# 19

5.3K 295 12
                                    

- Lola -

Ein letztes Mal überfliege ich den Text, den ich zur letzten Klausuraufgabe geschrieben habe, bevor ich mit einem leichten Seufzer den Stift zur Seite lege.
Ich muss zugeben, dass ich mir schon lange nicht mehr so viel Mühe bei einer Klausur gegeben habe. Meine Grammatik ist an manchen Stellen zwar eine absolute Katastrophe, aber es ist auf jeden Fall eine Steigerung zu dem fast leeren Blatt, was ich normalerweise abgebe.
"So, ihr Lieben. Noch fünf Minuten und ihr habt es geschafft."
Während ich höre, wie um mich herum die Stifte der anderen schneller über das Papier kratzen, hebe ich meinen Kopf und schaue zu Frau Jacobi, die sich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen das Pult lehnt und ihren Blick über die Klasse schweifen lässt.
Geduldig warte ich und schaue weiter in ihre Richtung, bis ihr Blick endlich an mir hängen bleibt.
Für einen Moment scheint sie mit sich zu hadern, ob sie wieder wegschauen soll, doch mein neutraler Gesichtsausdruck hindert sie daran, bis sie mir schließlich einen leicht fragenden Blick zuwirft.
Ein paar Augenblicke lang schaue ich sie einfach nur an, bis sich mein Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen hebt und ich ihr verschwörerisch zuzwinkere.
Prompt sehe ich, wie sich Frau Jacobis Körper verspannt und sie nach mehrfachem Blinzeln wieder zur Seite schaut. Trotzdem sehe ich, wie sie schwer schluckt und sich eine leichte Röte über ihren Wangen ausbreitet.
Ich beiße mir auf die Unterlippe, um ein leichtes Lachen zu unterdrücken und schaue wieder auf meine Klausur.
Seit diesem Moment zwischen uns sind mittlerweile eineinhalb Wochen vergangen.
Eineinhalb Wochen, in denen Frau Jacobi so getan hat, als hätte es diesen Moment nicht gegeben und in denen sie versucht hat, so normal wie möglich mit mir umzugehen. Das bedeutet allerdings nicht, dass sie in dieser Zeit besonders gut darin gewesen ist, sich auch dementsprechend zu verhalten.
Oft genügt schon ein einzelner Blick, eine kurze Berührung oder eine beiläufige Bemerkung von mir, um sie verlegen zu machen. So wie gerade.
Und ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich das in den letzten Tagen nicht vermehrt ausgenutzt habe. Auch so wie gerade.
Aber ich hatte mir ja vorgenommen, dass ich sie diesen Moment zwischen uns nicht so schnell vergessen lasse...
"Die Zeit ist um."
Ich schaue wieder auf und sehe, dass Frau Jacobi sich nun hinter ihr Pult gestellt hat und die anderen Schüler auffordernd mustert. Zwar schaut sie dabei absichtlich nicht in meine Richtung, aber ich freue mich dafür über die immer noch bestehende Röte auf ihren Wangen.
"Bitte schreibt euren letzten Satz, packt eure Sachen zusammen und legt eure Klausur auf dem Weg nach draußen hier vorne bei mir ab." Dabei klopft sie leicht auf die Oberfläche ihres Pults.
Während die anderen Schüler hastig noch ein paar letzte Worte auf ihr Blatt kritzeln, nur um im Anschluss hastig ihre Sachen in ihre Taschen zu stopfen und nach vorne zu eilen, lasse ich mir beim Einpacken Zeit.
Als schließlich der letzte Schüler aus meinem Kurs den Klassenraum verlassen hat, stehe ich langsam von meinem Stuhl auf und schlendere mit meiner Tasche über der Schulter nach vorne zu Frau Jacobis Pult, die mich aufmerksam mustert.
"Und?", fragt sie und hebt leicht eine Augenbraue, "wie war's?"
Ich zucke mit den Schultern und lege meine Klausur auf den Stapel zu den anderen.
"Na ja, es ist kein Meisterwerk. Aber definitiv besser als das, was ich in den letzten Jahren abgegeben habe."
"Hauptsache du hast dein Bestes gegeben", sagt Frau Jacobi, wobei ein feines Lächeln ihre Lippen umspielt. Dann greift sie nach ihrer Tasche und stellt sie mit einer eleganten Bewegung auf die Oberfläche des Pults.
"Ja, vielleicht", sage ich und seufze leicht, während ich erneut mit den Schultern zucke, "ich meine, es ist schwer sein Bestes zu geben, wenn man ständig abgelenkt wird."
"Abgelenkt?" Etwas verwirrt runzelt Frau Jacobi die Stirn. "Inwiefern?"
Anstatt ihr zu antworten, gleitet mein Blick langsam über ihren Körper nach unten, nur um genauso langsam wieder nach oben zu ihrem Gesicht zu wandern. Dort angekommen stelle ich mit geheimer Zufriedenheit fest, dass sich in dieser Zeit die Röte auf ihren Wangen nochmal intensiviert hat.
"Ähm..." Frau Jacobi räuspert sich und unterbricht unseren Augenkontakt, um ihren Blick auf ihre Tasche zu richten, die sie fest umklammert. "Ich...ich denke jedenfalls schon, dass du die Klausur gut gemeistert haben wirst. In der vergangenen Nachhilfestunde hast du nochmal erhebliche Fortschritte gemacht."
"Stimmt", sage ich gedehnt und greife nach dem Klausurstapel, während Frau Jacobi etwas nervös an dem Verschluss ihrer Tasche hantiert.
Als sie ihn schließlich geöffnet hat, schaut sie wieder auf, nur um den Stapel in meinen Händen zu sehen, den ich ihr entgegenhalte. Sie zögert einen Moment, bevor sie danach greift.
Doch anstatt den Stapel loszulassen, als sich ihre Finger um die Blätter schließen, halte ich den Stapel weiter fest, was sie dazu bringt mich wieder anzusehen.
"Ich meine", fahre ich fort, während ich ihr tief in die Augen schaue, "trotz dieser diversen...Gründe...wegen denen Sie ständig wieder zurück ins Lehrerzimmer mussten, war die letzte Nachhilfestunde durchaus produktiv. Wie gut, dass Sie zufälligerweise die vielen zusätzlichen Übungsaufgaben dabei hatten, mit denen ich mich in dieser Zeit beschäftigen konnte."
Ich sehe, wie Frau Jacobi leicht zusammenzuckt, so als wäre sie bei etwas ertappt worden, und im Anschluss schwer schluckt. Dann senkt sie ihren Blick und zieht die Klausurstapel geschickt aus meinen Händen, um ihn in ihrer Tasche zu verstauen.
Ich hingegen spüre, wie sich ein amüsiertes Lächeln auf meinen Lippen ausbreitet.
Hab ich doch gewusst, dass sie das mit Absicht gemacht hat.
Es ist fast schon süß, was sie sich alles einfallen lässt, nur um nicht allzu lange mit mir alleine zu sein.
Auch diese Situation hier scheint sie einiges an Selbstbeherrschung zu kosten...
"Wie ich schon sagte", erwidert Frau Jacobi nach kurzem Räuspern, "du hast nochmal erhebliche Fortschritte gemacht. Insofern bin ich durchaus zuversichtlich, dass du die Klausur gut bearbeiten konntest."
"Dann vertraue ich mal auf Ihr Urteil", sage ich und lächle sie weiter an. "Wie sieht es denn mit der morgigen Nachhilfestunde aus?"
"Das kommt darauf an", sagt Frau Jacobi und verschließt ihre Tasche wieder, wobei sie ihren Blick immer noch gesenkt hält. "Ich versuche, deine Klausur heute Nachmittag zu korrigieren, damit wir sie morgen zusammen besprechen können. Sollte ich es allerdings zeitlich nicht schaffen, werde ich mit dir schon mal die Anfänge des neuen Lernstoffs durchgehen. Die neue Lektion ist ein bisschen komplizierter, also könnte das eventuell eine kleine Herausforderung darstellen."
"Oh, keine Sorge. Ich liebe Herausforderungen. Egal ob klein oder groß."
Mit einer vielsagend gehobenen Augenbraue mustere ich Frau Jacobi erneut, während diese langsam von ihrer Tasche zu mir schaut. Für einen Moment genieße ich noch den Blick aus ihren unergründlichen braunen Augen, bevor ich meine Tasche über meiner Schulter zurechtrücke.
"So, ich muss dann auch mal los. Rebecca, eine Freundin von mir, wollte mir nochmal bei den Mathehausaufgaben helfen, damit Herr Lüdenscheid mich in der nächsten Unterrichtsstunde nicht allzu sehr fertig machen kann." Lachend zwinkere ich Frau Jacobi zu, was diese erneut leicht zusammenzucken lässt. "Also, bis morgen!"
Grinsend drehe ich mich um und gehe mit leichten Schritten zur Tür.
Ich muss mich nicht umschauen, um zu wissen, dass Frau Jacobi mir nachsieht.

- Zoe -

Als Lola aus dem Klassenraum verschwunden ist, atme ich die Luft, die ich zuvor unbewusst angehalten hatte, wieder aus. Das erhoffte befreite Gefühl stellt sich dabei allerdings nicht ein.
Mit einem frustrierten Stöhnen lasse ich mich auf den Stuhl hinter dem Pult fallen und vergrabe mein Gesicht in beiden Händen.
Seit über einer Woche versuche ich mir Lola aus dem Kopf zu schlagen, mit dem Ergebnis, dass sie sich immer mehr darin festigt. Dabei habe ich wirklich alles getan, um so normal wie möglich mit ihr umzugehen.
Ich habe es vermieden, sie im Unterricht allzu lange anzusehen.
Ich habe unsere Gespräche auf einem üblichen Lehrerin-Schülerin-Niveau gehalten und habe versucht, ihre Anspielungen dabei zu ignorieren.
Ich habe sogar versucht, die Allein-Zeit mit ihr während der Nachhilfestunde zu verkürzen, indem ich unter verschiedenen Vorwänden immer wieder den Klassenraum verlassen habe, damit sich unsere Gespräche gar nicht erst in eine andere Richtung entwickeln können.
Und trotzdem schafft Lola es immer wieder, mich durch ihre ganzen Andeutungen, ihre verschwörerischen Blicke und ihr amüsiertes Lächeln vollkommen durcheinander zu bringen.
Wahrscheinlich hat sie insgeheim sogar Spaß daran...
Seufzend richte ich mich wieder auf und fahre mir mit beiden Händen durch die Haare, wobei ich die Augen  weiter geschlossen halte.
"Wenn das so weiter geht, bringt sie mich noch um meinen Verstand..."
"Ärger im Paradies?"
Erschrocken reiße ich die Augen auf und fahre herum, nur um zu sehen, wie Mona sich mit einem vielsagenden Grinsen und vor der Brust verschränkten Armen gegen den Türrahmen lehnt.
"Bist du bescheuert?!", fahre ich sie an, während ich meine Hand auf die Stelle presse, an der mein Herz gegen meinen Brustkorb hämmert. "Wieso schleichst du dich so an?!"
Immer noch grinsend hebt Mona beide Hände.
"Tut mir Leid Süße, aber was kann ich dafür, wenn du nicht auf mein Klopfen reagierst? Wobei du ja aber auch eindeutig gerade mit deinen Gedanken woanders warst..."
Das anzügliche Zwinkern und der neckende Unterton bringen mich zum Schlucken.
Hat sie das etwa gerade gehört?
"W-Wie meinst du das?", frage ich und ärgere mich über das Zittern in meiner Stimme.
"Ach, jetzt tu doch nicht so." Langsam schlendert Mona zu mir und lehnt sich mit einer gehobenen Augenbraue gegen mein Pult. "Ich freue mich doch, wenn dich jemand um deinen Verstand bringen kann."
Blöde Frage, natürlich hat sie es gehört...
"Sehr witzig", murmle ich und stehe wieder auf, um mir meinen Rock glatt zu streichen, in der Hoffnung dass Mona mir mein Unbehagen nicht anmerkt. Ihrem vielsagenden Blick nach zu urteilen könnte ich jedoch genauso gut hoffen, dass es trotz des strahlenden Sonnenscheins draußen gleich anfängt zu schneien.
"Geht es wieder um deine mysteriöse Unbekannte?"
Ich verdrehe die Augen. "Sie ist nicht meine mysteriöse Unbekannte."
"Stimmt. Unbekannt ist sie ja nur für mich."
Oh, wenn du wüsstest...
"Ich habe dir schon mehr als deutlich gesagt, dass ich darüber nicht sprechen möchte", sage ich, während ich meine Tasche schultere und mich wieder zu ihr drehe. "Und wenn ich mich recht erinnere, auch mehr als einmal."
"Ach, komm schon", sagt Mona und hakt sich bei mir unter, während sie mich zur Tür zieht, "jetzt sei doch nicht so langweilig. Gib mir irgendwas, womit ich arbeiten kann."
"Nein."
"Ihre Haarfarbe."
"Nein."
"Ihre Augenfarbe."
"Nein."
"Ihren Namen."
"Definitiv nicht!"
Schmollend schiebt Mona die Unterlippe vor, während ich meinen Arm aus ihrem Griff ziehe, um die Klassenzimmertür abzuschließen.
"Du bist echt spießig", murrt sie, hakt sich aber doch wieder bei mir unter, nachdem ich die Tür abgeschlossen habe und mit ihr den leeren Flur entlanggehe. "Dann sag mir wenigstens, warum sie dich um deinen Verstand bringt."
Nachdenklich kaue ich auf meiner Unterlippe.
"Sie...", ich zögere und versuche die richtigen Worte zu finden, "sie will...wir beide wollen mehr, aber ich...es geht einfach nicht."
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Mona mich nun etwas besorgt von der Seite mustert. "Weil du Angst hast?"
"Auch. Also, ein bisschen. Aber das ist nicht der Hauptgrund."
"Und was ist dann der Hauptgrund?"
Ich schüttle den Kopf. "Das kann ich dir nicht sagen."
"Kannst du nicht oder willst du nicht?"
"Beides."
Schweigend betrachtet mich Mona für einen Moment, bevor sie sich räuspert. "Sie ist...sie ist aber schon volljährig, oder?"
Prompt bleibe ich stehen und starre Mona an. "Natürlich! Also, ich gebe zu, dass sie etwas jünger ist, aber sie ist definitiv volljährig."
Ein entspanntes Lächeln breitet sich auf Monas Lippen aus, bevor sie mich weiterzieht.
"Dann, meine Liebe, sehe ich keinen Grund, der dich daran hindern könnte, dieser Frau näher zu kommen."
"Du kennst ja auch nicht den vollen Kontext", murmle ich und schaue auf den Boden, während Mona neben mir mit den Schultern zuckt.
"Das vielleicht nicht. Aber ich denke, dass du dir nicht von irgendwelchen Umständen die Chance nehmen lassen solltest, mit jemandem zusammen zu sein, für den du Gefühle hast und der dir auch offenbar gut tut."
Sie stupst mir leicht gegen die Schulter und lächelt mich aufmunternd an, während ich aufseufze.
Ob sie mir auch diesen Rat geben würde, wenn sie wüsste, um wen es sich handelt?

Liebe Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 1) (girlxgirl; teacherxstudent)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt