# 15

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- Lola -

"Also, ich bin dafür, dass wir im Kurs eine Petition starten, dass du ab sofort den Matheunterricht übernimmst."
"Du übertreibst."
"Tu ich gar nicht. Herr Lüdenscheid könnte mir wahrscheinlich nicht mal anständig den Weg zur Sporthalle beschreiben, wohingegen du es schaffst, mir diesen uninteressanten und leider viel zu komplexen Kram einfach und verständlich zu erklären."
Ich sehe, wie Rebecca meinem Blick scheu ausweicht und sich stattdessen darauf konzentriert, ihre Mathesachen wieder ordentlich in ihrer Umhängetasche zu verstauen.
Nachdem sie mich aus dem Französischraum abgeholt hatte, haben wir uns in den abgetrennten Lernbereich der Schulbibliothek gesetzt, der am späten Nachmittag sowieso immer leer ist.
Dadurch hatten wir dann nicht nur die Möglichkeit uns an einen der Tische am Fenster zu setzen, sondern konnten uns auch ohne Nebengeräusche auf das neue Mathethema konzentrieren und in Ruhe darüber reden. Wobei Rebecca hier eindeutig den Teil mit dem Reden übernommen hat und ich versucht habe, einigermaßen mit ihren Gedankengängen mitzuhalten, was nach ein paar Wiederholungen aber auch geklappt hat.
Ehrlich gesagt glaube ich, dass Rebecca in meiner Gegenwart noch nie so lange am Stück geredet hat wie heute, was einerseits etwas ungewöhnlich ist, weil ich es eben nicht gewöhnt bin, mich aber andererseits auch irgendwie für sie freut.
Ich habe nämlich mittlerweile gemerkt, dass Rebecca ab und an Schwierigkeiten damit hat, ein Gespräch zu beginnen oder aufrechtzuerhalten, was zu ihrem schüchternen Auftreten noch zusätzlich beiträgt. Aber wenn es um ein Thema geht, in dem sie sich gut auskennt oder für das sie sich interessiert, wie zum Beispiel unser neues Mathethema, ist sie wie ausgewechselt und redet wie der metaphorische Wasserfall. Auch wenn mir immer noch schleierhaft ist, wie man sich für so ein Thema begeistern kann, aber darum geht es ja gerade nicht.
Dabei stört es Rebecca auch nicht, wenn ich sie hin und wieder mal für eine wiederholte Erklärung unterbrechen muss oder versuche, ihre Erklärung in eigenen Worten wiederzugeben.
Es erinnert mich fast ein bisschen an meine Nachhilfestunde mit Frau Jacobi...
Prompt spüre ich, wie beim Gedanken an sie ein Kribbeln meinen Körper durchströmt.
Ich weiß genau, dass ich es vorhin übertrieben habe. Eindeutig übertrieben.
Aber ich konnte einfach nicht anders.
Irgendwie hat es Spaß gemacht sie zur Abwechslung mal zu irritieren, was ihr sonst bei mir immer spielerisch gelingt.
Und ich hätte auch aufgehört, wenn sie anders auf meine Neckereien reagiert hätte...okay, wem will ich was vormachen? Wahrscheinlich hätte ich nicht aufgehört. Andere mit meinen ironischen Bemerkungen und provozierenden Kommentaren aufzuziehen gehört zu meinen Lieblingsbeschäftigungen.
Aber es war nicht nur diese anfänglich irritierte Reaktion von ihr, die mich dazu getrieben hat, sie noch etwas mehr zu ärgern. Es war diese leichte Nervosität in Kombination mit einer unterschwelligen Verlegenheit gewesen. Eine Kombination, die ich bisher nur ein einziges Mal bei ihr gesehen hatte, nämlich damals als ich diese Bemerkung zu ihrem Exmann und zu ihr gemacht habe.
Und, wenn ich ehrlich bin, wollte ich versuchen, genau diese Reaktion von ihr wieder zu erzeugen, was mir auch gelungen ist. Mehr als gelungen sogar.
Die Art, wie sie mich angesehen hat, als unsere Gesichter so nah beieinander waren, hat das mehr als deutlich gezeigt. Ihre braunen Augen waren mit einem Mal so viel dunkler als sonst und für einen Moment habe ich sogar gedacht, sie würde sich ebenfalls zu mir vorlehnen, als ich meinen Blick nicht von ihren Lippen abwenden konnte.
Wärme pulsiert durch meinen Körper und ich hole tief Luft, um mein klopfendes Herz wieder zu beruhigen.
Verdammt, diese Frau macht mich noch ganz verrückt!
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie ein Blatt Papier aus Rebeccas Unterlagen rutscht und auf den Boden segelt.
"Hey, warte", sage ich und lehne auf meinem Stuhl etwas nach unten vor, um so nach dem Papier unter dem Tisch zu greifen. Als ich es umdrehe, weiten sich meine Augen.
"Oh, wow! Hast du das gezeichnet?"
"Ähm, ja." Mit schüchternem Blick nimmt Rebecca mir das Blatt aus den Händen, auf dem eine überraschend realistische Bleistiftzeichnung von einem Blumenstrauß zu sehen ist. "Es ist Projekt für Kunst."
"Begabt in Mathe und kann auch noch zeichnen", sage ich und pfeife anerkennend, "ich bin beeindruckt."
"Na ja, eigentlich haben Kunst und Mathe auch ein bisschen was miteinander zu tun. Zum Beispiel was das räumliche Denken oder das Verhältnis von Proportionen betrifft."
"Das erklärt zumindest, warum ich nur Strichmännchen hinbekomme."
Das bringt Rebecca zum Lachen, während sie die Zeichnung zurück zwischen ihre Unterlagen schiebt.
"Danke nochmal, dass du dir die Zeit für mich genommen hast", sage ich, während wir beide aufstehen und die Stühle zurück an den Tisch schieben. "Ich hoffe, deine Eltern fragen sich jetzt nicht, wo du so lange geblieben bist und wenn doch, kannst du die Schuld ruhig voll und ganz auf mich schieben."
Grinsend zwinkere ich ihr zu, aber zu meiner Überraschung hält Rebecca ihren Blick etwas gesenkt und hantiert stattdessen an ihrer Tasche herum.
"Das ist schon okay. Meinen Eltern würde das sowieso nicht auffallen."
Auch wenn die Worte nur gemurmelt und etwas undeutlich sind, habe ich sie trotzdem verstanden.
"Wieso?", frage ich und runzle die Stirn, woraufhin Rebecca leise seufzt.
"Mein Vater ist ständig auf Geschäftsreisen, so wie jetzt zum Beispiel, und meine Mutter verbringt ihre Zeit entweder beim Friseur, beim Kosmetiker oder bei ihren nervigen Freundinnen. Ich glaube, sie würde nicht mal merken, wenn ich erst mitten in der Nacht nach Hause kommen würde."
"Oh", murmle ich und beiße mir auf die Unterlippe.
Sieht ganz so aus als wäre Rebecca nicht nur in der Schule alleine...
Ich überlege kurz und schaue dann mit einem Lächeln wieder zu ihr. "Also...da du dann ja gerade sowieso nichts zu tun hast...willst du den Nachmittag vielleicht mit mir und den Jungs bei Xenia verbringen?"
"Ich...ähm", Rebecca blinzelt etwas überrascht und lächelt dann vorsichtig. "Ja, gerne. Also, wenn ich euch nicht störe..."
"Tust du nicht", sage ich und schüttle den Kopf, "wie gesagt, die Jungs und ich freuen uns immer über Gesellschaft. Und Xenia auch."
"Und wer ist diese Xenia? Ist sie auch in unserer Stufe?"
"Nicht ganz", sage ich und muss lachen, während wir zu Tür der Schulbibliothek gehen.

Liebe Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 1) (girlxgirl; teacherxstudent)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt