# 49

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- Lola -

Noch bevor ich den Schlüssel vollständig ins Schlüsselloch gesteckt habe, dringt mir bereits ein zitronenhaltiger Putzmittelgeruch aus unserer Wohnung entgegen.
"Riechst du das auch?", fragt Danny und schaut zu mir hoch, während seine Nase schnuppernd zuckt, "das riecht genauso wie morgens im Kindergarten...nur irgendwie stärker."
"Ja, da hast du Recht. Viel stärker sogar, wenn du mich fragst", erwidere ich und drehe den Schlüssel geschickt herum, bevor ich mich gegen die Tür drücke und sie aufstoße.
"Vorsicht!", höre ich prompt die Stimme meiner Mutter rufen, die jedoch nirgendwo auf dem leeren Flur zu sehen ist. Dafür weht Danny und mir eine kräftige Zitronenputzmittelgeruchswelle aus der Wohnung entgegen. "Ich habe gerade frisch gewischt!"
"Man riecht's", kommentiere ich den Ruf meiner Mutter trocken und verziehe das Gesicht, während ich über den nassen Flurboden schaue. Der Teppich im Eingangsbereich war zusammmengerollt und hochkant neben die Tür gestellt worden und dem feuchten Glanz der Möbel nach zu urteilen, hat meine Mutter es nicht nur beim Bodenwischen belassen, sondern auch noch sämtliche Möbel gründlich geputzt und abgewischt.
Ich seufze leise.
Das erinnert ja schon an einen Frühjahrsputz.
Wobei es mich ehrlich gesagt auch nicht wirklich überrascht...
Seit ihrem kleinen Küchenunfall vor drei Wochen hat sich unsere Mutter noch mehr angestrengt, um Danny und mir zu zeigen, dass sie eine gute Mutter sein kann. Und das hat in ein paar Fällen zu einigen, teilweise recht amüsanten Dingen geführt, wie beispielsweise die Tatsache, dass sie Bunt- und Weißwäsche zusammengewaschen hat. Ich gebe zu, dass ich das im ersten Moment überhaupt nicht amüsant gefunden habe, aber im Nachhinein schon etwas...zu meiner Verwunderung...
Danny hat inzwischen seine beiden Hände auf Mund und Nase presst und schaut wieder zu mir hoch.
"Wenn du putzt, riecht es nie so stark", murrt er mit dumpfer Stimme und ich sehe, dass, obwohl seine Hände sein Gesicht zur Hälfte bedecken, sich seine Nase kräuselt.
Insgeheim muss ich ihm zustimmen, es riecht wirklich sehr stark.
Fast so, als hätte jemand eine ganze Jahresration an Putzmittel ausgeschüttet...
Ich seufze erneut und beschließe mir diesen Kommentar zu verkneifen.
"Jetzt ist es eben besonders sauber. Und außerdem können wir ja gleich etwas lüften", erwidere ich stattdessen und streiche ihm lächelnd über die Haare.
Nachdem wir uns ordentlich die Schuhe auf der Fußmatte abgeputzt, auf Zehenspitzen die Wohnung betreten und die Wohnungstür wieder hinter uns geschlossen haben, steckt auch schon unsere Mutter den Kopf aus der Küche.
"Tut mir Leid", sagt sie und wirft uns einen entschuldigenden Blick zu, "ich hätte vielleicht den Flur nicht als Letztes wischen sollen, aber wenn ihr wollt, könnt ihr zu mir in die Küche kommen. Hier ist es schon trocken und dann könnt ihr auch eure Schuhe hier ausziehen, ohne dass eure Socken nass werden."
"Und ein oder zwei Fenster aufmachen wäre auch nicht schlecht", murmle ich und blinzle mehrfach von dem leicht beißenden zitronigen Geruch, während ich Danny folge, der auf Zehenspitzen vor mir her geht und immer noch seinen Mund und seine Nase mit beiden Händen bedeckt.
Als wir schließlich die Küche betreten, mustert unsere Mutter Danny mit einer gehobenen Augenbraue, während sie am Herd steht und in einem Topf rührt.
"Was machst du denn da, Danny?", fragt sie, während ich mich an Danny vorbeischiebe und die beiden Küchenfenster aufreiße.
"Es riecht ein bisschen...intensiv", antworte ich an Dannys Stelle, während dieser eifrig nickt.
"Oh." Die Augen meiner Mutter werden groß und wandern etwas geknickt zu ihrem Topf. "Also, das Essen..."
"Nicht das Essen", erwidere ich und beuge mich ebenfalls kurz über den Topf. Den Inhalt des Topfes kann ich zwar nicht wirklich identifizieren, aber es sieht auf jeden Fall besser aus als ihre Versuche der letzten Woche. Jetzt muss es nur noch schmecken...
Mit einem leisen Seufzer schaue ich wieder zu meiner Mutter.
"Es ist das Putzmittel. Ich glaube, du warst ein bisschen zu großzügig damit."
"Oh", sagt meine Mutter erneut und senkt etwas beschämt ihren Kopf, "ich...ich dachte, besser etwas mehr als etwas zu wenig...aber anscheinend kann man auch damit etwas falsch machen."
Sie seufzt tief und hebt ihren Kopf wieder an, wodurch ihr Blick kurz über mein Gesicht gleitet und sie mit einem Mal verwundert die Augenbrauen hebt.
"Was hast du denn da gemacht, Lola?", fragt sie und streckt ihre Hand nach meinem Gesicht aus, wodurch ich reflexartig zurückweiche.
"Ich...ähm...nichts", murmle ich und fasse mir selbst an die immer noch pochende und pulsierende Stelle an meiner geschwollenen Unterlippe, während ich versuche den leicht verletzten Ausdruck auf dem Gesicht meiner Mutter zu ignorieren.
Sie kann meinetwegen kochen und putzen und waschen und sonst was im Haushalt machen, aber ich möchte nach wie vor nicht, dass sie mir zu nahe kommt...auch wenn sie es zur Abwechslung vielleicht sogar mal gut meint...
"Lola ist in der Schule gegen eine Tür gelaufen", verkündet Danny, der sich mittlerweile auf einen Küchenstuhl gesetzt hat und gerade dabei ist, die Schleife von seinem ersten Schuh zu lösen.
"Gegen eine Tür?"
Zweifelnd runzelt meine Mutter die Stirn und schaut von Danny wieder zu mir, während ich meine Hände tief in den Taschen meiner Lederjacke vergrabe.
Im Gegensatz zu Danny wird sie mir so eine Erklärung bestimmt nicht glauben...
"Ist doch egal", murmle ich und schaue zur Seite. Ich werde ihr und Danny bestimmt nicht erzählen, dass ich mich geprügelt habe und deswegen nachsitzen muss...womit wir auch schon bei dem Gefallen wären, um den ich sie bitten muss...oh Mann...
Ich hole tief Luft und drehe meinen Kopf wieder zu meiner Mutter.
"Ich...ich muss dich um etwas bitten."
Zu meiner Überraschung werden die Augen meiner Mutter erneut groß, genauso wie ihr ganzer Körper eine etwas aufgerichtetere Haltung annimmt.
"Und um was?", fragt sie und schaut mich mit klarem Blick an, wobei mich ihre vollständige Aufmerksamkeit etwas unwohl fühlen lässt und ich beginne, von einem auf den anderen Fuß zu treten.
"Ich...ähm...werde Danny für den Rest der Woche nicht vom Kindergarten abholen können...aus...bestimmten Gründen. Und deshalb wollte ich dich fragen, ob...du...das übernehmen kannst...zumindest für diese Woche. Du musst ihn auch nicht hinbringen, das mache ich nach wie vor. Nur abholen. Also...könntest du mir den Gefallen tun?"
Langsam hebe ich den Kopf, den ich beim Reden gesenkt habe, wieder an und sehe, dass die Augen meiner Mutter mehrfach blinzeln, während sie mir ein überraschtes, aber breites Lächeln schenkt.
"Ich...ja natürlich! Das mache ich gerne! Sehr gerne sogar!"
Trotz ihrer Freude macht sich ein mulmiges Gefühl in mir breit, aber ich versuche es zu verdrängen, weil ich meine Mutter um noch einen Gefallen bitten muss...
"Und", fahre ich nach kurzem Räuspern fort, "ich werde am Samstag wahrscheinlich über Nacht weg sein. Könntest du vielleicht da auch nochmal ein Auge auf Danny haben...darauf achten, dass er sich anständig die Zähne putzt...ihn ins Bett bringen...ihm vielleicht etwas vorlesen?"
"Ja. Ja, natürlich! Sehr gerne!", sagt meine Mutter und nickt eifrig, während ich ihr Nicken langsam erwidere.
"Gut...okay...danke", murmle ich nach einer Weile und atme tief durch.
Glücklich bin ich darüber zwar immer noch nicht ganz, aber ich habe ja Zoe gesagt, dass ich meiner Mutter eine Chance geben will. Zumal meine Mutter diese Chance sowieso schon längst gehabt hätte, wenn Zoes und mein Date vor drei Wochen stattgefunden hätte.
Und außerdem gibt diese Chance mir auch die Möglichkeit, mich am Samstag voll und ganz aufs Zoes Geburtstag zu konzentrieren...

- Zoe -

"Nachsitzen?"
"Was hast du erwartet? Dass ich ihr ein Denkmal errichte?", fragt Mona trocken und schaut mich mit einer hochgezogenen Augenbraue an, bevor sie sich wieder den Unterlagen auf ihrem Schreibtisch zuwendet, "egal ob es einen berechtigten Grund für ihr Verhalten gab oder nicht, ich dulde keine handgreiflichen Auseinandersetzungen an meiner Schule. Im Gegenteil, Lola kann dankbar sein, dass ich es nur beim Nachsitzen belasse. Ich hätte sie schließlich genauso gut der Schule verweisen können."
"Bloß nicht!"
"Dass dir das nicht gefällt, überrascht mich ja mal überhaupt nicht."
Ich verdrehe die Augen über den amüsierten Unterton in Monas Stimme und stütze meinen Arm auf Monas Schreibtisch ab, auf dessen Hand ich mein Kinn lege.
Leider hatte Mona nach ihrem Gespräch mit Lola noch ein wichtiges Telefonat und als sie endlich fertig war, musste ich zurück in den Unterricht, weshalb wir uns erst jetzt am späten Nachmittag sehen und über alles reden konnten.
"Aber jetzt mal im Ernst...ich hoffe wirklich, dass Lola sich ab jetzt etwas zusammenreißt", fährt Mona fort und schließt für einen Moment die Augen, während sie sich mit zwei Fingern die Schläfe massiert. "Die Prügelei heute ist ja nur die Spitze des Eisberges. Herr Schneider hat mich heute, kurz bevor ich mit Lola geredet habe, noch angesprochen und er hat mir erzählt, dass Lola sich in seinem Unterricht sehr respektlos und unverschämt verhalten hat, weswegen sie auch eine Strafaufgabe von ihm bekommen hat und auch noch ein Gespräch mit mir gehabt hätte, was sich durch das Gespräch aufgrund der Prügelei jedoch schon erledigt hat. Ich habe zwar versucht ihr deutlich zu sagen und zu vermitteln, dass sie, wenn sie sich weiter so verhält, wieder ihren Abschluss gefährdet, aber sie schien mit ihren Gedanken irgendwo anders zu sein. Als ob sie irgendetwas anderes beschäftigt hätte."
Nachdenklich runzle ich die Stirn. "Vielleicht hat sie an Danny gedacht. Oder an ihre Mutter. Oder..."
"An dich", vollendet Mona meinen Satz und lächelt mich spöttisch an, "komm schon, Zoe. Warum glaubst du wohl ist Lola in erster Linie so gereizt? Sie ist wütend über den Abstand, den ihr zueinander halten müsst. Das hat sie mir sogar selber bestätigt. Und deshalb...möchte ich dich um etwas bitten."
Für einen Moment klopft mein Herz etwas schneller und ich richte mich ein Stück in meinem Stuhl auf.
"Und", ich schlucke kurz, "und um was?"
"Du hast doch morgen Lola im Unterricht, oder?"
Ich nicke stumm, unfähig vor Aufregung auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.
"Dann würde ich dich bitten, morgen nach dem Unterricht mit ihr zu sprechen. Ihr nochmal bewusst machen, dass sie mit ihrem Verhalten erneut ihren Abschluss in Gefahr bringt. Wenn sie jemandem wirklich zuhört, dann bist du es. Zumal ihr ein kurzes Gespräch mit dir bestimmt guttun wird. Genauso wie dir."
Ich kann nicht anders, als Mona mit offenem Mund und immer schneller klopfendem Herzen anzustarren.
"Ich...Lola...ich...?", stammle ich, wobei sich in meiner Stimme eine Mischung aus Überraschung, Verwirrung und Hoffnung widerspiegelt.
"Ja", sagt Mona und nickt. "Ich hoffe nur, dass du bei ihr wenigstens einen konkreten Satz herausbekommst, sonst wird das mit der Verständigung vielleicht etwas schwieriger."
Ich kann mich nicht mal über Monas belustigtes Zwinkern ärgern und lehne mich stattdessen mit einem fröhlichen und erleichterten Auflachen in meinem Stuhl zurück, bevor ich anschließend mit einem seligen Lächeln tief aufseufze.
Ich kann es nicht glauben!
Ich darf Lola sehen!
Ich darf mit ihr reden!
Alleine!
Nach all den Wochen!
Oh Lola...
"Erde an Zoe", holt Mona mich mit einem amüsierten Grinsen aus meinen Gedanken zurück, "alles in Ordnung?"
Ich seufze ein weiteres Mal und nicke erneut. "Alles bestens, Mona. Wirklich, alles bestens...du...sag mal...wollen wir nachher vielleicht etwas essen gehen?"

Liebe Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 1) (girlxgirl; teacherxstudent)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt