmertür.
Den Weg zum Direktorenzimmer hätte ich vermutlich auch im Vollrausch und mit verbundenen Augen gefunden, so oft wie ich in den letzten Jahren dorthin bestellt worden war. Insofern achte ich nicht wirklich auf die verschiedenen Flure und Korridore und bin fast schon überrascht, als ich plötzlich vor der Tür stehe, die in das Sekretariat und damit in das Vorzimmer von Direktorin Berger führt.
„Klopfen hast du in den letzten sechs Wochen auch nicht gelernt, oder?", fragt Tina und zwinkert mir zu, als ich die Sekretariatstür öffne.
„Wieso soll ich klopfen? Du hast doch gerade die Durchsage gemacht und gewusst, dass ich vorbeikomme", erwidere ich und grinse sie schief an, woraufhin sie gespielt die Augen verdreht.„Und vorlaut bist du auch immer noch."
„Gib's zu, du hast es vermisst."
„Vielleicht ein bisschen."
„Dachte ich mir", sage ich und grinse noch breiter, „wie war's in Venedig?"
„Oh, einfach nur wundervoll!" Tina steht von ihrem Platz vorm Computer auf und lehnt sich an den schmalen Tresen, hinter dem ihr Arbeitsbereich liegt, während sie mit ihren Händen beim Reden gestikuliert. „Die Kinder hatten so viel Spaß mit ihren Cousins und Cousinen, das Wetter war ein Traum und meine Mama hat uns mit den allerfeinsten selbstgemachten Gerichten verwöhnt. Ich wäre am liebsten gar nicht mehr zurückgefahren!"
„Das glaube ich d-..."
Ich verstumme, als mit einem Mal die Tür zum Nebenzimmer schwungvoll geöffnet wird und Direktorin Berger im Türrahmen erscheint.
Ich muss zugeben, dass sie für eine Direktorin noch relativ jung ist, vielleicht Anfang oder Mitte dreißig. Nicht zu vergleichen mit dem alten Direktor Steiner, der letztes Jahr nach seiner Pensionierung vermutlich direkt ins Altenheim verlagert worden ist. Aber wenigstens hat er mich nicht gefühlt jede Woche zu sich ins Büro bestellt, sondern nur jede zweite.
Direktorin Berger hat ihr dunkles Haar stets in einem strengen Dutt hochgesteckt und schaut mich auffordernd und mit vor der Brust verschränkten Armen an.
„Wenn du fertig bist, dich mit meiner Vorzimmerdame über die Ferien auszutauschen, würde ich es begrüßen, wenn du zu mir ins Büro kommen würdest, Lola."
Dabei wirft sie Tina einen ernsten Blick zu, die sich schuldig auf die Unterlippe beißt und sich zurück auf ihren Platz setzt.
„Hey, kein Grund eifersüchtig zu werden."
„Eifersüchtig?"
„Klar", vielsagend zwinkere ich Direktorin Berger auf ihren verwirrten Blick hin zu, „Sie haben es in den letzten Wochen doch bestimmt vermisst, mir auf die Nerven zu gehen."
„Schließ nicht von dir auf andere", entgegnet Direktorin Berger knapp und bedeutet mir mit einer Handbewegung ihr in ihr Büro zu folgen.
Gemächlich schlendere ich zu ihr und muss ein Lachen unterdrücken, als ich meinen Mathelehrer in dem Büro stehen sehe. Das ist also der Grund.
Als ich das Büro betrete, verfinstert sich der Ausdruck auf Herrn Lüdenscheids Gesicht sofort, der mich mit seinem schmalen Bart am Kinn immer an einen Ziegenbock erinnert.
„Du!", knurrt er und seine Augen verformen sich zu schmalen Schlitzen, „weißt du eigentlich, was du angerichtet hast?!"
„Mäßige dich, Bruno", sagt Direktorin Berger und schließt die Tür hinter sich, bevor sie mich zu dem freien Stuhl vor ihrem Schreibtisch schiebt, neben den ich meine Tasche fallen lasse.
„Du hast gut reden, Mona!", schnaubt Herr Lüdenscheid, „es ist ja nicht dein Auto!"
Ich beiße mir auf die Unterlippe, um mir weiter das Lachen zu verkneifen und bemühe mich um einen ratlosen Gesichtsausdruck.
„Schau sie dir doch an, Mona! Sie freut sich gerade doch insgeheim richtig!"
„Worüber soll ich mich denn freuen?"
„Und wie unschuldig Sie sich jetzt gibt!"
„Bruno, bitte beruhige dich", sagt Direktorin Berger und setzt sich auf den breiten Stuhl hinter ihrem Schreibtisch. Dann schaut sie wieder zu mir. „Kannst du dir vorstellen, weshalb ich dich hierher bestellt habe?"
Ich zucke mit den Schultern. „Wie gesagt, außer dass Sie mich vermisst haben könnten, würde mir kein Grund einfallen."
„Oh bitte."
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Herr Lüdenscheid spöttisch die Augen verdreht. Ich kann es ihm nicht übel nehmen, immerhin würde ihn mit Sicherheit niemand vermissen. Kein Wunder, dass er sich das dann nicht vorstellen kann.
„Du hast also nicht mitbekommen, was heute Morgen auf dem Lehrerparkplatz passiert ist?", fragt Direktorin Berger weiter.
„Was soll ich denn bitte auf dem Lehrerparkplatz?"
Herr Lüdenscheid schnaubt wütend. „Antworte doch einfach auf die Frage!"
„Bruno!"
„Na immerhin weiß ich jetzt, wer von uns keine entspannten Ferien hatte", sage ich und lehne mich im Stuhl zurück, während Herr Lüdenscheid von seinem Stuhl aufspringt.
Wenn Direktorin Berger nicht da gewesen wäre, hätte ich mich garantiert über seinen hochroten Kopf und das erboste Schnauben kaputt gelacht.
„Oh, ich hatte entspannte Ferien! Zumindest so lange, bis ich in der ersten großen Pause zu meinem Auto gegangen bin und das da gesehen habe!"
Mit einer energischen Bewegung deutet zum Fenster, von dem aus man unter anderem auf den Lehrerparkplatz schauen kann. Auch wenn ich weiß, was ich dort sehen würde, schaue ich möglichst unbeeindruckt von ihm zu Direktorin Berger, die mit einer auffordernden Kopfbewegung ebenfalls zum Fenster deutet.Mit einem theatralischen Seufzer stehe ich auf und gehe mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen zum Fenster. Erst als ich rausblicke und das Auto von Herrn Lüdenscheid sehe, kann ich mein Lachen nicht mehr zurückhalten und pruste los.
„Lola!"
„Siehst du, Mona! Ich habe doch gleich gesagt, dass sie es war! Sie und ihre nichtsnutzigen Freunde! Ich wusste es!"
„Und ich wusste nicht, dass Sie Ihr Auto in den Ferien umlackiert haben", entgegne ich und lache weiter. „Pinke und orange Flecken auf rotem Lack sind auch eine interessante Kombi. Setzt auf jeden Fall ein Statement."
„Ihr wart das!"Herr Lüdenscheids Stimme schrillt, während ich mich etwas beruhige.
„Ach ja? Glauben Sie wirklich, wir würden Ihnen neben dieser modischen Verzierung auch noch zusätzlich alle Scheiben einschlagen, wie es da gemacht worden ist?"
„Ja!"
„Hmm" Mit einem gespielt nachdenklichen Gesichtsausdruck kratze ich mich am Kinn. „Stimmt, aufgrund unserer vielen Auseinandersetzungen würde das schon durchaus zu mir und meinen Freunden passen."
„Also gibst du es zu?!"
„Gegenfrage. Können Sie es beweisen?"
„Wie soll ich das denn bitte beweisen können?! Ich habe es doch erst in der Pause gesehen!"
„Na ja", ich zucke mit den Schultern, „dann hat sich die Angelegenheit ja erledigt. Ihre Aussage steht gegen meine und die meiner Freunde."
Ich sehe, wie sich die Hände von Herrn Lüdenscheid zu Fäusten ballen und bin mir sicher, dass er mir gerade am liebsten eine scheuern würde. Vielleicht würde ich ihn im Laufe des Schuljahres auch noch dazu bringen, dann würde er endlich von der Schule verschwinden.
Oder angezeigt werden.
Oder in den Knast kommen.
Ich bin da nicht wählerisch.
In diesem Moment steht Direktorin Berger auf.„Ich glaube, es ist das Beste, wenn du jetzt erst mal den Raum verlässt, um dich zu beruhigen, Bruno. Bevor noch etwas passiert, was wir alle nicht möchten."
Ihr ist wahrscheinlich auch aufgefallen, dass der Typ mich am liebsten zu Brei verarbeiten würde.
Herr Lüdenscheid schaut zu Direktorin Berger und nochmal kurz zurück zu mir, bevor er aus dem Büro stürmt und die Tür laut hinter sich zuknallt.
„Was halten Sie davon, wenn Sie zu Beginn des Schuljahres einen kostenlosen Anti-Aggressionskurs für alle Lehrer anbieten würden?", frage ich und lehne mich gegen die Fensterbank.
„Sehr witzig", sagt Direktorin Berger und geht um den Schreibtisch herum, bis sie mit verschränkten Armen vor mir stehen bleibt. „Jetzt mal Hand aufs Herz, Lola. Habt ihr das Auto von Herrn Lüdenscheid derart verunstaltet."
„Verunstaltet klingt so negativ."
„Ich habe nicht nach der Definition oder Einschätzung des Begriffs gefragt, Lola. Ich habe gefragt, ob ihr das Auto verunstaltet habt."
„Was denken Sie denn?", frage ich und verschränke ebenfalls die Arme vor der Brust.
„Ich befürchte, dass Herr Lüdenscheid Recht hat."
„Sie befürchten, dass er Recht hat?" Irritiert hebe ich eine Augenbraue. „Wieso denn befürchten?"
„Weil ich gehofft habe, dass du mittlerweile etwas aus deinen vergangenen Aktionen gelernt hast. Gerade jetzt, wo du volljährig bist."
„Und das war die abschließende Moralpredigt", sage ich und verdrehe genervt die Augen, „kann ich jetzt gehen? Wenn ich unser letztes Gespräch noch richtig im Kopf habe, war es Ihnen doch so mega wichtig, dass ich so wenig Unterricht wie möglich verpasse und nicht mehr so viel schwänze."
„Sicher, geh ruhig zum Unterricht. Aber heute Nachmittag erwarte ich dich zum Nachsitzen."
„Nachsitzen?! Aber warum?! Ich hab doch nichts gemacht!"
„Das sehe ich anders. Während des Gesprächs warst du ziemlich respektlos gegenüber Herrn Lüdenscheid und hast ihn absichtlich provoziert. Und du solltest wissen, dass ich ein derartiges Verhalten von Schülern nicht dulde."
„Aber es ist der erste Tag nach den Ferien!"
„Das ist keine Entschuldigung für dein Verhalten."
„Aber..."
„Kein aber mehr, Lola. Geh jetzt bitte zurück zum Unterricht."
Wütend stapfe ich zu meiner Tasche, schwinge sie mir über die Schulter und reiße die Bürotür auf.
„Das ist so unfair!", schnaube ich und knalle die Tür wieder hinter mir zu, bevor ich aus dem Sekretariat stürme, ohne mich noch einmal umzusehen.
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Liebe Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 1) (girlxgirl; teacherxstudent)
RomanceSie wissen nicht, was sie voneinander halten sollen. Lola Sommer, die durch ihre rebellische und vorlaute Art in der Schule nur Ärger macht und Zoe Jacobi, die ihre Stelle als neue Französischlehrerin an Lolas Schule antritt. Beide haben Gründe, den...