# 24

6.7K 332 63
                                    

- Lola -

Ich seufze und schaue durch die gläserne Scheibe der Balkontür nach draußen.
Danny hat Recht gehabt, als er behauptet hatte, dass der Balkon von Frau Jacobi riesig ist.
Bedingt dadurch, dass ihre Wohnung im obersten Stockwerk des Hauses liegt, ist auch der Balkon sehr großzügig geschnitten, wodurch er, in Kombination mit der gläsernen wandhohen Fensterreihe, die ihn vom angrenzenden Wohnzimmer trennt, fast schon einer kleinen Terrasse gleicht. Außerdem hat man von hier oben eine wunderbare Aussicht auf die umliegende Gegend, die um einiges beschaulicher und ruhiger wirkt als der Stadtteil, in dem Danny und ich leben.
Ich seufze erneut und verschränke die Arme vor der Brust.
Obwohl es schon weit nach Mitternacht ist, bin ich nicht müde.
Und das ist auch nicht besonders überraschend.
Das Gästezimmer, das Bett, die Sachen die ich trage...alles trägt diesen sanften süßlichen Duft von Frau Jacobi.
Und dadurch, dass ich beim Duschen ihr Shampoo und ihre Bodylotion verwendet habe, riechen meine Haare und mein Körper nun auch noch nach ihr.
Wie soll ich da bitte zur Ruhe kommen?
Danny hat das natürlich nicht beeinflusst.
Er hat tief und friedlich geschlafen, als ich aus dem breiten Gästebett aufgestanden bin und mich aus dem Zimmer geschlichen habe. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass dieser Tag für ihn sehr aufregend gewesen sein muss.
Und für mich auch.
Auch wenn das bei mir noch ein paar andere Gründe hatte als bei ihm...
Ich spüre, wie sich meine Mundwinkel zu einem leichten Lächeln heben.
Auch wenn der Kuss spontan und impulsiv gewirkt hat...er ist von ihr ausgegangen. Ich habe ihn mit meiner Umarmung nicht mal unbedingt provoziert, weil sie mich zuvor schon von sich aus umarmt hatte.
Und dann diese vielen kleinen Gesten des Mitgefühls...
Das alles...den Kuss mit eingeschlossen...es schien fast so etwas wie eine Reihe von unterbewussten Handlungen gewesen zu sein, über die sie gar nicht nachdenken musste. Erst recht, wenn man bedenkt, wie überrascht sie über sich selbst nach dem Kuss gewesen ist.
Was wohl noch passiert wäre, wenn Danny nicht ins Badezimmer gekommen wäre...
Ich schüttle leicht den Kopf und atme tief durch.
Spekulationen haben noch nie etwas gebracht.
Aber auch wenn Frau Jacobi...Zoe...es wahrscheinlich nicht zugeben würde, wenn ich sie darauf anspreche, ist dort ein Teil in ihr, der mich genauso sehr will wie ich sie.
Alles, was sie braucht, ist ein kleiner Stoß in die richtige Richtung...
"Du bist ja noch wach."
Überrascht drehe ich mich um und muss schlucken, als ich Frau Jacobi im Türrahmen stehen sehe.
Das cremefarbene Weiß ihres Nachthemds, welches sowohl am Saum als auch am De­kolle­tébereich mit einem feinen Spitzenmuster verziert ist, knapp über ihren Knien endet und nur von zwei dünnen Trägern über ihren Schultern gehalten wird, strahlt mir in der Dunkelheit des Wohnzimmers förmlich entgegen.
Warum muss sie ausgerechnet so was zum Schlafen tragen?
Ich meine, normalerweise würde ich mich nicht beschweren, aber wenn sie erwartet, dass ich eine normale Unterhaltung mit ihr führe...
"Das sagt die Richtige", entgegne ich und drehe mich wieder um, bevor sie merkt, wie hemmungslos ich sie anstarre.
Das Geräusch tapsender Schritte verrät mir, dass Frau Jacobi auf mich zukommt, bis ich schließlich die Wärme spüre, die von ihr ausgeht, als sie neben mich tritt.
"Machst du dir Gedanken?", fragt sie und betrachtet mich von der Seite, während ich weiter nach draußen schaue und versuche, mich auf ihre Frage zu konzentrieren.
Dass sie jetzt so nah bei mir steht, macht die Aufgabe nicht gerade leichter.
"Könnte man so sagen", erwidere ich ausweichend und atme tief durch, in der Hoffnung die aufsteigende Hitze in meinem Körper etwas abzukühlen.
"Über deine Mutter?"
Meine Mutter ist mit Abstand das Letzte, woran ich gerade denke!
"Nicht wirklich."
Trotz der Dunkelheit sehe ich aus den Augenwinkeln, wie Frau Jacobi mich mit einem amüsierten Lächeln mustert.
"Du bist ja sehr gesprächig."
"Was vielleicht daran liegt, dass es mitten in der Nacht ist."
"Gutes Argument." Sie betrachtet mich noch für einen Moment lächelnd, bevor ihr Gesichtsausdruck etwas ernster wird. "Darf ich...darf ich dich vielleicht etwas fragen?"
"Klar." Ein belustigtes Grinsen erscheint auf meinem Gesicht und ich drehe meinen Kopf nun doch zu ihr. "Solange ich nicht wieder irgendwelche französischen Verben konjugieren soll."
"Sehr witzig", entgegnet Frau Jacobi und verdreht, wenn auch lächelnd, die Augen. Dann nimmt ihr Gesicht wieder ernstere Züge an. "Ich habe mich nur gefragt...also...du hattest mir ja erzählt, dass Dannys Vater eure Mutter verlassen hat. Und eure Mutter scheint...nun ja, mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen zu haben."
"Das könnte man wohl so sagen", sage ich und lache kurz und trocken auf, "und was ist nun Ihre Frage?"
"Na ja", Frau Jacobi schaut für einen Moment zur Seite, bevor sie wieder zu mir sieht, "was ist mit deinem Vater? Besteht nicht die Möglichkeit, dass er sich um dich und Danny kümmern könnte?"
Mein Hals zieht sich zusammen und ich senke meinen Blick, während ich an dem zu langen Ärmel meines Oberteils zupfe. Frau Jacobi hatte Recht gehabt, als sie vermutet hatte, dass ihre Sachen mit etwas zu lang sein werden. Sowohl an den Armen als auch an den Beinen.
"Das geht nicht", murmle ich und seufze tief, als ich den fragenden Blick von Frau Jacobi bemerke, "mein Vater lebt nicht mehr."
"Oh, ich...Lola, das tut mir Leid. Ich wollte nicht..."
"Ist schon gut", sage ich und schaue mit einem beruhigenden Lächeln zu ihr, "Sie konnten es ja nicht wissen."
Dann schaue ich wieder nach draußen und kaue einen Augenblick lang auf meiner Unterlippe, bevor ich mich räuspere.
"Wissen Sie...meine Mutter ist mit mir schwanger geworden, als sie achtzehn war. Eigentlich wollte sie mich damals gar nicht haben und hat mich nur aus Liebe zu meinem Vater bekommen, weil er darauf bestanden hat, obwohl er auch nur zwei Jahre älter war als sie. Er selbst stammte aus einer ziemlich kaputten Familie und hatte sich deshalb immer früh Kinder und damit eine eigene Familie gewünscht. Auch wenn das für meine Mutter alles definitiv zu früh gewesen ist und es erklärt wahrscheinlich auch, warum wir bis heute ein so angespanntes Verhältnis zueinander haben. Aber sie hat ihn nun mal sehr geliebt und hätte wahrscheinlich alles für ihn getan. Und als er dann bei diesem Motorradunfall ums Leben gekommen ist...", ich verstumme kurz und spüre, wie Frau Jacobi mir mitfühlend mit einer Hand über die Schulter streicht, "das...das hat irgendetwas in ihr kaputt gemacht. Und ich glaube auch, dass sie den Tod meines Vaters nie ganz verkraftet hat. Irgendwann fing sie mit diesem phasenweisen Trinken an, wenn ihr alles zu viel wurde. Dann kam es zu diesem Vorfall als ich acht war und den Rest der Geschichte kennen Sie ja. Und als sie sich dann in Dannys Vater verliebt hat und dieser sie aber kurz nach Dannys Geburt verlassen hat, ist alles irgendwie wieder von vorne losgegangen, so wie damals nach dem Tod meines Vaters."
"Ich verstehe", sagt Frau Jacobi und streicht mir vorsichtig eine Haarsträhne hinters Ohr, "wie alt warst du, als dein Vater gestorben ist?"
"Etwa in Dannys Alter, vielleicht etwas jünger." Ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus und ich schaue wieder zu ihr. "Aber das heißt nicht, dass ich deshalb keine schönen Erinnerungen an meinen Vater habe. Im Gegenteil. Ich glaube, ich habe ein paar meiner schönsten Erinnerungen mit ihm. Er war wirklich toll! Er hat so viel mit mir unternommen und mir so viel beigebracht. Und er hat immer auf mich aufgepasst und dafür gesorgt, dass es mir gut geht. Ich habe wirklich gespürt, dass er mich sehr geliebt hat und er hat mir das auch jeden Tag aufs Neue gezeigt."
"Sieht so aus, als scheinst du viel von ihm zu haben", sagt Frau Jacobi und muss lächeln, als sie den verwirrten Ausdruck auf meinem Gesicht sieht. "Ich meine, wenn ich deine Beschreibung von deinem Verhältnis zu deinem Vater mit deinem Verhältnis zu Danny vergleiche, sehe ich da definitiv einige Überschneidungen."
Ich lache leicht und schaue etwas verlegen zur Seite.
"Ja, vielleicht."
"Oh, ganz sicher."
Lächelnd streicht Frau Jacobi mir behutsam mit einer Hand durch die Haare und ich spüre, wie sich mein Körper erneut erhitzt.
Ich schließe die Augen und lehne mich mit einem tiefen Seufzer in ihre Berührung, um sie vollends zu genießen. Gleichzeitig höre ich, wie Frau Jacobi ein kurzer, aber spitzer Laut entfährt.
Langsam drehe ich meinen Kopf in ihre Richtung...

Liebe Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 1) (girlxgirl; teacherxstudent)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt