- Lola -
"Bilde ich mir das eigentlich ein oder wird der Kerl von Woche zu Woche schlimmer?", seufze ich, kurz nachdem ich in sicherer Entfernung zu Herrn Lüdenscheids Klassenzimmer bin und mich nun zusammen mit Rebecca durch die Schülermenge auf dem Flur dränge.
"Er hatte doch schon immer was gegen dich", sagt Rebecca, die sich an einer Gruppe Fünftklässler vorbeischiebt und das Gesicht verzieht, als einer davon sie unsanft anrempelt. "Aber du hast Recht. Seine Laune war definitiv schon mal besser und er ist auch viel reizbarer als sonst."
"Da bin ich ja froh, dass mir das nicht als Einzige auffällt. Ich dachte schon, ich leide an Wahnvorstellungen", erwidere ich und schaue mit einem leichten Lachen zu Rebecca, als wir in einen etwas weniger belebten Gang einbiegen. "Danke nochmal übrigens. Du hast mir heute echt das Leben gerettet. Eigentlich sogar mehrfach."
"Ach Quatsch." Rebecca schüttelt den Kopf und streicht sich etwas verlegen eine rote Haarsträhne hinters Ohr, während sie meinem Blick ausweicht.
"Kein Quatsch", entgegne ich lachend und stoße sie im Gehen sanft mit meiner Schulter an. "Wenn du dich nicht zu mir gesetzt und mir nicht bei diesen ganzen Aufgaben geholfen hättest, wäre ich total aufgeschmissen gewesen."
"Wenn du das sagst." Rebecca weicht meinem Blick immer noch aus und räuspert sich stattdessen. "Wo war Rohan eigentlich?"
"Seine Cousine heiratet heute", sage ich und strecke mich kurz, bevor ich meine Hände in die Taschen meiner Lederjacke schiebe. "Rohan meint, dass es eine riesige Hochzeitsfeier werden wird mit unzähligen Gäste und so viel Essen, dass wahrscheinlich unsere ganze Schule davon satt werden könnte."
"Klingt vielversprechend", sagt Rebecca und hebt ihren Kopf, um mit einem angedeuteten Lächeln in meine Richtung zu schauen.
"Oh, das ist es. Glaub mir! Ich bin so neidisch auf Rohan, dass er die Chance hat, dieses ganze Essen dort zu probieren. Seine Mutter kocht fantastisch, genauso wie seine Oma und seine Tanten. Einer seiner Cousins will demnächst sogar ein kleines Restaurant eröffnen. Rohan hat mir da natürlich schon mal einen entsprechenden Freundesrabatt gesichert."
Ich zwinkere ihr vielsagend zu, woraufhin Rebecca lachen muss.
"Hört sich ganz so an, als wären Rohan und du immer noch unzertrennlich."
Grinsend zucke ich mit den Schultern.
"Was soll ich sagen, er ist nun mal mein bester Freund. Und Habib und Marvin sind mir in den letzten Jahren auch ziemlich ans Herz gewachsen. Ich würde sagen, dass wir alles in allem schon eine ganz gute Truppe sind."
"Das freut mich für dich, Lola. Wirklich."
Trotz ihres Lächelns schwingt eine gewisse Traurigkeit in Rebeccas Stimme mit.
Etwas irritiert über ihre Reaktion mustere ich sie für einen Moment und räuspere mich dann.
"Ähm, wie geht es denn Mia? Du hast doch noch bestimmt Kontakt zu ihr, oder?"
Rebeccas Mund wird etwas schmaler und die Traurigkeit in ihrer Stimme legt sich nun auch auf ihre Augen.
"Nicht wirklich", murmelt sie nach einer Weile, wobei sie meinem Blick erneut ausweicht. "Wir schreiben zwar noch ab und an, aber ansonsten haben wir kaum noch was miteinander zu tun."
"Oh, ich...das tut mir Leid, Rebecca."
Tröstend lege ich ihr eine Hand auf die Schulter, was Rebecca erneut dazu bringt, mich mit diesem leicht melancholischen Lächeln anzusehen.
Als Rebecca und ich noch in einer Klasse waren, waren sie und Mia beste Freundinnen. Ich würde sogar behaupten, dass Mia damals Rebeccas einzige Freundin gewesen ist. Zumindest habe ich sie nie mit anderen Schülern zusammen gesehen.
Kurz vor der Oberstufe haben sich dann jedoch Mias Eltern getrennt und Mia ist mit ihrem Vater in eine andere Stadt gezogen und hat dadurch natürlich auch die Schule gewechselt.
Ich gebe zu, dass ich das Ganze damals nicht richtig mitbekommen habe, weil ich gerade zu dieser Zeit sehr viel geschwänzt und mich auch nicht wirklich um die Geschehnisse in der Klasse gekümmert habe, aber ich kann mir gut vorstellen, dass diese Situation besonders für Rebecca sehr hart gewesen sein muss.
Und wenn ich jetzt genauer darüber nachdenke, habe ich Rebecca auch seit Mias Schulwechsel mit niemand anderem mehr aus der Stufe zusammen gesehen.
Ist...ist sie etwa seitdem alleine?
Mit nachdenklichem Blick mustere ich Rebecca, die inzwischen wieder vor sich auf den Boden schaut, während wir weiter den Flur entlang gehen.
"Also...", breche ich schließlich die Stille zwischen uns, "wenn du willst...ich meine...also, die Jungs und ich freuen uns immer über Gesellschaft. Habib kann mit seinen Sprüchen und schlechten Witzen zwar manchmal echt nerven, aber im Grunde ist er ein guter Kerl. Marvin ist auch ein echtes Goldstück und Rohan kennst du ja..."
Als ich wieder zu Rebecca schaue und sie mich aus geweiteten Augen und mit leicht geöffnetem Mund ansieht, halte ich inne und hebe kurz darauf beide Hände.
"Ich...ähm, also wie gesagt, es war nur eine Idee. Wenn du nicht willst, ist das echt kein Problem und..."
"Nein, nein...ich meine ja...also..."
Rebecca schüttelt den Kopf, so als würde sie ihre Gedanken sortieren, und holt anschließend tief Luft.
"Ich...", sie zögert noch für einen Moment und schaut dann auf, "das fände ich schön."
Ihr Lächeln ist zwar unsicher und ihre Wangen leicht gerötet, aber sie scheint sich wirklich zu freuen.
"Schön." Ich erwidere ihr Lächeln, wenn auch um einiges selbstsicherer und zwinkere ihr dann verschwörerisch zu. "Ich verspreche dir auch, dass wir dich nicht mit irgendwelchen mathematischen Problemen nerven werden."
Ich sehe, wie sich das Lächeln auf Rebeccas Lippen etwas festigt und belustigte Züge annimmt. "Komisch. Gerade bei deiner Begeisterung für Mathe hätte ich gedacht, dass das bei euch ein ständiges Thema ist."
"Oh ja, total", erwidere ich und muss lachen, "so gut wie ich unser aktuelles Thema beherrsche, kann ich mich bei Diskussionen darüber kaum zurückhalten."
"Gibt es da denn noch Dinge, die du nicht verstehst?"
Ihr überraschender Wechsel zu einem wieder etwas ernsteren Tonfall irritiert mich zwar, aber auch nur für einen Augenblick.
"Na ja, im Grunde genommen unsere ganzen Hausaufgaben", sage ich und zucke mit den Schultern, "wir haben das neue Thema ja erst in den letzten fünfzehn Minuten angefangen und Herr Lüdenscheids übereilte und mit Fachbegriffen ausgeschmückte Erklärungen sind für mich ungefähr so verständlich wie eine chinesische Bedienungsanleitung. Aber so schlimm ist es auch nicht, ich bin ja dran gewöhnt."
"Soll ich dir helfen?"
Überrascht hebe ich die Augenbrauen. "Bin ich dir nicht inzwischen schon genug auf die Nerven gegangen?"
Rebecca lacht und schüttelt mit dem Kopf. "Keine Sorge, ich sag dir schon Bescheid, sobald das der Fall ist." Dann wird ihr Lächeln wieder etwas unsicherer. "Das...das hat jetzt auch nichts mit deinem Vorschlag von vorhin zu tun. Nur falls du das denken solltest. Ich mache das wirklich gerne. Also, dir helfen."
"Ähm, okay", sage ich und bleibe stehen, bevor ich auf den Korridor rechts von mir deute, "ich habe in einem der letzten Räume dort gleich noch eine Stunde Französisch, aber danach hätte ich Zeit. Also, wenn das bei dir passt."
Rebecca nickt. "Ich habe jetzt auch nur noch eine Stunde Kunst. Sollen wir uns dann einfach nachher hier treffen?"
"Klingt gut. Also bis gleich, Frau Lehrerin."
Ich zwinkere Rebecca nochmal zum Abschied zu und gehe dann durch den Korridor in Richtung des Französischraums.
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Liebe Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 1) (girlxgirl; teacherxstudent)
RomanceSie wissen nicht, was sie voneinander halten sollen. Lola Sommer, die durch ihre rebellische und vorlaute Art in der Schule nur Ärger macht und Zoe Jacobi, die ihre Stelle als neue Französischlehrerin an Lolas Schule antritt. Beide haben Gründe, den...