# 43

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- Lola -

"Also sind Marvin und Habib schon bei Xenia?", fragt Rebecca, als Rohan die Eingangstür aufstößt und wir zu dritt aus dem Schulgebäude und nach draußen treten.
"Ja", erwidert Rohan und nickt, während er sich wieder zu Rebecca und mir dreht, "Marvin hat immer etwas früher Schluss als wir und bei Habib sind die letzten beiden Stunden ausgefallen. Der Idiot hat während der gesamten Englischstunde damit so krass geprahlt, als hätte er irgendetwas dazu beigetragen."
Rohan verdreht genervt die Augen, wohingegen ich mit den Schultern zucke.
"Hast du vielleicht eine andere Reaktion von ihm erwartet?"
"Nein", Rohan greift in die Innentasche seiner Jacke und zieht eine Zigarette daraus hervor, dessen Ende er sich in den Mund steckt und sie mit dem Feuerzeug in seiner anderen Hand anzündet, "aber nervig war es trotzdem."
Nachdem er einen tiefen Zug genommen hat, schaut er fragend in meine Richtung und reicht mir, nach einem kurzen Nicken meinerseits, ebenfalls eine Zigarette aus seiner Innentasche, dessen Ende ich genauso wie er in meinen Mund stecke und nach seinem Feuerzeug greife.
"Ich dachte, euch wäre bekannt, dass das Rauchen auf dem Schulgelände nicht gestattet ist."
Mit einem frustrierten Stöhnen lasse ich die kleine Flamme des Feuerzeugs wieder erlöschen und ziehe die Zigarette aus meinem Mund, als ich die Stimme von Direktorin Berger hinter uns erkenne.
Die Frau hat mir gerade noch gefehlt.
Warum muss sie ausgerechnet jetzt auftauchen?
Gerade jetzt, wo ich mal für ein paar Minuten nicht an das Gespräch von heute Morgen denken musste...
"Wir...ähm...wir waren ja auch gerade dabei, dass Schulgelände zu verlassen", stammelt Rebecca, die sich wie Rohan bereits zu Direktorin Berger umgedreht hat, was ich schließlich mit einem genervten Seufzen ebenfalls tue.
"Ich glaube nicht, dass du diejenige bist, die mir eine Erklärung für ihr Verhalten schuldet", entgegnet Direktorin Berger und schaut zu Rohan und mir.
"Tschuldigung, Frau Direktorin", murmelt Rohan und drückt die halbgerauchte Zigarette auf dem Boden aus, "ich rauche die später weiter, sobald wir nicht mehr auf dem Schulgelände sind."
"Wenn ich du wäre, würde ich diesen gesundheitsschädlichen Unsinn vollständig sein lassen", erwidert Direktorin Berger und mustert Rohan mit einer gehobenen Augenbraue. "Dein zukünftiges Ich wird es dir danken."
"Und da ist sie wieder. Die kostenlose Moralpredigt zu der vollkommen überflüssigen Ermahnung", stöhne ich und verdrehe spöttisch die Augen, als Direktorin Bergers Kopf sich langsam zu mir dreht.
"Wie war das, Lola?", fragt sie, wobei ihre Stimme so ruhig ist, dass ich sofort erkenne, dass es ihr berühmtberüchtigter ruhiger Tonfall ist, auf den in der Regel immer ein tosendes Donnerwetter folgt.
Soll mir recht sein.
Ich habe sowieso noch eine Rechnung mit ihr offen...
Mit provozierendem Blick mustere ich Direktorin Berger und stecke mir das Zigarettenende wieder in den Mund, bevor ich die kleine Flamme des Feuerzeugs erneut aufflammen lasse, meine Zigarette anzünde und einen tiefen Zug davon nehme, nur um anschließend den Rauch in Direktorin Bergers Richtung zu pusten.
Im Gegensatz zu Habib weicht Direktorin Berger nicht zurück und verzieht auch nicht das Gesicht.
Sie blinzelt nicht einmal.
Stattdessen strafft sie ihre Schultern und tritt zwei langsame Schritte auf mich zu.
Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Rohan und Rebecca abwechselnd einander und dann wieder mich ansehen. Die Blicke, die sie dabei austauschen, sind von einer Mischung aus Sorge und Verwirrung geprägt.
"Was soll das?", fragt Direktorin Berger und obwohl ihre Stimme immer noch sehr ruhig ist, sehe ich, wie ihre Mundwinkel gefährlich zucken.
Gut so...
Unbeeindruckt zucke ich mit den Schultern und nehme einen weiteren Zug, lasse den Rauch für einen Moment in meinem Mund verweilen und puste ihn dann erneut Direktorin Berger entgegen, was allerdings erneut keine Reaktion von ihr hervorruft, wenn man mal davon absieht, dass ihre Augen mich etwas bedrohlicher anfunkeln.
"Du bewegst dich hier auf sehr dünnem Eis, Lola", fährt Direktorin Berger fort und tritt noch einen Schritt auf mich zu.
"Wäre es nicht treffender, wenn Sie sagen würde, dass ich mit dem Feuer spiele?", frage ich und lasse spielerisch die Flamme des Feuerzeugs erneut aufleuchten.
"Lola, lass das", höre ich Rohan sagen und werfe ihm einen bösen Blick zu, der ihn verstummen und zu Rebecca sehen lässt, die etwas hilflos zwischen Direktorin Berger und mir hin und her schaut.
"Du solltest auf Rohan hören, Lola", sagt Direktorin Berger und ich sehe, wie sich ihre Körperhaltung wieder etwas entspannt, während ihre Augen mich immer noch bedrohlich anfunkeln. "Du machst dich mit deinem kindischen Verhalten nur lächerlich."
"Immerhin bin ich nicht so erbärmlich und habe es nötig, mich in Angelegenheiten einzumischen, die mich nichts angehen", erwidere ich und mustere Direktorin Berger abfällig, deren Blick für einen Moment etwas klarer wird.
Offenbar scheint sie zu verstehen, dass ich nicht von der Sache mit der Zigarette spreche...
"Das hat nichts mit Erbärmlichsein zu tun", entgegnet Direktorin Berger und verschränkt die Arme vor der Brust. "Wenn die Beteiligten sich so offensichtlich verhalten, dass es kaum zu ignorieren ist, dann sind die Beteiligten auch selber Schuld und müssen sich nicht über entsprechende Konsequenzen wundern."
"Und wer gibt Ihnen bitte das Recht, über diese Konsequenzen zu bestimmen?!", fauche ich sie an, als ich mit einem Mal eine Hand auf meiner Schulter spüre.
"Jetzt reiß dich zusammen, Lola", zischt Rohan mir ins Ohr. Geschickt zieht er mit einer schnellen Bewegung das Feuerzeug aus meiner Hand und die Zigarette aus meinem Mund, welche er auf dem Boden austritt. "Willst du wirklich wegen so einem unwichtigen Mist wieder Stress mit der Direktorin anfangen?"
"Es ist aber kein unwichtiger Mist! Du hast doch keine Ahnung!", fahre ich Rohan an und ziehe unsanft meiner Schulter von seiner Hand weg, woraufhin er mich vollkommen irritiert ansieht. Dann dreht er seinen Kopf zu Direktorin Berger.
"Bitte entschuldigen Sie, Frau Direktorin. Lola hat es nicht so gemeint..."
"Und ob ich das so gemeint habe!", fauche ich in Direktorin Bergers Richtung und schaue wieder zu Rohan, "und hör auf, mich immer in Schutz nehmen zu wollen! Das ist nicht deine Aufgabe! Du bist schließlich nicht meine Mutter!"
"Deine Mutter hätte dich wahrscheinlich auch nicht in Schutz genommen", entgegnet Rohan ruhig und ich spüre, wie mein Herz schwer wird und mein Magen sich zusammenzieht, als er mich mit ernstem und leicht verletztem Blick mustert.
Oh nein...
"Rohan....ich...bitte entschuldige, ich..."
"Spar es dir, Lola", entgegnet Rohan trocken und schaut zu Rebecca, "komm, wir gehen zu Xenia und sagen die Party ab. Wenn Lola so weiter macht, handelt sie sich eh wieder nur Nachsitzen ein und kann dann sowieso nicht kommen."
Ohne mich nochmal anzusehen dreht Rohan sich von mir weg und zieht Rebecca am Arm mit sich, die sich immer wieder mit hilflosem Blick zu mir umsieht.
Ich will den beiden nachgehen, will mich bei Rohan entschuldigen, will ihnen alles erklären, aber meine Beine bewegen sich keinen einzigen Schritt vorwärts. Stattdessen habe ich das Gefühl, dass sie immer schwerer werden und unter mir wegzuknicken drohen.
Meine Schultern fühlen sich ebenso an, als hätte jemand ein schweres Gewicht auf sie gelegt und mein Hals zieht sich so stark zusammen, dass ich kaum atmen kann.
Das kann doch alles nicht wahr sein...
Erst Zoe...
Jetzt Rohan...
Und alles nur wegen...alles nur wegen...
Mit wutverzerrtem Gesicht drehe ich mich zu Direktorin Berger um und funkle sie durch einen leichten Tränenschleier über meinen Augen an.
"Das ist alles Ihre Schuld!", schreie ich sie an, während Direktorin Berger meinen Blick ruhig erwidert und sich kurz darauf räuspert.
"Nun, soweit ich weiß, war ich nicht diejenige, die deinen besten Freund angeschrieen hat, also..."
"Halten Sie die Klappe!"
"Vorsicht, Lola!", entgegnet Direktorin Berger scharf und hebt ermahnend einen Finger, "ich verstehe deine Wut, aber das gibt dir noch lange nicht das Recht, mich zu beleidigen. Sonst muss ich mir das mit dem Nachsitzen doch nochmal überlegen."
"Das wollten Sie doch eh!", schreie ich weiter, während Direktorin Berger sich umsieht und wieder zu mir schaut, als sie niemanden in unserer Nähe sieht. Selbst wenn es jemand mitbekommen würde, wäre es mir jetzt auch herzlich egal gewesen. "Was machen Sie überhaupt hier?! Warum sind Sie uns gefolgt?! Haben Sie kein eigenes Leben oder was?!"
"Um genau zu sein, wäre ich schon längst zu Hause", sagt Direktorin Berger und atmet tief durch, um ihrer Stimme wieder einen ruhigeren Klang zu verleihen, "aber als ich im Flur gesehen habe, dass du mit Rohan und Rebecca auf dem Weg nach draußen warst und anscheinend nicht zu deiner Nachhilfestunde mit Zoe gehen wolltest, bin ich euch gefolgt."
Bei der Erwähnung von Zoes Namen, würde ich meinen Tränen am liebsten freien Lauf lassen, aber diesen Triumph möchte ich Direktorin Berger nicht gönnen...
Stattdessen lache ich spöttisch auf...so gut das eben in meinem Zustand geht...
"Ach, kommen Sie schon! Sie haben sich insgeheim doch bestimmt richtig gefreut, dass ich nicht zur Nachhilfestunde gehen wollte! So halte ich mich doch wenigstens an ihre dämlichen Abstandsgrundregeln."
"Also...", zu meiner Überraschung zögert Direktorin Berger und mustert mich etwas verwundert, bevor sie weiterredet, "also...wolltest du wirklich nicht zur Nachhilfestunde gehen?"
"Jetzt tun Sie doch nicht so, als ob Sie das irritieren würde!", fauche ich und spüre, wie die Tränen beginnen, sich langsam aus meinen Augen zu lösen, "Sie haben heute Morgen mit Ihren bescheuerten Regeln doch alles daran gesetzt, dass Zoe und ich aneinander geraten und uns streiten! Sie haben es doch darauf angelegt!"
Anstatt sich zu verteidigen oder alles abzustreiten, so wie ich es erwartet habe, stöhnt Direktorin Berger leise auf und fährt sich für einen Moment mit einer Hand über ihr Gesicht.
Wut pulsiert durch meinen Körper und ich wische ärgerlich ein paar Tränen von meinen Wangen.
"Was ist?", fahre ich sie ungeduldig an, während Direktorin Berger wieder aufsieht.
"Nun...um ehrlich zu sein, hätte ich dich nicht für so unfassbar trotzig und dämlich gehalten."
"Dämlich?!"
"Und trotzig", wiederholt Direktorin Berger und mustert mich mit einer gehobenen Augenbraue, "ist dir eigentlich klar, dass du mit deinem Verhalten gerade alles kaputt machst?"
"Ich?! Sie haben doch diese Regeln aufgestellt! Sie..."
"Und was hat Rohan bitte mit diesen Regeln zu tun? Warum hast du ihn dann so angefahren? Er hat die Regeln nicht aufgestellt und weiß auch nichts von Zoe und dir. Womit hat er deine Wut verdient?"
Mein Magen zieht sich so stark zusammen, als hätte mir jemand dagegen geboxt und ich senke meinen Blick etwas, bevor ich seufzend zur Seite schaue.
"Ich...ich wollte das nicht...", murmle ich schließlich und schlucke schwer, "ich...ich war einfach so...so wütend...und enttäuscht...und traurig."
"Das verstehe ich", höre ich Direktorin Berger sagen und spüre, wie sie mir kurz darauf eine Hand versöhnlich auf die Schulter legt, "dieser...Abstand zwischen Zoe und dir...der wird bestimmt nicht leicht werden, aber..."
"Das meine ich nicht", unterbreche ich sie und sehe aus den Augenwinkeln, wie Direktorin Berger überrascht die Augenbrauen hebt, "also...nicht nur."
"Und...was bedrückt dich noch?"
"Dass...dass Zoe einfach so Ihren blöden Vorschlag akzeptiert hat!", sage ich und schaue wieder zu Direktorin Berger, "ich meine, Sie hat sich doch nicht einmal die Mühe gemacht, über eine Alternative nachzudenken! Sie muss ja nicht zwangsläufig eine finden, aber wenigstens darüber nachdenken! Und wenn sie keine findet, sollte sie mit mir darüber reden! Sie...sie kann das doch nicht einfach so alleine bestimmen! Ich...ich meine...ich will doch auch nicht, dass unsere Beziehung auffliegt...oder dass Zoe Ärger bekommt. Wer weiß, vielleicht hätte ich dem Ganzen sogar zugestimmt, wenn sie wenigstens kurz mit mir darüber gesprochen hätte..."
"Also, verstehe ich das richtig", beginnt Direktorin Berger und mustert mich mit gerunzelter Stirn, "du möchtest, dass Zoe mit dir über solche wichtigen Dinge spricht und sie nicht alleine für euch entscheidet. Gleichzeitig bist du aber jetzt diejenige, die einem Gespräch mit Zoe ausweicht und alleine entscheidet, dass ihr darüber nicht mehr redet oder die Sache ausdiskutiert. Sei mir nicht böse, Lola, aber du misst hier gerade wirklich mit zweierlei Maß. Das ist mehr als widersprüchlich."
"Ist es nicht", entgegne ich und wische mir mit meinem Jackenärmel über das Gesicht, um die letzten Tränen davon zu entfernen, "Zoe hat mir damit doch gezeigt, dass ich ihr gar nicht so wichtig bin, wie sie immer behauptet. Ich meine, dann hätte sie sich doch viel mehr über Ihren Vorschlag aufgeregt oder, wie gesagt, versucht eine Alternative dazu zu finden."
"Okay, warte", seufzend schließt Direktorin Berger ihre Augen und massiert sich mit zwei Fingern ihre Schläfe, "mal abgesehen davon, dass Zoe definitiv nicht der Typ Mensch ist, der sich leicht aufregt oder sehr impulsiv ist...so wie du zum Beispiel...würde ich gerne wissen, wie du bitte auf diese komplett absurde Idee kommst, dass du Zoe nicht wichtig bist. Ich meine, sie saß die ersten beiden Unterrichtsstunden bei mir im Büro und hat sich die Augen ausgeweint, nachdem du so wutentbrannt rausgestürmt bist."
Was...?
Für einen Moment schaue ich Direktorin Berger mit leicht geöffnetem Mund und verwirrtem Blick an.
"Das", ich schüttle leicht den Kopf, "das haben Sie sich ausgedacht, oder?"
Spöttisch hebt Direktorin Berger eine Augenbraue und verschränkt ihre Arme vor der Brust.
"Du kannst gerne in mein Büro gehen und dir den Mount Everest aus Taschentüchern, der sich in meinem Papierkorb angesammelt hat, ansehen, wenn du mir nicht glaubst."
Ich schlucke schwer und schaue zur Seite, während ich versuche, einen klaren Gedanken zu fassen.
Aber Zoe...
Aber sie...
Und ich...
Während ich immer noch versuche, die Gedankenfetzen in meinem Kopf zu sortieren, legt Direktorin Berger ihren Finger an mein Kinn und dreht meinen Kopf wieder in ihre Richtung.
"Ich glaube, du solltest jetzt ganz schnell zu deiner Nachhilfestunde gehen."

Liebe Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 1) (girlxgirl; teacherxstudent)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt