# 65

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- Lola -

Schon als ich die Tür zu unserer Wohnung aufschließe und anschließend aufdrücke, dringt mir ein angenehmer Duft entgegen, dem ich nach einem kurzen erstaunten Blinzeln in die Küche folge.
Konnte das...?
War das etwa...?
Tatsächlich!
Mit vor Überraschung gehobenen Augenbrauen bleibe ich im Türrahmen zur Küche stehen und sehe meiner Mutter zu, die am Herd steht und in einigen Töpfen rührt. Dabei summt sie leise die Melodie eines Liedes mit, welches aus dem Radio dringt, und sie scheint so in ihre Arbeit vertieft zu sein, dass sie meine Anwesenheit gar nicht bemerkt.
Immer noch etwas erstaunt schnuppere ich erneut.
Was auch immer meine Mutter da genau zubereitet, es riecht gut.
Nicht verbrannt, nicht einigermaßen essbar, sondern wirklich gut.
Wow...was so ein paar Übungswochen im Kochen doch bewirken können...
Als sie mich nach einer ganzen Weile immer noch nicht bemerkt, räuspere ich mich, was sie kurz zusammenzucken und dann mit großen Augen zu mir sehen lässt.
"Lola!"
Sofort dreht meine Mutter das Radio leiser, stellt die Herdplatten herunter und wischt sich ihre Hände an einem Küchentuch ab, bevor sie sich zu mir wendet und mit langsamen, fast schon vorsichtigen Schritten auf mich zutritt.
"Da...da bist du ja wieder", murmelt sie, nachdem sie vor mir stehen geblieben ist und immer wieder nervös ihre Hände ineinander verschränkt und kurz darauf wieder voneinander löst.
"Ja...da bin ich wieder", sage ich und atme tief durch, während ich meine Mutter mit leicht schiefgelegtem Kopf betrachte, "ich schätze mal, du weißt, wo ich eben gewesen bin und stellst mir deshalb keine Fragen, oder?"
Wie ertappt zieht meine Mutter den Kopf zwischen die Schultern, bevor sie diese wieder strafft und sich etwas aufrichtet.
"Ja...ich...das weiß ich", sagt sie und räuspert sich, "Direktorin Berger hatte mich gestern noch spätabends angerufen und mir gesagt, dass sie für heute ein Gespräch für dich an einer anderen Schule organisiert hätte und dass sie dich im Laufe des Vormittags dazu abholen würde und..."
"...du hast dich nach ihrem Wunsch gerichtet und mir nichts davon gesagt, damit ich in der Zwischenzeit nicht irgendeine Dummheit mache oder mich weigern werde, zu dem Gespräch zu gehen."
Die Augen meiner Mutter weiten sich vor Verblüffung. "Wieso fragst du mich denn, wenn du schon alles weißt?"
"Ich weiß ja auch nicht alles", erwidere ich und zucke mit den Schultern, "Direktorin Berger hatte mir nur gesagt, dass du von dem Gespräch wüsstest und ich dir deshalb keine Notiz oder etwas ähnliches hinterlassen müsste, damit du weißt, wo ich bin. Wobei ich zugeben muss, dass es mich nicht so sehr überrascht hat, dass du von Direktorin Bergers Vorhaben wusstest, sondern mehr, dass Direktorin Berger von Herrn Lüdenscheids Erpressung wusste."
Ein wenig schuldbewusst lässt meine Mutter ihren Blick zur Seite gleiten und kaut auf ihrer Unterlippe, während sie nervös von einem Fuß auf den anderen tritt, bis sie schließlich mit einem tiefen Seufzer den Kopf sinken lässt.
"Ich...es...es tut mir Leid, Lola. Ich weiß, dass du eigentlich Stillschweigen über diese Erpressung bewahren solltest und nicht einmal mir davon hättest erzählen dürfen, aber du...du warst so traurig...und verzweifelt...und ich...ich wollte dir einfach helfen...aber ich wusste, dass ich es nicht alleine können würde. Und da mir deine Zoe ihre Nummer gegeben hat, damit ich sie anrufen kann, wenn du zu Hause bist, habe ich das auch gemacht...und sie war so aufgelöst über dein Verhalten am Hafen...sie hat nicht verstanden, warum du das getan hast...und da...da konnte ich diese Erpressung einfach nicht mehr für mich behalten...und ich dachte, wenn mir jemand helfen würde, dann deine Zoe. Glaub mir, ich wusste nicht, dass Direktorin Berger zu diesem Zeitpunkt ebenfalls anwesend war und ich hätte es dann auch bestimmt nicht gesagt...obwohl es ja letztendlich Direktorin Berger gewesen ist, die die rettende Idee gehabt und ihre Kontakte spielen lassen hat. Aber ich...also...ich kann es trotzdem verstehen, wenn du jetzt wütend auf mich bist...oder mir nicht mehr vertraust. Dazu hättest du jedes Recht...ich meine, ich habe dir schließlich versprochen, diese Erpressung für mich zu behalten...und...das habe ich nicht getan."
Gerade bei den letzten Sätzen ist die Stimme meiner Mutter immer schwächer und unsicherer geworden, genauso wie sie sich immer noch nicht traut, ihren Kopf wieder zu heben.
Ich seufze leise, während ich sie betrachte, bevor ich mit einem Räuspern meine Schultern straffe.
"Ich...ich muss zugeben, dass ich zuerst wirklich ziemlich wütend auf dich gewesen bin. Du hast schließlich selber gesagt, dass du mir versprochen hattest niemandem etwas zu verraten und du hast es trotzdem weitergesagt...und dann auch noch Zoe und Direktorin Berger."
Meine Worte lassen meine Mutter immer wieder zusammenzucken.
Schweigend mustere ich sie für einige Momente, bevor ich mich ein weiteres Mal räuspere.
"Aber...aber ich glaube, du hast mir damit den bisher größten Gefallen in meinem Leben getan." Während meine Mutter innehält und beginnt, langsam wieder den Kopf zu heben, rede ich weiter. "Du hast Recht damit, wenn du sagst, dass du mir nicht alleine hättest helfen können, genauso wie ich niemals alleine mit dieser Erpressung fertig geworden wäre. Ich...ich brauchte Hilfe, auch wenn ich das nicht einsehen wollte. Aber du...du hast es gesehen...und du...du hast mir Hilfe beschafft...du hast dich um mich gesorgt und dich darum gekümmert, dass mein Problem gelöst wird, so...so wie das eine Mutter für ihre Kinder tut."
Meine Mutter hat nun vollständig den Kopf gehoben und schaut mich aus großen Augen an, während ich spüre, wie sich mein Hals etwas zusammenzieht.
"Und deshalb...", ich schlucke und wende kurz meinen Blick ab, um mich etwas zu sammeln, bevor ich wieder zu meiner Mutter schaue, "und deshalb...wollte ich dir danken."
"Aber das...", beginnt meine Mutter zu stammeln und blinzelt mehrfach, "aber das...das war doch alles nicht mein Verdienst. Direktorin Berger und deine Zoe haben sich um die Lösung der Erpressung gekümmert und..."
"Aber du hast ihnen davon erzählt", unterbreche ich sie und trete einen Schritt auf meine Mutter zu. "Ohne dich hätten die beiden nie davon erfahren. Ohne dich hätten sie nie an einer Lösung arbeiten können. Und ohne dich würde ich immer noch von Herrn Lüdenscheid erpresst werden. Du hast mir geholfen. Du hast mir wirklich richtig geholfen."
Für eine Weile schauen wir uns einfach nur an.
Die Palette an Gefühlen, die sich in dem Gesichtsausdruck meiner Mutter abzeichnen, reichen von Ungläubigkeit und Verwirrung bis hin zu Verwunderung und Freude, aber das überrascht mich nicht. Mir geht es schließlich genauso...
Nach einiger Zeit des Schweigens räuspert meine Mutter sich und streicht sich etwas ungeschickt eine Haarsträhne hinters Ohr.
"Ich...ähm...", beginnt sie und räuspert sich erneut, "ich...nehme an, dass das Gespräch an der anderen Schule dementsprechend gut gelaufen ist?"
"Ja, das ist es", erwidere ich und nicke leicht. "Direktor Gruber ist zwar streng, aber fair. Er hat mir viele Fragen gestellt und wir haben lange miteinander gesprochen, aber er ist im Endeffekt zu dem Entschluss gekommen, dass ich meinen Abschluss an seiner Schule machen kann. Ich soll mich am Montag als erstes im Sekretariat melden. Dort bekomme ich meinen Stundenplan für den Rest des Schuljahres und um den ganzen schriftlichen Kram wollen er und Direktorin Berger sich gemeinsam kümmern, damit das Ganze möglichst schnell und unproblematisch läuft."
"Das klingt doch super. Und ich bin mir auch sehr sicher, dass du deinen Abschluss schaffen wirst", sagt meine Mutter und schenkt mir ein sanftes Lächeln, bevor sie vorsichtig eine Hand hebt und mit dieser zaghaft über meine Schulter streicht. "Ich...ich bin stolz auf dich, Lola. Wirklich. Ich bin sehr, sehr stolz auf dich."
Ich schlucke und drehe meinen Kopf blinzelnd zur Seite, um die aufsteigenden Tränen in meinen Augen zu verbergen und schaue stattdessen auf die Hand meiner Mutter, die mich immer noch sanft an der Schulter berührt.
Wer hätte das gedacht...wirklich...wer hätte das gedacht?
"Ich..." Ich hole tief Luft und straffe meine Schultern etwas, was meine Mutter dazu bringt, ihre Hand wieder von meiner Schulter zu nehmen. "Ich wollte jetzt noch kurz zu Zoe gehen. Direktorin Berger hatte sie zwar vorhin telefonisch erreicht und ich weiß, dass alles mit der Geldübergabe an Herrn Lüdenscheid geklappt hat, aber ich muss nochmal mit ihr sprechen. Und danach bin ich bei Xenia und den anderen. Ich...ich weiß also nicht, wann ich heute Abend nach Hause kommen werde."
"Das ist schon in Ordnung", sagt meine Mutter, während sie mich immer noch liebevoll anlächelt. "Ich koche noch eben das Essen zu Ende und hole Danny dann aus dem Kindergarten ab. Er freut sich bestimmt riesig, wenn er erfährt, dass es dir jetzt wieder etwas besser geht."
"Ja, vielleicht", erwidere ich und kann mir dabei ein leichtes Lachen nicht verkneifen, bevor mein Blick wieder etwas ernster wird, "danke."
"Ich habe dir doch gesagt, du musst dich nicht bedanken", entgegnet meine Mutter nun ebenfalls mit einem Lachen und deutet mit ihrem Kopf in Richtung Flur, "nun geh schon. Und sag deiner Zoe, dass sie gerne mal nachmittags auf einen Kaffee vorbeikommen kann. Unsere erste Begegnung war ja doch etwas überraschend und während des Telefonats habe ich hauptsächlich mit Direktorin Berger gesprochen, wodurch wir bislang keine Chance hatten uns richtig kennenzulernen. Zumal ich mich ja auch noch bei ihr bedanken muss, dass sie Danny und dich damals nach unserem Streit aufgenommen hat."
Überrascht hebe ich die Augenbrauen. "Woher weißt du denn davon?"
"Danny hat es mir nach ihrem plötzlichen kurzen Besuch erzählt." Meine Mutter mustert mich für einen Moment und seufzt dann tief. "Ihr beiden passt gut zueinander, Lola. Ihr tut einander gut. Und deine Zoe liebt dich. Das hat sie durch ihr Auftauchen vor unserer Tür und durch ihr besorgtes Auftreten mehr als unter Beweis gestellt. Und jetzt lass sie nicht länger warten und geh endlich zu ihr."
Lächelnd deutet meine Mutter erneut mit dem Kopf zum Flur, woraufhin ich mich mit einem leichten Lachen umdrehe und die Küche verlasse. Im Türrahmen bleibe ich jedoch nochmal stehen und schaue wieder zurück zu meiner Mutter.
"Also...wir sehen uns dann nachher, ja? Ich versuche auch nicht allzu spät nach Hause zu kommen."
"Alles klar", meine Mutter erwidert meinen Blick und nickt lächelnd, "mach dir keine Sorgen, ich habe alles im Griff. Bis später, Lola."
"Okay", sage ich und nicke ebenfalls lächelnd, "bis später...Mama."

Liebe Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 1) (girlxgirl; teacherxstudent)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt